Behandlung von Corona-Patienten - „Schon halb so schlimm wie Italien wäre erschreckend“

Die Zustände in spanischen und italienischen Krankenhäusern sind verheerend. Wegen knapper Ressourcen müssen Ärzte täglich entscheiden, wer leben darf und wer sterben muss. Auch Deutschland wappnet sich bereits für diesen Fall, der sich Triage nennt. Der Medizinethiker Uwe Janssens spricht über die ethische Dimension einer ärztlichen Extremsituation.

Ein Ausnahmezustand wie in Italien ist laut Janssens in Deutschland unwahrscheinlich / picture Alliance
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Autoreninfo

Rixa Rieß hat Germanistik und VWL an der Universität Mannheim studiert und hospitiert derzeit in der Redaktion von CICERO.

 

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Professor Uwe Janssens ist Präsident der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI). Darüber hinaus ist der Chefarzt Sprecher der DIVI-Sektion Ethik. Er war Co-Autor des Dokuments Entscheidungen über die Zuteilung von Ressourcen in der Notfall- und der Intensivmedizin im Kontext der COVID-19-Pandemie.

Professor Janssens, wie geht es Ihnen als Sprecher der Sektion Ethik mit der Vorstellung, über Leben und Tod zu entscheiden?
Wir sind in unserem Beruf in der Intensiv- und Notfallmedizin tagtäglich damit konfrontiert – diese Entscheidungen sind uns nicht fremd. Es ist natürlich eine andere Situation, wenn wir dazu die Frage der Ressourcenknappheit beantworten müssen. Das heißt, dass wir Patienten haben, denen wir bei vorhandenen Ressourcen helfen würden, und die Knappheit von Ressourcen uns vor schwierige Entscheidungen stellt. Wir sind uns dieser Verantwortung sehr bewusst.

Prof. Dr. Uwe Janssens /
Foto: Thomas Wieland

Wenn in Deutschland eine ähnliche Situation eintritt wie in Italien – von der wir ja glücklicherweise noch entfernt sind – was sind dann die Faustregeln für das medizinische Fachpersonal? 
Das eine ist, dass wir dann sehr sehr viele Patienten haben – und nicht nur welche mit Covid-19. Wir haben die anderen Patienten auch noch. Das macht es ja so schwierig. Es ist ja nicht so, dass wir im Alltag – außerhalb der Corona-Pandemie – so agieren, als ob die Ressourcen endlos wären.

Wir müssen uns immer wieder die Frage stellen, ob es Sinn macht, einen schwerkranken Patienten auch unabhängig vom Alter einer sehr invasiven Therapie zuzuführen. Da berücksichtigen wir immer die ethischen Prinzipien von ärztlicher Indikationsstellung in Bezug auf das Therapieziel, den Patientenwillen; dann haben wir Schaden und Nicht-Schaden und die Gerechtigkeit immer im Auge. Mit diesen fünf Begriffen kommen Sie eigentlich durch die ganze Materie ganz gut durch.

In Italien will man nicht eine hohe Anzahl von Menschenleben retten, sondern zieht in Extremfällen junge Patienten den alten vor. Das ist in Deutschland nicht der Fall. Inwieweit basiert der Ethik-Leitfaden auf den Best-Practices aus anderen Ländern?
Das italienische Beispiel war ja das, was uns dazu gebracht hat da aktiv zu werden. Wir wollen vorbereitet sein. Es war goldrichtig, dass wir das jetzt gemacht haben – parallel hat der Deutsche Ethikrat ja auch ein Stellungnahme verfasst. Leben kann man nicht gegen Leben aufwiegen und wir können bei dieser schwierigen Fragestellungen definitiv nicht den Wert des einen Lebens mit dem Wert des anderen Lebens vergleichen und so eine Entscheidung fällen.

Das ist eine höchst schwierige Aufgabe. Eine Priorisierung aufgrund des Alters oder aufgrund sozialer Kriterien oder einer vorliegenden Behinderung ist absolut unzulässig. Das Dokument ist ein erster Aufschlag – wir haben extra einen Link eingebaut, unter dem Kollegen und Kolleginnen Anmerkungen und Verbesserungsvorschläge einarbeiten können.

Können Sie die Situation in Spanien und Italien beurteilen?
Es ist – man möchte den Begriff gar nicht nennen – wie Krieg und fühlt sich wahrscheinlich auch so an. Das will man als Arzt nicht erleben; dass man gar nichts hat, womit man den Menschen helfen kann und sie einem unter den Fingern wegsterben. Das ist eine furchtbare Situation. Die psychologische Belastung ist enorm. Aber ich bin der sicheren Überzeugung, dass wir sowas hier in diesem Ausmaß nicht erleben werden. Aber selbst wenn die Situation nur halb so wäre wie in Italien, wäre das schon erschreckend und würde zu erheblichen Belastungen führen.

Im Fall der Fälle soll das Dokument „Entscheidung über die Zuteilung von Ressourcen in der Notfall- und Intensivmedizin im Kontext der der Covid-19-Pandemie“ reevaluiert werden – nach einem sechs Augen Prinzip. Warum?
Wir sprechen an anderer Stelle auch von einem Mehr-Augen-Prinzip. Je mehr Augen, je besser. Solche Entscheidungen kann man definitiv nicht auf Assistenzarzt-Ausbildungs-Ebene fällen. Das sind klare Entscheidung, die mit Expertise in der Beurteilung getroffen werden müssen. Voraussetzung für solche Entscheidungen sind sicher eine jahrelange Expertise in der Intensiv- und Notfallmedizin.

Bis dato ist man eine zeitlich begrenzte oder gar punktuelle Triage gewohnt – wie unterscheidet sich die bisherige Triage an Katastrophenorten zu möglichen Ausnahmesituationen in Krankenhäusern? Wie funktionieren solche schweren Entscheidugnen am Fließband?
Da gibt es ja gar keine Erfahrungswerte. Da sind wird nicht drauf trainiert worden. Wir sind aber trainiert und ausgebildet, schwerwiegende Entscheidungen in kritischen Behandlungssituationen zu stellen. Als Intensivmediziner sind wir da natürlich gefragt, weil wir tagtäglich mit diesen Fragen konfrontiert sind. Diese Erfahrung haben wir schon und können unsere ganze Expertise da einbringen.

Wie garantiert man, dass in Stresssituationen nicht einfach nach dem Bauchgefühl entschieden wird? Kann man das überhaupt garantieren?
Ideal wäre natürlich ein medizinisches Behandlungsteam, dass nur für die medizinischen Sachfragen, Lösungen und Behandlungen zuständig wäre – und darüber hinaus ein Team, das sich mit den (ethischen) Fragen der Priorisierung beschäftigt. Natürlich kann man in Situationen kommen, in denen wenig Zeit besteht, aber das fordert der Ethikrat schon zu Recht ein, dass wir nicht aus dem Bauch heraus Schnellschuss-Entscheidungen treffen. Es macht daher Sinn, dass man bei einem Patienten im vornherein die Tatsachen kennt und sie bewerten kann.

Sie haben es gesagt – die psychische Belatung ist enorm. Gibt es Maßnahmen für die psychische Entlastung der medizinischen Fachkräfte?
In dem Paper haben wir erwähnt, dass es zumindest schriftliche Hinweise gibt. Wir haben nur wenige Kliniken, in denen wir Akut-Interventionsteams oder eine psychologsche Unterstützung haben, die dann zu Verfügung stehen. Die meisten haben das gar nicht. Das wird auch nicht mehr-finanziert, obwohl solche Maßnahmen an dieser Stelle helfen könnte. Nur wir haben wir sie nicht.

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