Apple Iphone - „Überwachung findet zunehmend asymmetrisch statt“

Apples neues iPhone X kann seinen Besitzer per Gesichtserkennung identifizieren. Inwieweit sind solche Funktionen der nächste Schritt hin zu einer Gesellschaft gegenseitiger Überwachung? Ein Gespräch mit dem Autoren und Diplom-Informatiker Benjamin Kees

Das neue Iphone soll im Novemer auf den Markt kommen und ersetzt das alte Iphone 7 / picture alliance
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Bastian Brauns leitete das Wirtschaftsressort „Kapital“ bei Cicero von 2017 bis 2021. Zuvor war er Wirtschaftsredakteur bei Zeit Online und bei der Stiftung Warentest. Seine journalistische Ausbildung absolvierte er an der Henri-Nannen-Schule.

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Herr Kees, jetzt werden unsere Gesichter nicht mehr nur als Pilotversuch von Kameras wie am Berliner Bahnhof Südkreuz erfasst. Apple hat nun sein neues iPhone vorgestellt. Es soll seinen Besitzer ebenfalls anhand des Gesichts erkennen. Wird die Überwachung immer umfassender?
Es gibt zwischen der Gesichtserkennung, die am Südkreuz getestet wird und einer Gesichtserkennung zum Entsperren des eigenen Telefons einen großen Unterschied. Für eine Gesichtserkennung, die auf meinem Telefon stattfindet, kann ich mich entscheiden. Ich kooperiere in dem Moment mit der Kamera, indem ich möglichst erkennbar in die Kamera blicke. Nach heutigem Stand der Technik sollte es funktionieren, dass ich erkannt werde und sich mein Telefon entsperrt. Allerdings ist so eine Kamera im Telefon, wie wir ja schon mehrfach lesen mussten, leicht auszutricksen. Selbst die Iriserkennung konnte mit ein paar Handgriffen getäuscht werden.

Aber ist Überwachung nicht trotzdem gleich Überwachung?
Der Gesichtserkennung im öffentlichen Raum, so wie sie von der Bundespolizei, der Bahn und dem Bundesinnenministerium gewünscht wird – nämlich flächendeckend und dauerhaft – ist eine ganz andere Dimension. Auch wenn technisch dahinter etwas ganz ähnliches abläuft. Hier gibt es für Menschen, die einfach nur irgendwo bedenkenlos langlaufen, keine Möglichkeit, sich dieser Erkennung dauerhaft zu entziehen, ohne dabei Lebensqualität zu verlieren. Dabei können diejenigen, die davon ausgehen, dass nach ihnen gefahndet wird, sich der Überwachung leicht mit Mützen, Bärten und Brillen entziehen. Somit hat eine Gesichtserkennung im öffentlichen Raum täglich dramatische Auswirkungen auf die Grundrechte Tausender Menschen und diejenigen, um die es eigentlich geht, bleiben unerkannt.

In Ihrem Buch „Algorithmisches Panopticon“ beschreiben Sie eindrücklich, wie wir uns letztlich alle gegenseitig überwachen. Wie weit sind wir damit schon?
Es ist ja nicht wirklich eine gegenseitige Überwachung. Das Ganze findet zunehmend asymmetrisch statt. Während früher soziale Kontrolle im öffentlichen Raum vielleicht durch strafende Blicke und Anwesenheit stattfand, starren nun Kameras auf die Menschen herab. In weit mehr als 90 Prozent der Maßnahmen ist nicht mal erkennbar, aus welchem Grund sie stattfindet. Man konstruiert sich also – vielleicht auch unbewusst – eine Norm, die einen in der Freiheit sich im öffentlichen Raum zu bewegen einschränkt. Videoüberwachung ist dabei auch nur ein Puzzleteil in der Überwachungsgesamtrechnung aus Vorratsdatenspeicherung, Auswertung von Metadaten und der noch viel umfangreicheren privatwirtschaftlichen Überwachung, die viel größere Auswirkungen auf die Gesellschaft und jeden Einzelnen haben wird, als man annehmen will.

Was kann dagegen überhaupt getan werden? Viele Menschen scheint es nicht zu interessieren. Sie sagen, sie hätten ja nichts zu verbergen.
Vielen ist der Zusammenhang zwischen der Aussage „Ich habe doch nichts zu verbergen“ und einer Solidarität nicht klar. Wenn ich behaupte, nichts zu verbergen zu haben, dann trifft man diese Aussage und die Entscheidung ja nicht nur für sich. Viele um mich herum haben meine Kontaktdaten in ihrem Telefon und haben diese ohne es zu bedenken an Social Media Plattformen wie Facebook weitergeben. Sie haben für mich entschieden, ohne dass ich jemals einen Fuß auf die Seite gesetzt habe, dass diese Firmen Informationen über mich haben und verknüpfen. Selbst wenn es für einen einzelne Menschen und seine Daten unnötig scheint, sie zu schützen – was ich in den allermeisten Fällen stark bezweifele – so sollten wir doch als Gesellschaft den Wunsch haben, dass etwa Anwälte, Psychotherapeuthen, Seelsorger und Journalisten unüberwacht handeln können. Gerade diese Leute und damit auch ihre Klienten dürfen sich nicht durch Überwachung eingeschränkt fühlen, oder ungewollte Informationen über andere preisgeben müssen.

Beim G20-Gipfel kamen neulich sogar Journalisten auf eine schwarze Liste des Bundeskriminalamtes, die dort fälschlicherweise standen. Muss man also nicht mal was zu verbergen haben, um verdächtig zu sein?
Genau! Zur Behauptung, man habe nichts zu verbergen, kommt man ja immer nach den eigenen Kriterien, die man von „Recht und Ordnung“ hat. Tatsächlich sind die Interessen, die hinter der Auswertung der Informationen stehen, völlig unklar und können sich ja in Zukunft ändern. Eine grundsätzliche Datensparsamkeit ist also empfehlenswert, wenn man nicht nach Kategorien behandelt werden will, die sich jemand anderes ausdenkt oder ein Computerprogramm statistisch errechnet.

Es wurden schon viele Überwachungsdystopien geschrieben. Fehlt uns trotzdem die Fantasie, uns die Folgen für unsere Realität vorzustellen?
Ein mulmiges Gefühl haben doch die meisten, wenn sie Technik benutzen oder darüber nachdenken. Diejenigen, die für die Überwachungstechniken werben, schaffen es nur immer wieder, die Überwachung – die nicht anders genannt werden kann – so zu verkaufen, dass sie besonders komfortabel und hilfreich wirkt. Nur besteht die Notwendigkeit eines Zusammenhanges zwischen bequemer Nutzung und dem Preisgeben von Daten in vielen Fällen gar nicht. Und ein wirklicher Sicherheitsgewinn durch Überwachungsmaßnahmen ist in vielen Maßnahmen wie Videoüberwachung inzwischen lächerlich zu behaupten. Es gibt keine ernstzunehmende Studie, dass Videoüberwachung einen präventiven Nutzen hat. 

Sie selbst haben wahrscheinlich kein iPhone, oder?
Ich habe kein iPhone. Ich bevorzuge dezentrale nichtkommerzielle Kommunikationskanäle und versuche allen, mit denen ich regelmäßig kommuniziere, Verschlüsselung zu erklären und einzurichten. So schwer ist das alles nicht mehr. Niemand muss mehr all seine Kontakte an eine Firma wie Facebook verschenken, die mit den Daten ganz eigene Ziele verfolgt, die nur zufällig ab und zu mit den eigenen Interessen übereinstimmen. Tatsächlich bieten bei jedem Besuch einer Website, unzählige Firmen Geld dafür an, mich mit dem Wissen, dass sie bei Datenhändlern eingekauft haben, bei meinen Entscheidungsfindungen auf ihren eigenen Weg zu locken. Das passiert inzwischen im Millisekundentakt.

Welche Folgen sehen Sie für uns gesellschaftlich?
Firmen wie Facebook, Apple und Google sammeln so unfassbar viele Informationen über eine Gesellschaft und einzelne Menschen, die sie nach ihren eigenen subjektiven Mechanismen auswerten. Mit diesem Wissen beeinflussen sie nach allen Mitteln der Kunst die Menschen und gestalten die Gesellschaft mit. So verliert jene eine gewisse Selbstbestimmtheit. 

Stichwort Schere im Kopf. Was macht das mit dem Einzelnen?
Die Schere im Kopf merkt man zum Beispiel beim Tippen einer Mail oder einer Kurznachricht, bei der ich nicht ausschließen kann, dass jemand oder ein Computerprogramm mitliest und sie auswertet. Man hält inne und löscht etwa ein paar Worte. Die Schere im Kopf merkt man auch, wenn man zögert, an völlig legitimen Handlungen wie einer Demo teilzunehmen, weil man vermuten muss, dass man dabei mit hochaufgelösten Kameras und Gesichtserkennung die ganze Zeit identifiziert wird und völlig unzutreffend mit bestimmten Dingen assoziiert wird, was einem später eventuell zum Nachteil ausgelegt wird.

Was kann jeder konkret für sich unternehmen?
Sobald Fotos von meinem Gesicht zur Verfügung stehen, können diese mit Programmen zur Gesichtserkennung abgeglichen werden. Dass Kameras von Laptops und Smartphones eingeschaltet und die Bilder abgegriffen werden können, ohne dass man es merkt, sollte sich inzwischen rumgesprochen haben. Viele Menschen, die zum Beispiel den Snowden-Film gesehen haben, kleben ihre Kameras ja inzwischen ab. Das ist ein kleiner Schritt, den jeder und jede gehen kann, um ein wenig mehr aufatmen zu können. Auf weitere Schritte kommt man am besten selbst, wenn man sich bei einem Dienst den man nutzt die Frage stellt, bin ich hier Kunde oder bin ich das Produkt, an dem jemand anderes auf meine Kosten verdient.

Mitarbeit: Frederick Leo

 

Benjamin Kees ist Diplom Informatiker und Vorstandsmitglied des Forum InformatikerInnen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung. Sein Buch „Algorithmisches Panopticon“ ist zum Download erhältlich.

 

 

 

 

 

 

 

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