Bundestagswahl - „Es ist eine Zäsur“

Die hohen Verluste bei den Volksparteien und der Einzug der AfD in den Bundestag als drittstärkste Kraft haben viele schockiert. Dennoch rät die Historikerin Elke Seefried von Analogien zur Weimarer Zeit ab, sinnvoller sei ein Vergleich auf europäischer Ebene

„Es wird sich zeigen, ob und wann die AfD sich selbst entzaubert“ / picture alliance
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Finn Starken studiert Philosophie und Geschichte in Heidelberg. 

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Frau Seefried, wie war Ihre erste Reaktion am Sonntagabend um 18 Uhr?
Ich war grundsätzlich gespannt und dann doch überrascht über das schwache Abschneiden der Union. Eine gewisse Fragmentierung – im Sinne einer höheren Anzahl der Parteien im Parlament – hatte sich ja bereits abgezeichnet. Aber das dann die Volksparteien, insbesondere die Union, doch so schlecht abschnitten, war nicht vorauszusehen.

Ist das ein historisches Wahlergebnis gewesen?
Historiker sind grundsätzlich vorsichtig mit der Bewertung, dass es sich um ein historisches Wahlergebnis handelt. Ich würde sagen, es war eine Zäsur im Hinblick auf das deutsche Parteien- und Regierungssystem. Seit Anfang der fünfziger Jahre saßen nicht mehr sechs Fraktionen und sieben Parteien im Deutschen Bundestag, und daran ist schon erkennbar, wie stark sich das Parteiensystem nun aufgefächert, vielleicht auch im negativen Sinne zersplittert hat. Damit verbunden ist eine gewachsene Polarisierung und gestiegene Volatilität, also ein stärkeres Schwanken der Stimmenanteile, weil nun die Stammwählerschaft der Volksparteien sehr stark erodiert.

Sieben im Bundestag vertretende Parteien, hohe Verluste bei den Volksparteien und mit der AfD wurde eine rechtspopulistische Partei drittstärkste Kraft. Steht die politische Kultur dieses Landes an einem Scheideweg?
Das muss sich zeigen. Es ist grundsätzlich ein gewisser Einschnitt, aber es gibt schon rationale Begründungen dafür, dass diese Entwicklung so stattgefunden hat. Der europäische Vergleich zeigt, dass in fast allen Ländern die Volksparteien zuletzt an Bedeutung verloren haben. Auf europäischer Ebene sind insgesamt rechtsnationale oder rechtspopulistische, aber auch linkspopulistische Parteien im Aufschwung. Dies hängt auch mit der Suche nach Identität in einer globalisierten Welt zusammen.

Grundsätzlich zeigt sich ein gesunkenes Vertrauen in die Problemlösungsfähigkeit der repräsentativen Demokratie und gerade auch der Volksparteien. Bezogen auf die Bundesrepublik haben Umfragen begleitend zur Wahl gezeigt, dass vor allem der Umgang der Regierung mit der Flüchtlingskrise, aber auch das Mantra der Kanzlerin von der „Alternativlosigkeit“ bestimmter Entscheidungen für Unzufriedenheit gesorgt haben. Das war offenkundig problematisch, weil damit gewisse Sachzwänge vorgegeben schienen. Da wäre es hilfreicher gewesen, Alternativen aufzuzeigen und Politik wieder stärker zu erklären. Das ist den beiden Volksparteien nicht gelungen. Es zeichnet sich ab, dass ein gewisser Pendelschlag des Parlamentarismus wieder stärkere Bedeutung erhalten muss – also dass die Regierung und eine starke Opposition im Parlament unterschiedliche Positionen vertreten. Das war in der Großen Koalition in der Form nicht gegeben. Das hat sich nun offenkundig als systemisches Problem gezeigt.

Schauen wir auf die AfD. Wie ordnen Sie diese Partei historisch ein?
Es werden ja oft Analogien zur Weimarer Republik und zur NSDAP angeführt, da wäre ich eher vorsichtig. Denn zum einen sind die Rahmenbedingungen gänzlich andere. Die Weimarer Republik war, im deutlichen Gegensatz zu heute, in großen politischen und ökonomischen Nöten. Heute ist Deutschland Teil der Europäischen Union und erscheint geradezu als ein Hort der Stabilität, ökonomisch wie politisch. Insofern ist hier ein schneller Vergleich zu Weimar schwierig. Zum anderen bewegt sich die AfD zwischen Nationalkonservatismus und Rechtspopulismus und weist zugleich Verbindungen in den Rechtsextremismus auf. Hier ist noch nicht ganz abzuschätzen, in welche Richtung es geht. Da ist es Aufgabe des Parlaments, wachsam zu sein und rassistische Stimmen massiv zurückzuweisen. Und es wird sich zeigen, ob und wann die AfD sich auch selbst entzaubert, denn einfache Antworten werden nicht reichen.

Ist die AfD also nur ein Phänomen der jüngsten Geschichte?
Nein. Es gibt Verbindungslinien zu völkischen Gruppen in der Weimarer Zeit, und auf das „Völkische“ wird ja teilweise auch selbst in einem rechtsextremistischen Flügel der Partei Bezug genommen. Verweisen lässt sich auch auf die Frage, inwiefern der Völkermord an den Juden eben nicht mehr Teil der deutschen Erinnerungskultur sein solle. Dennoch ist insgesamt ein historischer Vergleich zu einfach. Die aktuellen Entwicklungen, Bedingungen und Problemlagen in Europa sind andere, und deshalb erscheint mir ein synchroner Vergleich der rechtspopulistischen Parteien in Europa wichtig.

Ein definitiv historisches Ergebnis hat die SPD eingefahren. Mit 20,6 Prozent ist sie schlecht wie nie. Sind solche Prozentzahlen, gerade auch in einem Bundestag mit sechs Fraktionen, der natürliche Lauf der Geschichte für die SPD?
Ich glaube, dass sich die Voraussetzungen für die SPD erschwert haben. Das ist kein automatischer Prozess und das muss auch nicht so weiterlaufen, doch es gibt bestimmte systemische Probleme. Da ist zum einen die CDU, die sich teilweise links der Mitte bewegt und damit bei der SPD den programmatischen Raum verengt hat. Zum anderen ist da die Entwicklung von der Industriegesellschaft hin zur globalisierten Dienstleistungsgesellschaft. Der klassische SPD-Wähler, der Industriearbeiter, existiert in der Form nur noch bedingt. Ich würde das allerdings nicht als einen naturgegebenen Prozess des Abstiegs interpretieren. Ich denke, die SPD kann sich wieder programmatisch erneuern und neue Wählergruppen erschließen. Dies ist in der Opposition nun eindeutig einfacher, deshalb ist dieser Schritt der Partei auch die richtige Entscheidung.

Elke Seefried ist Professorin für Neueste Geschichte an der Universität Augsburg und zweite Stellvertretende Direktorin am Institut für Zeitgeschichte in Berlin und München. Einer ihrer Forschungsschwerpunkte ist die deutsche und europäische Geschichte seit den sechziger Jahren.

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