AKK und das dritte Geschlecht - Jetzt mal ohne Witz

Der Empörung über die Äußerungen von Annegret Kramp-Karrenbauer zum „dritten Geschlecht“ folgte sofort die Gegenempörung. Vielerorts hieß es, den Kritikern fehle es an Humor. Tatsächlich aber fehlt es vielen an Empathie

AKK macht Witze: von oben nach unten / picture alliance
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Autoreninfo

Bastian Brauns leitete das Wirtschaftsressort „Kapital“ bei Cicero von 2017 bis 2021. Zuvor war er Wirtschaftsredakteur bei Zeit Online und bei der Stiftung Warentest. Seine journalistische Ausbildung absolvierte er an der Henri-Nannen-Schule.

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„Gelassenheit braucht es und ein Urvertrauen in die Kraft der freien Rede“, so schrieb der Kollege Alexander Kissler gestern hier im Cicero über die nun bereits viel diskutierten Äußerungen der CDU-Vorsitzenden Annegret Kramp-Karrenbauer zum „dritten Geschlecht“. Im diesem Sinne und mit Urvertrauen in die Kraft der freien Gegenrede erfolgt nun diese Erwiderung:

Fühlt euch doch nicht immer gleich so angefasst, so lautet die Kritik zusammengefasst. Was habt ihr denn? War doch nur ein Witz. Ist doch alles nicht so schlimm. Jetzt kommen sie wieder, all die linken Berufsempörten, die ausgerechnet uns feinsinnigen Deutschen den Humor diktieren oder gar verbieten wollen. Zum Glück aber dräut uns kein „Humorwächterrat“. Denn tatsächlich ist die Diskussion um Annegret Kramp-Karrenbauer und das „dritte Geschlecht“ eben keine, in der es um Links oder Rechts geht. Denn von der Tatsache, dass es schon rein biologisch nicht nur Männer und Frauen gibt, sind Konservative ebenso betroffen wie Linke.

Es wird Hand angelegt

War früher wirklich alles besser, weil „es“ so schön unkompliziert war? Gab es da einfach nur den Mann und die Frau? Tatsächlich wurde früher und wird bis heute „es“ passend gemacht, wenn „es“ nicht passt. Fühlt euch doch nicht gleich so angefasst? Das gilt in Deutschland nicht. Es wird Hand angelegt, beziehungsweise das Skalpell. Denn nach dem Willen von Vielen darf es nach der Geburt nur heißen: „Es – ist ein Junge“ oder „Es – ist ein Mädchen“.

Dabei hatte – sagen wir doch gerne Gottes Schöpfung – schon immer mehr zu bieten: Es gibt Menschen, die kommen mit biologischen Merkmalen beider Geschlechter auf die Welt. Auch sie könnten glücklich werden, wenn man sie denn ließe. Aber noch immer werden solche Menschen zwangsoperiert. Jedes Jahr sind es noch immer um die 2000 Babys, wie eine Studie der Ruhr-Universität Bochum zur Krankenhausstatistik des Statistischen Bundesamtes ergab. Die psychischen und physischen Folgen für die Betroffenen waren und sind deshalb oftmals so schmerzvoll, dass sie sich das Leben nehmen. Dafür sind wir als Gesellschaft mitverantwortlich – jetzt mal ohne Witz.

Wie passt es zum christlichen Leitbild, auch einer CDU-Vorsitzenden, es als notwendig zu erachten, über Kinder zu witzeln, denen man ohne sie fragen zu können, ihr Geschlecht operativ und damit ihr Leben zerstört hat? Wie janusköpfig erscheint es, wenn selbige einen Schwangerschaftsabbruch als unbotmäßigen Eingriff in Gottes Plan einstuft?

Kein drittes Geschlecht aus dem Prenzlauer Berg

Denn darum geht „es“: Das Thema Mehrgeschlechtlichkeit ist eben keine spinnerte Idee aus dem Berliner Prenzlauer Berg, wie es Annegret Kramp-Karrenbauer in ihrer Karnevals-Rede versuchte, zu suggerieren. Womöglich trinken dort auch nur noch saarländische Touristinnen einen Latte Macchiato und halten dies für hip. Mehrgeschlechtlichkeit ist Realität, die auch ein „Witz“ nicht in der Lage ist zu verdecken. Intersexuelle und Transsexuelle sind auch keine vermeintlich verweichlichten Männer, die nicht mehr wissen, ob sie im Stehen oder im Sitzen pinkeln sollen. Ganz nebenbei kann man sich hier ohnehin fragen: Wünscht sich Annegret Kramp-Karrenbauer tatsächlich vollurinierte Toillettenbrillen zurück? Sollte sie nicht eher Interesse an jenen Menschen haben, die es aufgrund unserer vielerorts strikten Einteilung in Mann und Frau sehr viel schwerer haben als die meisten von uns? Wollen wir es wirklich der Art des Klogangs überantworten, ob wir es mit Würde verdienenden Menschen zu tun haben?

Es geht hier nicht um eine bemitleidenswerte Gruppe. Es geht um Menschen, die nicht der biologischen männlich-weiblichen Regelhaftigkeit entsprechen. Und es geht um die Fähigkeit von Empathie für sie. Es geht darum, was eine mächtige Frau wie Annegret Kramp-Karrenbauer auslöst, aus Sicht einer derart marginalisierten Gruppe.

Ja, Deutschland hat tatsächlich ein Problem mit dem Humor, wenn es Deutschland nötig hat, den Schwächsten mittels Urinalhumor ans Bein zu pinkeln. Denn Karneval, das war nicht nur der christlich-feierliche Abschied vom Fleisch, der Beginn der Fastenzeit, die Vorbereitung auf Ostern und Christi Auferstehung. Im Karneval wurde im Mittelalter sogar hinter die Altäre uriniert. Womöglich sogar im Stehen. Der würdige Zweck: Beim Karneval sollte gegen die Mächtigen polemisiert werden, von unten wurde also nach oben getreten – und nicht umgekehrt. Kramp-Karrenbauer tritt nach unten auf Minderheiten. Sie macht es nicht zum ersten Mal.

Empathie für Menschen entwickeln

Vielleicht war früher gar nicht alles besser, sondern heute. Denn die Betroffenen organisieren und  wehren sich. Sie finden Gehör bei jenen, die bereit sind, zuzuhören. Sie haben es genau genommen sogar geschafft, dass ihr Thema nun auf den Karnevals- und Fastnachtsbühnen von einer CDU-Vorsitzenden vorgetragen wird, wenngleich auf verletzende und geschmacklose Weise. Die als Witz gemeinte Äußerung von Annegret Kramp-Karrenbauer zeigt: Bis in die Mitte der Gesellschaft hinein scheint noch viel Arbeit, Diskussion und vor allem Aufklärung nötig zu sein. Dass es hierbei erneut zu Verletzungen kommt, wird hoffentlich der letzte Preis sein, den die bereits Verwundeten zu zahlen haben. Der laute und zahlreiche Widerspruch, der aus vielen Parteien zu hören war, auch jenseits von Linken, SPD und Grünen hat eine Frohe Botschaft. Sie lautet: Minderheiten werden in Deutschland nicht mehr alleine gelassen.

Der CDU-Vorsitzenden Kramp-Karrenbauer bleibt zu wünschen, dass sie es schafft, die CDU zu einen und dabei trotzdem Empathie für jene Menschen zu entwickeln. Vielleicht ein wenig Humanismus statt Humor auf Kosten anderer. Eine Entschuldigung wäre dafür ein Anfang. Eigentlich wäre AKK als Saarländerin ja prädestiniert dazu, die betonierten Grenzen zwischen Mann und Frau zu sprengen. Entbehrt es doch nicht einer gewissen Ironie, dass man ausgerechnet im saarländischen Dialekt nicht „Die“ sagt, sondern durchaus liebevoll und wertschätzend: „Es“ Annegret.

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