Corona-infizierte Roma - „Hört auf, die Leute zu bashen“

In Berlin-Neukölln hat der Bezirk mehrere Häuser unter Quarantäne gestellt. Ihre Bewohner, in der Mehrzahl Roma, hatten sich mit dem Coronavirus infiziert. Dabei fördert die SPD ihre Integration im Bezirk. Doch ausgerechnet dieser Umstand hat alte Ressentiments neu beflügelt.

„Schmeißen die Leute ihren Müll zu Hause auch auf die Straße?" / Antje Hildebrandt
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Autoreninfo

Antje Hildebrandt hat Publizistik und Politikwissenschaften studiert. Sie ist Reporterin und Online-Redakteurin bei Cicero.

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Es sind nur drei Worte, doch sie zeigen, wie gereizt die Stimmung In dem Viertel ist, das Anwohner „Klein-Rumänien“ nennen. „REIN MIT DIR!“ Ein Mann brüllt diese Worte aus einem fahrenden Kombi. Der Mann, dem sie gelten, tut, als hätte er sie nicht gehört. 

Es ist ein Mittdreißiger mit einer verspiegelten Sonnenbrille und einem Hipster-Bart, wie ihn die Jungs aus der Kultserie „4 Blocks“ tragen. Er ist offenbar so etwas wie der Hausmeister,  denn er pickt Müll mit einer Zange vom Bürgersteig auf und herrscht Reporter an, sie sollten gefälligst verschwinden. Das Haus, vor dem er steht, ist bundesweit bekannt, seit der Bezirk Neukölln die Bewohner unter Quarantäne gestellt hat. Es ist eine vierstöckige Mietskaserne aus den sechziger Jahren. Vier Fahrräder für Kleinkinder lehnen aneinandergekettet gegen einen Laternenpfahl. Auf dem Klingelschild stehen fast nur ausländische Namen. 

Doppelt stigmatisiert 

Dies ist also der neue Corona-Hotspot in Berlin. Von 450 Bewohnern haben sich 70 mit dem neuartigen Coronavirus infiziert – dazu 110 Menschen in ihrem persönlichen Umfeld. Dass es überwiegend Hartz IV-Empfänger und Roma sind, macht diese Geschichte zum  Politikum. Man denkt an das Iduna-Haus in Göttingen, das nach dem  Zuckerfest  zum Hotspot wurde, weil 30 muslimische Roma beim Rauchen  einer Wasserpfeife das Mundstück nicht gewechselt haben sollen.

Solche Geschichten bergen sozialen Sprengstoff. Roma stehen in der Hierarchie der Migranten weit unten. Der Stempel Covid-19 ist auch nicht geeignet, das Vertrauen in sie zu fördern. Corona und Migrationshintergrund, das ist eine brisante Mischung. 

„Vom Skiclub in die Mietskasernen“

Neuköllns Bürgermeister Martin Hikel (SPD) ist das bewusst. „Vom Skiclub ist das Virus jetzt in der Mietskasernen angekommen“, hat er bei einer Pressekonferenz gesagt. Und damit suggeriert, dass Reiche Schuld daran seien, dass es jetzt auch die Ärmsten der Armen erwischt hat. 

Es war ein hilfloser Versuch, den Spieß umzudrehen. Aus den Kommentarspalten der Tageszeitungen schlägt Hikel dieser Tage der geballte Ausländerhass entgegen. Es heißt, die Roma seien Schuld daran, dass das Virus wieder ausgebrochen sei.  Der SPD-Mann ist  bemüht, diesen Verdacht zu zerstreuen. Das Virus mache vor keiner Nationalität Halt, sagt sein Sprecher Christian Berg. Dass es die Rumänen getroffen habe, liege an ihrer Armut.  Es sind überwiegend Großfamilien, die in dem Gebäudekomplex leben. Berg sagt: „Es sind Menschen, die sich keine größeren Wohnungen leisten können.“ 

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„Roma-„ und „Rattenhaus“ 

Das Haus, in dem diese Geschichte spielt, ist in Berlin bekannt.  Bis 2011 galt es als Schandfleck der Stadt. Kinder, die im Müll spielten. Ratten, die darin nach Futter suchten. Dieses Bild hat sich vielen eingeprägt. „Da flogen schon mal volle Windeln aus dem Fenster“, sagt Johnny, 31, der am frühen Nachmittag mit seiner Freundin vorbei schlendert, eine Schiebermütze auf dem Kopf und ein Feierabendbier in der Hand. 

Er sagt, er sei damals regelmäßig zu Besuch gewesen, weil seine Oma hier lebte. Schön sei das nicht gewesen. „Wenn sie sich aus dem Fenster lehnte, musste sie sich als Hure beschimpfen lassen.“  

„Modellprojekt der Integration“

Heute erkennt er den Gebäudekomplex  kaum noch wieder. Die Fassade leuchtet gelb. Geschwungene Eisengitter schützen die Fenster im Erdgeschoss. Es gibt eine eigene Kita und Sozialarbeiter, die sich um die Bewohner kümmern. Aber die fassen jetzt auch selbst mit an. Das ist Teil der Philosophie, mit der der neue Eigentümer das Haus und seine Bewohner stärker im Kiez verankern will. Zwei Männer in Jogginghosen und T-Shirt nehmen einem Sozialarbeiter Kartons mit Lebensmitteln ab und verteilen sie im Haus. Und einer sammelt den Müll auf. 

Aus dem „Ratten- oder Roma-Haus“ wurde ein „Modellprojekt  der Integration“. So jedenfalls bezeichnet es die gemeinnützige Aachener Siedlungs- und Wohnungsgesellschaft. Sie hat den Gebäudekomplex  2011 gekauft . Franziska Giffey (SPD), damals noch Bildungsstadträtin im traditionell rot-regierten Neukölln, hat sich für das Projekt stark gemacht. Als das Haus renoviert war, kam der rumänische Botschafter, um sich davon zu überzeugen, wie gut es den Menschen geht, die fast alle aus Fantanele kamen, einem Dorf in der Nähe von Bukarest, raus aus der Armut, rein in Paradies. 

Das Problem mit dem Müll

Heute ist die Stimmung in Neukölln angespannt. Jahrelang sei das Haus völlig unauffällig gewesen, sagt Neuköllns Stadtrat für Jugend und Gesundheit, Falko Liecke (CDU) Ausgerechnet die Corona-Krise habe jetzt wieder alte Ressentiments geweckt. Aber waren die wirklich jemals weg? Connie, eine Mittfünfzigerin, die schon ewig in dem Kiez lebt und jeden Tag mit dem Fahrrad vorbeikommt, wenn sie zur Arbeit fährt, schüttelt den Kopf. 

Ihr Blick streift das Gerümpel, das sich rund um drei Altglascontainer stapelt. Alte Schuhe, ein Autositz, Müllsäcke. Sie rümpft die Nase. Die Hauswirtschafterin ist nicht gut auf die Roma zu sprechen. Sie sagt: „Schauen Sie sich das doch mal an. So sieht das hier aus, seit die hierherzogen sind. Schmeißen die ihren Müll zu Hause auch auf die Straße?“ 

„Das ist eine Welt für sich“  

Dass die SPD noch immer von einem „Modellprojekt für Integration“ redet, findet  Connie absurd. Sie sagt, die alten Bewohner seien auch die neuen Bewohner. Gut, es  sind ein paar Deutsche, Italiener und Türken dazugekommen. Aber der Plan des neuen Eigentümers, die Bewohner zu durchmischen, ging nicht auf. Die  Roma sind  immer noch in der Mehrheit. „Das ist eine Welt für sich. Viele sprechen nicht mal Deutsch. Also, dass die sich hier integrieren, davon habe ich noch nichts gemerkt.“ 

Aber warum sollten sie es auch probieren, wenn sie sich hier ins gemachte Nest setzen können? Die Geschichte der Roma aus Fantanele ist wie aus dem Lehrbuch: Wie trickse ich den Sozialstaat  aus? Ein deutscher Hartz IV-Empfänger verliebt sich in eine Frau aus dem rumänischen Dorf. Die beiden heiraten. Nach und nach holt sie ihre Familie nach Deutschland. Die Männer melden in Berlin ein Abriss-Unternehmen an, um eine Aufenthaltserlaubnis zu bekommen. 

Viele, das hat es Spiegel TV einmal recherchiert, arbeiten  gar nicht in diesem Gewerbe, aber um ihren Unterhalt müssen sie sich nicht sorgen. Nach dem EU-Recht haben sie Anspruch auf Hartz IV und auf Kindergeld. Nur zwölf Prozent der in Deutschland lebenden Rumänen nehmen diese Arbeitslosengeld II in Kauf. Die Roma aus der Harzer Straße gehören dazu. 

Kinder als Lebensversicherung 

Die meisten sind gläubige Christen, Anhänger einer evangelikalen Pfingstgemeinde. Ihr Glaube verbietet es ihnen, Alkohol zu trinken. Auch Verhütung ist tabu. Das erklärt, warum sie viele Kinder haben, vier, fünf, sechs oder mitunter sogar zehn. Die Kinder sind ihre Lebensversicherung. Viele Menschen auf engem Raum. So kann sich das Virus schnell verbreiten.  

Infiziert hatten sich die Bewohner offenbar bei einem Gottesdienst. Der Pastor der Pfingstgemeinde liegt jetzt im Krankenhaus. Auf die Spur gekommen war ihm der Bezirk eher zufällig. Prophylaktische Tests in einer Neuköllner Grundschule hatten ergeben, dass sich zwei Kinder aus dem Haus damit infiziert hatten. So kam der Bezirk auf die Harzer Straße. Statt die ganze Schule zu schließen, isolierte er die betroffene Klasse und stellte die Bewohner des Hauses unter Quarantäne. 

„Hört auf, die Menschen zu bashen“

Seither wird der Stadtteil von Reportern belagert. Alle wollen wissen, was das für Menschen sind, die jetzt von einigen als „Super-Spreader“ stigmatisiert werden. In Berlin gäbe es andere Leute, die diese Rolle auch ausfüllen könnten. Partygänger zum Beispiel, die zu tausenden für die schnelle Wiedereröffnung der Clubs auf der Spree demonstrierten und dabei alle Sicherheitsvorkehrungen ignorierten. Nicht aus Nichtwissen, sondern aus Ignoranz. 

Aber für eine Geschichte geben die Roma mehr her. Sie bedienen Ängste. Sie erfüllen das Klischee des Fremden, der sich nicht integrieren will. Das hat dazu geführt, dass die Roma jetzt plötzlich auch Solidarität im eigenen Kiez erfahren. „Hört endlich auf, diese Leute zu bashen“, sagt ein junger Mann im Karohemd und mit Zopf, der im Kiosk gegenüber neben frischem Kaffee und Zeitungen auch Atem-Schutz-Masken verkauft, 2,50 Euro das Stück. Er sagt, davon werde es nicht besser.  

In der Sackgasse der Parallelgesellschaft 

Er klingt wütend resigniert zugleich. Von der Politik fühlt er sich im Stich gelassen. Hat die SPD in Neukölln gar nichts aus ihren Fehlern mit der Integrationspolitik gelernt? Neuköllns Stadtrat für Jugend und Gesundheit, Falko Liecke (CDU), will das lieber nicht kommentieren. Aber auch er denkt, was viele Anwohner denken. 

„Ich habe nicht den Eindruck, dass die Menschen angekommen sind. Es hat sich eine Parallelgesellschaft verfestigt.“ Die Roma zu integrieren, dieses Ziel sei  aber vielleicht eine Nummer zu groß, sagt der CDU-Mann. Als Jugendstadtrat setzt er auf Bildungsarbeit für Kinder. Er will besonders die Mädchen stärken, damit sie den Kreislauf aus Verheiratung. Mutterschaft und Hartz IV durchbrechen können. 

Ob das klappt? Liecke sagt, man müsse es zumindest versuchen: „Es geht nur über die nächste Generation.“  

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