Am Wahlkampfstand: Die Grünen - Der Spielplatz-Marathon

Hannah Neumann ist grüne Direktkandidatin für den Wahlkreis Berlin-Lichtenberg. Sie tourt durch den Brennpunkt-Bezirk Hohenschönhausen und wagt sich damit in AfD-Kerngebiet vor. Ein Wahlkampf zwischen den Extremen

Hannah Neumann und ihr Team suchten in Hohenschönhausen das Gespräch mit Anwohnern / Chiara Thies
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Autoreninfo

Chiara Thies ist freie Journalistin und Vorsitzende bei next media makers.

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„Jaaaaa, Seifenblasen“, ruft ein Mädchen um die vier Jahre glücklich aus. Sie läuft auf das Fahrrad zu und pikst mit ihrem Finger die Blasen kaputt. Die kommen aus Hannah Neumanns Seifenblasenkanone, welche vorne auf einer Box im Lastenfahrrad steht. Mit ihrem Team ist die Direktkandidatin der Grünen in Hohenschönhausen, einem Teil ihres Wahlbezirks Berlin-Lichtenberg unterwegs. Es ist vier Uhr nachmittags. In der Sonne herrschen gefühlte 30 Grad. Die Mutter des kleinen Mädchens sitzt mit einem kleinen Jungen auf einer Picknickdecke. Neumann tritt auf sie zu und überreicht ihr Aufklebe-Tattoos für die Kinder und ein Wahlprogramm. Die Tochter kommt zurückgelaufen: „Mama, wer ist das?“ – „Das sind die Grünen. Das ist eine Partei.“ – „Warum hast du was von denen genommen?“ Genau das ist Neumanns Ansatz. Über die Kinder möchte die 32-Jährige ins Gespräch mit den Eltern kommen. Bei einem festen Wahlstand kämen immer nur zwei Sorten Menschen, sagt Neumann: die Pöbler und jene, die eh schon grün wählen, aber jemandem ihr Leid klagen wollen. Durch ihren Spielplatzwahlkampf treffe sie mehr unterschiedliche Menschen.

Zuerst Demokratin, dann Grüne

Mit Hohenschönhausen hat sich Neumann dafür kein leichtes Gebiet ausgesucht. Der Bezirk gilt über die Stadtgrenzen hinaus als sozialer Brennpunkt. 40 Prozent der jungen Leute ziehen von hier weg, 60 Prozent der Kinder wachsen in Familien unter der Armutsgrenze auf. Bei der Berlinwahl 2016 holte die AfD hier mit 26 Prozent die meisten Stimmen. Die Grünen gewannen lediglich 7,7 Prozent. Das will Neumann ändern: „Ich bin zuerst Demokratin und dann Grüne. Wenn die AfD hier so stark ist, dann muss ich mich fragen, warum.“ Nur wollen die AfD-Wähler ihr das nicht verraten. Ein Mann sagt mit aggressivem Unterton: „Wenn es nicht von der AfD ist, musst du damit gar nicht erst ankommen.“ Sein Freund beschimpft Neumanns Partei mit: „Ihr Kinderficker, ich will nichts von eurer Pädophilenpartei.“ Die kleine, zierliche Frau entfernt sich bei solchen Kommentaren rasch und mit eingezogenem Kopf. Trotzdem möchte Neumann damit gelassen umgehen. Solche Sprüche nehme sie nicht persönlich, wolle die Menschen aber trotzdem ernst nehmen.

Auch Fahrrad- und Autofahrern hält sie lächelnd das Wahlprogramm entgegen. Gummibärchen gibt es für die Kinder nur nach Rücksprache mit den Eltern – obendrein sind sie vegan. Genauso wie das Papier recycelt ist und die Seifenblasen umweltverträglich. Man könne sich ja nicht für eine Sache einsetzen und sie dann selbst nicht einhalten. „Die CDU lacht uns schon manchmal aus. Die haben einfach einen Bratwurststand, und das wars“, erzählt sie. Neben der Ökologie sind ihre persönlichen Wahlkampfschwerpunkte Kinderarmut, Toleranz und Entwicklungspolitik. Auf der Straße reichen die Reaktionen auf dieses Selbstverständnis von „Komm, hau ab“ bis zu „Viel Glück und schönen Tag noch“.

Chance mit grünen Themen zu punkten

Immerhin beim nächsten Spielplatz können sich Neumann und ihre drei Helfer vor Kindern kaum retten. Alle wollen ein Pinguin-Tattoo auf dem Arm haben.  Die Eltern sitzen abseits auf dem Rasen im Schatten der Plattenbauten. Von den Hochhäusern blättert der Putz ab. Der Spielplatz ist sauber, im Sand sind keine Zigarettenstummel oder Plastikmüll und auch die angrenzenden Grünflächen sind gepflegt. In der Mitte des Platzes steht ein großes Klettergerüst aus Holz. Eine Mutter ruft dem Wahlkampf-Team zu: „Also für Gummibärchen dürfen sie mit mir reden.“ Sie ist übergewichtig, trägt kurze, enge Radlerhosen und ein gelbes, locker sitzendes T-Shirt, ihre Augenbrauen sind auftätowiert. Um sie herum spielen Leyla, Jacqueline und Jeremia Fangen. Neumann antwortet ihr: „Dann gehe ich eben welche holen.“ Als sie mit den Süßigkeiten zurückkommt, bildet sich eine Kindertraube um sie herum. Zwei Schwestern laufen vorsichtshalber zurück zu ihren Eltern, um zu fragen, ob sie etwas von den Gummibärchen nehmen dürfen. Aber alle möchten etwas zum Naschen haben. So kommt Neumann nicht zur Unterhaltung mit der Mutter. Dabei liest jene im Programm und deutet im Gespräch mit einer Freundin auf einzelne Punkte.

Es ist zwanzig nach fünf. Auf dem Weg zum nächsten Spielplatz liegt ein Supermarkt. Davor sitzen sechs Männer und eine Frau und trinken Berliner Kindl. Neumann bereitet ihr Team auf „harte Gespräche“ vor. Die Gruppe fordert im Spaß aber „erstmal einen Kasten Bier“, dann wären alle froh. Schnell geht es um grüne Kernthemen. Ein Vater von acht Kindern beklagt, dass die Grünflächen immer weiter verschwinden würden und auch der Naturschutz zu kurz käme. Mit einer ausholenden Armbewegung deutet er auf sein Umfeld: „Guckt euch doch mal an, wie verkommen hier alles ist.“ Außerdem käme es in den Wohnblocks häufig zu Bränden und Wasserrohrbrüchen. Alles stamme noch aus DDR-Zeiten. Dagegen werde aber nichts unternommen, nur die Hausverwaltung wechsele ständig. Neumann nickt, ja, da seien sie dran. Was sie konkret machen, sagt sie nicht. Doch nach anderthalb Stunden war das immerhin das erste Gespräch.

Ein Kiez mit großen Unterschieden

Mit beiden Händen greifen die Helfer zu den Merchandise-Artikeln und Programmen, packen sie in ihre grünen Jutebeutel, schmeißen die Seifenblasenkanone an und betreten den letzten Spielplatz für heute. Die Anwesenden wenden sich mit irritierten Blicken dem Team zu. Eine Mutter verlässt mit ihrem Sohn und ihrer Tochter an den Händen sofort den Platz. Fünf Frauen unterhalten sich auf Russisch, erst langsam trauen sich ihre Kinder zum Lastenrad. Die Eltern fächeln sich mit den Wahlkampfzetteln Luft zu und beäugen kritisch, was ihr Nachwuchs von den Fremden annimmt. Neumanns Lächeln wirkt immer angespannter. Jedem Kind klebt sie persönlich die Tattoos auf und verpasst darüber erneut das Gespräch mit den Eltern. Ein junger Mann mit Hafermilch unter dem Arm lehnt die Süßigkeiten ab, weil er keinen Zucker esse. Neumann schmunzelt und kommentiert das mit: „Man merkt die Unterschiede im Bezirk. Dabei hat Lichtenberg was Ehrliches.“

Bei Podiumsdiskussionen falle ihr auch schon mal die Präsenz der ehemaligen DDR-Vergangenheit auf. Die sei im Kiez aufgrund der ehemaligen Stasi-Zentrale und des Stasi-Gefängnises besonders ausgeprägt. In diesen Diskussionen forderten die Bürger oft, dass die Parteien sich nicht streiten, sondern einfach nur die Probleme lösen sollten. Dass es im Wahlkampf aber darum geht, die Unterschiede aufzuzeigen, sei vielen nicht immer ganz klar, sagt Neumann. „Alle Parteien auf der Bühne nehmen diese Sorgen ernst, aber jede hat einen eigenen Ansatz, sie zu lösen.“ Manchmal helfe es, das zu erklären. Deswegen sollte es beim Spielplatzwahlkampf auch mehr ums Gespräch gehen als darum, neue Wähler zu akquirieren. Heute ist ihr das nur ein Mal gelungen.

 

Dieser Text ist Teil einer Serie, für die Cicero sich bis zur Bundestagswahl an Berliner Wahlkampfständen verschiedener Parteien umsehen wird. Hier finden Sie die vergangenen Teile zur SPD und zur AfD.

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