Angela Merkel - Nicht zu fassen

Kolumne: Leicht gesagt. Journalisten beklagen sich über den „langweiligen“ Wahlkampf von Angela Merkel. Das mag stimmen, doch für die Kanzlerin ist die Ereignislosigkeit ein Erfolgsrezept. Bei den Wählern kommt der Eindruck von Ruhe und Zuversicht an

Mag ihr Wahlkampf auch als „langweilig“ dargestellt werden, liegt in Merkels Gelassenheit doch ihre Stärke / picture alliance
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Wulf Schmiese leitet das „heute journal“ im ZDF. Zuvor hat er als Hauptstadtkorrespondent, jahrelang auch für die FAZ, über Parteien, Präsidenten, Kanzler und Minister berichtet.

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Es sagt sich leicht, dieser Wahlkampf sei öde. Die Bundeskanzlerin hat auf ihrer alljährlichen Sommerpressekonferenz tatsächlich vorwiegend Vorhersehbares gesagt. Doch wollen wir allen Ernstes das Gegenteil? Überraschungskanonen wie Donald Trump, Recep Tayyip Erdogan oder auch Wladimir Putin?

Die Presse kommentiert Merkels Auftritt vor Deutschlands Hauptstadtjournalisten verdrossen bis übellaunig: Ihre Routine versprühe „einen gewissen Grad an Langeweile“, sie liefere „keinen Neuigkeitswert“. Die Kanzlerin erkläre die Welt. „Was der Wähler wirklich in den kommenden vier Jahren zu erwarten hat: Dazu hat die Kanzlerin nichts Konkretes zu verkaufen.“ 

Unaufgeregte Einsicht

Es stimmt ja auch: Merkel suggeriert keinen konkreten Bauplan für Deutschlands Zukunft. Wie seriös wäre das aber auch in Zeiten nachrichtlicher Überrumpelungen auf der Welt? Sie steuert die Gegenwart an, will ein Land, „in dem wir gut und gerne leben“. Das klingt banal. Es ist aber streng genommen ein großes Ziel, den Status quo erhalten zu wollen. Daran wird Merkel gemessen werden.

Gerade ihre offensichtliche Unaufgeregtheit verrät Einsicht. Vor zwei Jahren betrieb Merkel die gegenteilige Politik. Auch wenn sie das mehr reaktiv als aktiv tat, weil sie glaubte, mit einer enthusiastischen Willkommenspolitik dem Wunsch der großen Mehrheit der Deutschen zu entsprechen. Das wiederum sorgte für Aufregung, die der Kanzlerin höchst selbst bald unheimlich wurde.

Inzwischen wird das Thema Flüchtlinge klein gefahren, soll für sie im Wahlkampf möglichst keine Rolle spielen. Sie hofft, links der Mitte noch immer vom Nimbus der Flüchtlingskanzlerin profitieren zu können. Tatsächlich aber ist ihre Abschottungspolitik so restriktiv, wie sie es nie zuvor war in der Geschichte der Bundesrepublik. Ihrem einst so scharfen Kritiker Horst Seehofer reicht dieser deutliche Richtungswandel offenbar, so dass er seine Obergrenzen-Forderung weitgehend für obsolet hält. Deshalb ist dieser Wahlkampf eben doch weit friedlicher, als noch vor einem Jahr erwartet.

Schärferer Kurs gegenüber Türkei

In Merkels präsidialen, so routiniert heruntergespulten Antworten gab es auf der Bundespressekonferenz durchaus einige nennenswerte Neuigkeiten. So ist die Kanzlerin nun deutlich wie selten zuvor gegenüber der Türkei. Die solle sich ihren Wunsch nach engeren Geschäftsbeziehungen mit der EU abschminken, wenn sich der paranoide Kurs Erdogans nicht ändere: „Ich sehe nicht, und wir sehen nicht als Bundesregierung, dass wir in den nächsten Monaten ein Mandat erteilen könnten, um über die Zollunion zu sprechen, solange die Situation so ist wie sie jetzt ist.“

Auch hat Merkel ein Thema aufgegriffen, dessen Regelung ihr in den Wirren des Flüchtlingssommers 2015 nicht gelungen war: Die Einbindung der EU bei der Verteilung der Ankommenden. „Da muss man als erstes mal sagen, dass Europa selber seine Hausaufgaben bis heute nicht gemacht hat. Weder haben wir ein funktionierendes Dublin-System“, sagte Merkel, „noch haben wir die Bereitschaft aller zu einer fairen Verteilung von Flüchtlingen, wenn sie in Europa ankommen. Diese Tatsache ist ein Manko.“ In Paris gab es nun auf einem Flüchtlingsgipfel zarte Ansätze, dieses Problem post festum anzugehen. 

Innenpolitisch aber gibt es anstatt der Flüchtlinge längst thematisch andere Aufreger, die Merkel dankbar aufgreift. Zur Diesel-Affäre spricht sie über verlorenes Vertrauen in die Auto-Industrie: „Es gibt schon eine riesige Enttäuschung.“ Mag sein, doch ihre eigentliche Botschaft ist, dass der Verbrennungsmotor noch für „Jahrzehnte“ als Brückentechnologie in Benutzung bleiben wird. Zu wichtig sind die Motorenhersteller für Deutschland.

Wie ein Stück Seife

Sie ist schwer zu fassen, was eben nicht nur dem Herausforderer Martin Schulz zu schaffen macht, sondern auch Deutschlands Journalisten. Weil ihnen der größte Berichtsgegenstand im Wahlkampf wegflutscht wie ein Stück Seife, machen sie genau das zum Thema und nennen es Langeweile.

Auch hier aber lässt Merkel sie abrutschen und gibt sich als Ausgleich-Mutter der Nation: Wenn Wahlkampf nur sei, „wenn man sich gegenseitig beschimpft, dann ist das nicht die Vorstellung, die ich von Wahlkampf habe“. Im Wahlkampf werde „über all die Themen gesprochen, die wichtig sind für die Menschen“, sagt sie, und diese Banalität wird zur Nachricht. „Deshalb haben wir, wie ich finde, einen sehr interessanten Wahlkampf.“ Auf die Frage, ob von ihr im Wahlkampf noch Neues oder Überraschendes zu erwarten sei, antwortet die Kanzlerin: „Ich gebe mein Bestes.“

Ja, spannend klingt das nicht. Aber auch viele einseitige Wutbürger haben erkannt, was in den USA und Großbritannien Wutwähler angerichtet haben: einen Scherbenhaufen. Insofern ist wohl die wahre Botschaft dieses Wahlkampfs, welche die Bundeskanzlerin auch so siegessicher macht: „In der Ruhe liegt die Kraft“.

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