Antisemitismus - Nichts gelernt

Überall auf der Welt brennen nach der Jerusalem-Erklärung von Donald Trump israelische Flaggen. Auch in Deutschland tobt sich muslimischer Antisemitismus aus. Angela Merkel hat spät reagiert, den offensichtlichen Zusammenhang mit der Zuwanderung aber verschweigt sie genauso wie andere Politiker

Brennende Israel-Flagge im Berliner Stadtteil Neukölln / Foto: Jüdisches Forum für Demokratie und gegen Antisemitismus e.V./dpa
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Autoreninfo

Alexander Kissler ist Redakteur im Berliner Büro der NZZ. Zuvor war er Ressortleiter Salon beim Magazin Cicero. Er verfasste zahlreiche Sachbücher, u.a. „Dummgeglotzt. Wie das Fernsehen uns verblödet“, „Keine Toleranz den Intoleranten. Warum der Westen seine Werte verteidigen muss“ und „Widerworte. Warum mit Phrasen Schluss sein muss“.

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Es ist wieder soweit: Auf Deutschlands Straßen wünscht man Juden den Tod. Israel soll brennen, der Judenstaat verschwinden, beim lodernden Davidstern und der angezündeten Landesflagge macht man den Anfang. Das waren die Bilder und Botschaften der zurückliegenden Tage, eines Wochenendes der Schande. Unweit des Bundestags, wo in Sonntagsreden ein „Nie wieder“, ein „Wehret den Anfängen“ risikolos beschworen wird, in Rufnähe zum Stelenfeld, das an die Ermordung der europäischen Juden erinnert, die in Berlin von Deutschen organisiert und umgesetzt wurde, hier, wo eine Nation sich selbstgewiss auf die Schulter klopft für ihre „Lehren aus der Geschichte“, kehrt der öffentliche Antisemitismus brachial zurück.

Ob es ein deutscher Antisemitismus ist, ein Antisemitismus von deutschen Staatsbürgern, bleibt ungewiss. Es ist ein muslimischer Antisemitismus auf deutschem Boden, und er wird von der publizistisch-politischen Betroffenheitselite eher verschämt, auf jeden Fall verzögert wahrgenommen. Am Freitag bereits wurde die einzige sichere Heimstätte der Juden, die einzige Demokratie im Nahen Osten, unflätigst beschimpft, ihr Untergang prophezeit. Dass Donald Trump angekündigt hat, die US-amerikanische Botschaft nach Jerusalem zu verlegen und somit als Hauptstadt Israels anzuerkennen, genügte, um den in der islamischen Welt weit verbreiteten Judenhass vor das Brandenburger Tor zu tragen. Und später nach Neukölln, nach Stuttgart, auch nach Wien und Göteborg und London. Überall Miasmen des Hasses, Fratzen der Unmenschlichkeit. Der Mob von nebenan tobte.

Politik setzt andere Prioritäten

Die Bundeskanzlerin lobte derweil die neue ICE-Strecke von Berlin nach München, fuhr ein kleines Stückchen mit und ließ sich feiern. Ihr Regierungssprecher bewies Talent für schlechtes Timing, als er am Sonntag, dem Internationalen Tag der Menschenrechte, einen derzeit imaginären „Geist der Brüderlichkeit“ zitierend beschwor und angesichts der Tagesereignisse ein Zelt im Wolkenkuckucksheim aufspannte: „Fundament und Kompass für die deutsche Politik“ bleibe diese Überzeugung von der Universalität der Menschenrechte.

SPD-Vize Ralf Stegner teilte derweil mit, er drehe in Bordesholm adventliche Runden, und improvisierte über „schneebedeckte Böden und Dächer“. Am Montag reichte er seine „Bewerbungsrede auf dem SPD Bundesparteitag in Berlin“ nach, nichts sonst. Justizminister Heiko Maas, der Hass auch da orten kann, wo scharfe Kritik am Regierungshandeln geäußert wird, freute sich über den Medienpreis „Goldene Ente“ für die saarländische Ministerpräsidentin. Erst sonntagabends um halb acht bequemte Maas sich zu dem recht lahmen, unspezifischen Statement, „jede Form von Antisemitismus ist ein Angriff auf uns alle. Antisemitismus darf nie wieder einen Platz haben.“ CDU-Präsidiumsmitglied Jens Spahn gab immerhin schon am Freitag ein „fassungslos!“ zu Protokoll und wandte sich am Sonntagmittag gegen „importierten Antisemitismus“. Unbeantwortet lässt Spahn freilich, wer für den „Import“ verantwortlich ist. Die Kanzlerin selbst verweigert sich einer solchen Debatte, wenn sie – spät, aber doch – „gravierende Ausschreitungen“ lediglich verurteilt und auf die „Mittel des Rechtsstaats“ verweist.

Aus der Geschichte die falschen Schlüsse gezogen

Unverändert wandern monatlich über 15.000 „Schutzsuchende“ nach Deutschland ein, die allermeisten davon Muslime. Legen wir das Ergebnis einer Studie von 2013 zugrunde, wonach über 40 Prozent der bereits hier lebenden arabischstämmigen Jugendlichen Juden für „unsympathisch“ halten, und die Aussagen des Migrationsforschers Ruud Koopmans, die Hälfte aller Muslime weltweit hingen einem „erzkonservativen Islam an, der wenig Wert auf die Rechte von Frauen, Homosexuellen und Andersgläubigen legt“ dann folgt daraus: Monat für Monat passieren Antisemiten in mindestens vierstelliger Zahl die deutsche Staatsgrenze. Einige dürfen bleiben und bleiben folglich, einige dürfen nicht bleiben und bleiben doch, wenige kehren zurück. Ob der staatlicherseits aufwendig geführte „Kampf gegen rechts“ da das Mittel der Wahl sein kann? Soeben erreichte der Bevölkerungsanteil der Salafisten in Deutschland laut Bundesverfassungsschutz ein historisches Hoch.

Im Jahr 2000 sprach Friedensnobelpreisträger Elie Wiesel im Deutschen Bundestag: „Mein Volk hat viele Feinde gehabt, seitdem es auf der Bühne der Welt aufgetreten ist, viele sind uns bekannt, aber niemand hat uns so tief verletzt wie Hitlers Deutschland.“ Und er fuhr fort: „Kein Volk, keine Ideologie, kein System hat je solche Brutalität, Leiden und Demütigung in solcher Größenordnung irgendeinem Volk auferlegt wie Ihr Volk es meinem in solcher kurzen Zeit angetan hat.“ Knapp achtzehn Jahre später wächst die Zahl derer, die damals dem Gastredner betroffen zustimmten und heute schweigen, wegschauen, verheimlichen und vertuschen. Geschichte wiederholt sich, wenn man aus ihr die falschen Schlüsse zieht.

Für den morgigen Dienstag übrigens laden „die palästinensischen und arabischen Vereine in Berlin“ zu einer erneuten Demo vor der amerikanischen Botschaft. Motto: „Jerusalem bleibt die ewige Hauptstadt Palästinas!!!“. Abermals müssen Politik und Polizei entscheiden, wo die Toleranz endet. Wissen sie es?

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