Hype um Merkels Rücktritt - Die deutsche Heilige

Ihre publizistischen Bodyguards feiern Angela Merkels Rückzug vom CDU-Vorsitz als politische Großtat mit Stil. Dabei ist ihre bleierne Regierungszeit noch nicht mal zu Ende

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Heilige Raute? Deutsche Medien stilisieren Merkels Rücktritt unreflektiert zu einer großen Geste / picture alliance
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Autoreninfo

Frank A. Meyer ist Journalist und Kolumnist des Magazins Cicero. Er arbeitet seit vielen Jahren für den Ringier-Verlag und lebt in Berlin.

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Vielleicht muss man Jürgen Kaube zitieren, den brillant-trockenen Herausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, um zu verstehen, wie weit sich Angela Merkel den deutschen Journalismus gefügig gemacht hat. Auch ihn, den sonst so schwulstfreien Feuilletonchef, drängte es zu einer Laudatio: „Stil“ habe sie bewiesen, die Bundeskanzlerin, mit „ihrer Art des politischen Rückzugs“ – dadurch „der Würde von Amt und Person hoch angemessen“ gehandelt.

Stil? Volker Zastrow, kreuz- und querdenkender Politikchef der im selben Verlagshaus erscheinenden Sonntagszeitung, dichtete Angela Merkel unter Verweis auf das US-Leinwandepos „Wild – der große Trip“ einen überschweren Rucksack an, den sie mit ihrem Rücktritt als CDU-Vorsitzende ablege – um leichtfüßig über all die roten Teppiche der kommenden Kanzlerjahre zu tänzeln. So muss wohl, wer ihr im Parteiamt nachfolgen will, jenen kolossalen Rucksack schultern. Er ist voller Steine. Vor allem die Grenzsteine von 2015, welche die migrationsselige Regierungschefin aus dem Weg räumen ließ, als eine Million Migranten ohne jegliche Kontrolle in ihr Sehnsuchtsland strömten, die Bundesrepublik.

Merkel verzichtet auf das falsche Amt

Kann da von Stil die Rede sein, wenn sich Merkel derart locker der Last ihres fahrlässigen Laisser-faire entledigt, nach dem Motto: Was gehen mich meine Unterlassungen von gestern an? Es wäre an der Zeit für Auf- und Abrechnungen. Doch Berlins Öffentlichkeitsarbeiter feierten Angela Merkels Rücktritt vom Parteiamt als Großtat: Endlich habe sie das Volk erhört und Konsequenzen aus den Niederlagen der Union in Bayern und Hessen gezogen. Doch worüber hatten die Bürger mit ihrem Anti-Berlin-Votum eigentlich abgestimmt: über die Parteichefin oder über die Regierungschefin?

Den publizistischen Bodyguards der Kanzlerin ist es gelungen, die merkelverdrossenen Staatsbürger von Bayern und Hessen zu CDU/CSU-Mitgliedern umzudeuten, die mit ihrer Stimmabgabe bei den Landtagswahlen im Oktober nichts anderes im Sinn hatten, als die Parteivorsitzende zu stürzen, auf gar keinen Fall jedoch die Kanzlerin.

FDP-Chef Christian Lindner enthüllte den Fake: „Frau Merkel verzichtet auf das falsche Amt.“ Die Neue Zürcher Zeitung, für kritische deutsche Zeitgenossen seit einiger Zeit eine Art Guckloch ins Freie, sprach aus, weshalb die Herzenskönigin der Medien nicht nackt sein durfte: „Sie ist eine Heilige der deutschen Politik.“

Das Ende einer journalistischen Konsenskultur

In der Tat, was man nach dem Rucksack-Rücktritt zu lesen bekam, bestätigt die Diagnose aus Zürich: Die Zeit, der Gebenedeiten kniefällig gefällig, schwärmte von einem „unnachahmlichen Abgang“, sei doch das Loslassen eine Kunstform, die zu beherrschen Merkel damit „bewiesen“ habe, womit sie den „Weg in die Zukunft“ öffne und einen „sehr schönen Prozess“ einleite, nämlich „eine wichtige demokratische Phase“. Letzteres freilich war ein fragwürdiges Lob – weil allzu wahr! Endlich findet in der CDU Demokratie statt – statt Hofschranzentum, wie in den bisherigen 18 Merkel-Jahren.

Mit dem vorerst nur vorgesehenen Abtritt von Angela Merkel geht mehr zu Ende als lediglich eine bleierne Regierungszeit. Ebenfalls zu Ende geht eine journalistische Kultur, die ihre ikonische Verkörperung am Bildschirm fand: Anne Will, Moderatorin einer Talk-Sendung, die der perfekten Simulation von Debatten dient. Süffisant lächelt die Worterteilerin jeden echten Streit hinweg. Höhepunkt dieser Vorspiegelung von TV-Demokratie war das Hochamt, das Will der deutschen Weltenlenkerin immer wieder ausrichtete: zwei – vor allem zueinander – liebreizende Frauen mit dem festen Willen, nichts zu sagen, was in den Wohnzimmern oder gar draußen im Land hitzige Diskussionen provozieren könnte.

Bloß keine politischen Sätze!

Was wäre eine wirkliche Debatte? Das heftige Aufeinanderprallen von Meinungen und Haltungen; das Dazwischenreden im Eifer des Gefechts; Aufregung und Zorn und Witz; Schlagfertigkeit und brillante Rhetorik; Freude am treffenden Wort, auch wenn es vom Gegner kommt; ein beseelter Streit der Demokraten. Das Ganze inszeniert und dirigiert von einer mitschwingenden und mittanzenden Moderatorin. Eine Sonntagabendstunde zur Freude und Begeisterung der Bürger. Bei Gott, so was gibt’s! Anderswo.

In Merkels Jahren einer „atmosphère feutrée“ galt es – gilt es immer noch – zu entschärfen, was man gnadenlos bissig formulieren müsste. Die Kanzlerin macht das Kunststück künstlicher Kommunikation vor: Demobilisierung des Bürgers, sobald er nicht genehme – nicht genehmigte – Ansichten vertritt.

Der stille Konsens zwischen politischer und medialer Macht: Am besten – am gehorsamsten – nichts sagen, was auffällig sein könnte: die Omertà der Politik. In der DDR konnten die Volksgenossen genau diese Sprache jahrzehntelang einüben: bloß nichts aussprechen, was gegen den Aussprecher in Stellung gebracht werden könnte. Bloß keine politischen Sätze! Angela Merkel beherrscht die Kunst des beredten Beschweigens meisterhaft. Sie wuchs damit auf. In einem deutschen Staat, der sich Widerspruch verbat. In einer Republik der Alternativlosigkeit.

Demokratie will erlernt sein

Hat sich die Kanzlerin aus dem Osten die westdeutsche politische Kultur je zu eigen gemacht, sie tief in sich aufgenommen, sich anverwandelt? Oh doch – und dies ohne jede Ironie: Angela Merkel ist eine große, eine unbeirrbare Kopfdemokratin, eine blitzgescheite Analytikerin zudem, naturwissenschaftlich trainiert. Doch was versteht sie von den chaotischen, auch anarchischen Wirrungen einer offenen Gesellschaft?

Als Joachim Gauck 2012 Bundespräsident wurde, ernannte ihn die Kanzlerin zum „wahren Demokratielehrer“. Die eilfertige Ehrung des Pastors aus Rostock illustriert Merkels Selbsttäuschung: Wie Gauck hatte sie bittere Erfahrungen mit Unfreiheit gemacht, weshalb sie davon auch wesentlich mehr versteht als jeder Bundesbürger oder gar Schweizer Bürger, der seit langem in Freiheit lebt. Aber Demokratie und demokratische Kultur wollen nun mal erlernt sein, bevor man sie lehrt.

Was wäre gewesen, wenn…?

Hat man die Demokratie dann intus und liebt – ja liebt! – ihre Dissonanzen, kann man sogar mit eigenen Fehlern offen umgehen. Zum Beispiel mit einem Kapitalfehler wie dem Grenz-Kontrollverzicht 2015. Doch Merkel beschweigt ihn bis zum Starrsinn. Deutschlands Regierungschefin kennt das Urviech der Demokratie nicht: die Alternative – die Alternative zu sich selbst. Im Abtreten wird ihr Drama dieser Tage offenkundig – das peinliche aktuelle Bühnenstück Deutschlands. In der ersten Reihe sitzen die Großjournalisten – als Claqueure.

Wie wäre es gewesen in all den Jahren ihrer Regentschaft, hätten die Journalisten Angela Merkel gepiesackt, wie sie es mit Helmut Kohl und Gerhard Schröder taten? Wie wäre es gewesen, hätten nicht zuletzt die vielen Frauen in den Großredaktionen von Print, TV und Radio ihre Schwester Angela ätzend kritisiert, wie es ihnen im Falle von männlichen Machtmenschen so selbstverständlich erscheint und trefflich gelingt? Ja, wie wäre es gewesen? Sicher besser für Angela Merkel. Besser wäre sie gewesen.

Dieser Text stammt aus der Dezember-Ausgabe des Cicero, die Sie am Kiosk oder in unserem Online-Shop erhalten.
















 

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