Al-Quds-Tag - „Wir wollen doch nur Gutes!“

Beim Al-Quds-Tag in Berlin versammeln sich die unterschiedlichsten Menschen, um für die „Befreiung Jerusalems“ zu demonstrieren. Von einigen hätte man das nicht erwartet, aber auch bei den Gegendemonstranten gibt es Überraschungen. Ein Besuch

Viele Teilnehmer des Al-Quds-Marsches betonten, dass ihr Hauptziel der Friede sei / picture alliance
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Christine Zinner studierte Sozialwissenschaften und Literaturwissenschaft und ist freie Journalistin.

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„Gott besiegt euch! Er gibt uns die Kräfte, dass euer letzter Tag ist!“ brüllt ein arabischstämmiger Mann in gebrochenem Deutsch den ihn im Halbkreis umringenden Reportern entgegen. Vielleicht meint er auch die Demonstranten auf der anderen Seite einer Absperrung, etwa 50 Meter entfernt. Die hatten sich schon länger dort versammelt. Es wehen Antifa- und Israelflaggen. „Lang lebe Israel“, skandieren sie.

Der Mann demonstriert genau dagegen. Es ist Al-Quds-Tag in Berlin. Im Iran ist das ein Feiertag, um gegen Israel und für die „Befreiung Jerusalems“ zu demonstrieren. In der Berliner City-West rund um den Adenauerplatz haben sich etwa 1.200 Menschen dazu versammelt. Auch hier ist die Stimmung eigentlich eher gelöst als aggressiv. Viele der Demonstranten kommen in Gruppen, mit Freunden oder Familie. Bekannte begrüßen sich fröhlich. Ein Vater fotografiert mit stolzem Gesicht seinen etwa dreijährigen Sohn, dem er ein Schild mit der Aufschrift „All united for a free Palestine“ in die Hand gedrückt hat. „Freiheit für Palästina“ skandiert der Kleine. Die Mutter steht lächelnd daneben.

Gegen Israel oder Juden an sich?

Plötzlich löst sich aus der Menge eine Gruppe von etwa 30 arabisch aussehenden Menschen und marschiert einmal in kleinem Kreis über die Straßen hin und her. Die meisten davon sind Männer. Die wenigen Frauen darunter tragen fast alle Kopftuch. Sie schwenken Flaggen, eine deutsche, eine syrische, eine libanesische, eine iranische und eine palästinensische. Aus dieser Gruppe tritt der Mann hervor. Er ist wohl an die 50, trägt ein dunkelblaues T-Shirt und dunkle Jeans. Sein Bart ist schon grau, seine Haare noch schwarz. Sofort fängt er an, gegen Israel zu wüten. Israel habe ganz Libanon zerstört, sagt er. Deswegen sei es richtig, dass die Schiiten und die Hisbollah gegen Israel kämpfen.

Geht es hier gegen Israel oder gegen Juden an sich? Das ist nicht ganz klar. Eine größere Gruppe von Frauen, bei denen nur das Gesicht und die Hände unverhüllt sind, haben Schilder dabei, auf denen steht: „Muslime, Juden und Christen Hand in Hand gegen Zionisten!“ Auch bei ihnen stehen die Töchter dabei, die zum Teil ebenfalls Schilder vor sich hertragen. Junge Frauen mit Kopftüchern verteilen Flyer. Junge Männer verteilen Plakate mit der Aufschrift „Stop property crime in Palestine.“ Um es genauer betrachten zu können, lasse ich mir auch eines geben. Sekunden später kommt ein anderer junger Mann mit einem Stoß von Plakaten und fragt mich, ob ich die auch mitverteilen könne. Irgendwann bekomme ich noch zwei Palästina-Sticker in die Hand gedrückt. Die jungen Menschen lächeln alle nett, wenn man die Sachen entgegen nimmt.

„Wie mit missbrauchten Kindern“

Viele Journalisten sind natürlich auch da. Einer macht viele Fotos. Ein etwa 30-jähriger Mann, offenbar ein Biodeutscher, sagt in halb ablehnendem, halb scherzhaftem Tonfall zu seinem Begleiter: „Achtung Systempresse“. Er und sein Kumpel tragen Shirts mit der Aufschrift: „All united for free Palestine.“ Er protestiere mit, erklärt der Mann, weil er wütend sei auf den Berliner Innensenator. Andreas Geisel. Der habe gesagt, der Al-Quds-Tag sei widerlich. Aber die Menschen hier seien doch friedlich, sagt der Mann. „Schauen Sie doch“ und weist mit einer ausschweifenden Armbewegung auf die Menge.

Und das Bild scheint ihm Recht zu geben. Der Schreihals von vorhin ist in der Menge untergegangen. Man sieht fast nur Menschen, zum größten Teil arabischstämmige, die sich fröhlich unterhalten. Die Leute hier sind ja nicht gegen Juden erklärt der Mann weiter, sondern gegen die Unterdrückung Palästinas. Aber die Juden hätten noch immer ein Trauma vom Holocaust. „Das ist wie mit missbrauchten Kindern“, sagt er. Die würden auch später oft selbst zum Täter. Er sei für getrennte Staaten oder ein friedliches Zusammenleben.

Drei orthodoxe Juden marschieren mit

Ein braungebrannter, in schwarzer Hose und kariertem Hemd bekleideter Herr ist ähnlicher Meinung. Der Staat Israel gehöre aufgelöst. Auf die Frage, wie das denn seiner Meinung nach geschehen solle, grinst er nur vielsagend und erklärt: „Da habe ich meine eigenen Vorstellungen.“ Deutschland und Russland sollten die Kontrolle über Jerusalem übernehmen. Immerhin habe schon der deutsche Kaiser Wilhelm II. über Jerusalem geherrscht, falls man das nicht wisse, sagt er schon halb im Weggehen. 

Organisatoren und Redner stehen inzwischen mit ihren kleinen Lastern auf der Straße. Durch die Lautsprecher wird ermahnt, keine eigenen Parolen zu rufen, keine Flaggen zu verbrennen, keine unerlaubten Symbole zu zeigen. Auf dem Wagen ist ein großes Pappschild befestigt: „Nothing is more Antisemitism than Zionism“. Von der Ladefläche aus werden Reden gehalten. Überraschender als deren Inhalt sind drei offenbar orthodoxe Juden in der typischen schwarzen Kluft, die davor mit ihren Schildern stehen. „Authentische Rabbiner sind immer gegen Zionismus und gegen einen ‘Staat Israel‘“, steht auf einem davon. Eingeladen hat sie Jürgen Grassmann, Berliner Ikonenhändler und Sprecher der „Quds AG“. Später reden auch die drei. Sie erklären, dass der Staat gegen den jüdischen Glauben sei. Das sei aus der Tora zu entnehmen. Angela Merkel meine es sicher gut mit ihrer Israel-Politik, aber was sie tue, sei nicht gut für das jüdische Volk, denn Israel und der Zionismus würden diesem schaden. Außerdem hätten die Zionisten den Holocaust möglich gemacht.

Überhaupt scheinen die Veranstalter sehr darauf bedacht Eskalationen zu vermeiden und den Eindruck zu erwecken diese Veranstaltung richte sich nicht gegen Juden an sich. So lautet die erste Parole, die sie vorsagen: „Judenhass ist ne Schande, hat kein Platz hierzulande.“ Weiter geht es dann aber: „Israel ist ne Schande, Israel bleibt ne Schande. Judenhass ist die List. Maske runter Zionist.“ Auch Kinder schreien mit.

Kippa aus Solidarität oder als Provokation?

Schließlich setzt sich der Marsch in Bewegung. Es gibt keine Eskalationen. Die Veranstalter und wohl auch die Teilnehmer scheinen sich sehr wohl bewusst, dass sie bei Regelverletzungen die Existenz des Marsches riskieren würden. Deswegen kann wohl auch ein schlanker, älterer Herren in einem blau-weiß-kariertem Hemd mitlaufen. Farblich passend dazu trägt er eine weiße Kippa mit blauem Davidstern. Auf die Frage, ob er jüdisch sei und warum er hier mitlaufe, lacht er und sagt, er sei kein Jude. Aber es sei ja dazu aufgerufen worden, heute aus Solidarität mit Israel die Kippa zu tragen. Eigentlich habe er mit Übergriffen gerechnet, aber bis jetzt sei noch nichts passiert. Er klingt etwas enttäuscht, als er das erzählt.

Vor einem Jahr habe ihm jemand von der Polizei gesagt, sie könne nichts gegen den Marsch unternehmen, sie habe keine Handhabe. Da hätte er sich gedacht, die könne man ihnen ja besorgen. Nur hätten die Polizisten ihn nun gebeten, sich doch mit der Kippa etwas abseits des Marsches zu halten, damit es zu keiner Eskalation komme. „Aber sie meinen es ja gut.“ Er lächelt zum Abschied noch einmal schelmisch, bevor er vergnügt weiterzieht.

Ein überraschender Gegendemonstrant

Beim Georg-Grosz-Platz läuft der Marsch an der zweiten größeren Gegendemonstration vorbei. Die soll etwa so groß sein wie der Al-Quds-Marsch. Viele Israelflaggen werden hochgehalten. Dort die zweite Überraschung: Ein etwa 40-jähriger Mann hält in seiner Hand ein Jerusalem-Fähnchen, auf seinem T-Shirt ist ein goldener Löwe auf grün, weiß, rotem Grund abgebildet, die alte Flagge des Iran. Er stellt sich in gebrochenem Deutsch als Ali Hassanniya vor. Früher sei er Polizist gewesen. Im Iran. 2015 sei er nach Deutschland geflüchtet.

Auf die Frage, warum er gegen den Al-Qud-Marsch demonstriere, erklärt er, er sei gegen die religiös indoktrinierende Erziehung von Kindern. In Deutschland sei die Erziehung gut, weil sie zur Freiheit erziehe. In seinem Land dagegen werde den Kindern beigebracht, es sei gut, zu töten. Das islamische Regime würde schon die Kinder manipulieren, später für es zu kämpfen. Wütend erklärt er, dass weder Frauen, noch Kinder, noch Tiere dort Rechte haben. Er lehne auch Benjamin Netanjahus Regierung ab, aber er sei auf der Seite des Volkes und schätze Israel. Voller Enthusiasmus erklärt er, er werde immer für die Freiheit kämpfen. Auch Israelis und Palästinenser müssten ihren Konflikt in Freiheit selber klären, ohne Mitmischung von außen.

„Juden für alle!“

Viele unbeteiligte Passanten bleiben stehen, um das Geschehen zu beobachten. Die Blicke gehen von neugierig bis ablehnend. Junge Musliminnen drücken ihnen antiisraelische Flyer in die Hand. Manche nehmen sie mit abwesenden Blick entgegen, um dann perplex auf das zu starren, was sie da in der Hand halten. Eine Gruppe von sechs schwarzen, sommerlich bekleideten Mädchen von etwa 15 oder 16 Jahren stürzt aus einem Gebäude auf die Straße. Überrascht blicken sie auf den Marsch. „Ach du scheiße“, sagt eine laut. Sie alle lachen. Als sie begreifen, worum es geht, streckt eine ihren Mittelfinger in Richtung Demonstration. „Juden für alle!“ schreit sie und lacht wieder. Eine Freundin zieht sie erschrocken am Arm. „Alter, spinnst du? Das sind Tausende“.

Noch ein Stück weiter beobachtet ein älteres Ehepaar um die 65 aufmerksam den Marsch. Sie wohnen in der Nähe, erzählen sie. Peter und Evelyn heißen sie. Beide stehen dem Marsch ablehnend gegenüber, aber Peter meint, er verstehe, dass man es nicht verbieten könne. Es herrsche nun mal Versammlungs- und Meinungsfreiheit. Die gälte es einzuhalten. Evelyn widerspricht. Man müsse abwägen und dieser Marsch gehöre verboten. „Der ansteigende Antisemitismus nervt mich“, sagt sie.

Alles von Gott befohlen?

An der Endstation des Marsches, auf dem Wittenbergplatz, setzen sich die Menschen in Gruppen auf die Wiese. Darunter die um die 18 Jahre alten Musliminnen Sarah und Alina. Sie kommen aus Gelsenkirchen. Beide tragen Kopftuch und viel Wimperntusche. Sie verstünden die Gegendemonstranten nicht, sagen sie. Die Leute hier seien friedlich und hätten doch nichts gegen Juden, auch nichts gegen Israel. Sie seien nur gegen das Regime, das Palästina zerstören wolle. Juden und Moslems sollen friedlich in Jerusalem zusammenleben. „Wir wollen doch nur Gutes!“, sagt Sarah.

Auch einer der orthodoxen Juden, der sich Mr. Feldman nennt, steht noch auf dem Platz. Manche bitten ihn, dass sie mit ihm gemeinsam ein Foto machen dürfen. Eine etwa 50-Jährige Frau mit blumiger Bluse hört ihm mit fasziniertem Gesicht zu und bittet ihn ebenfalls um ein Foto. Er meint, es täte ihm leid. Natürlich liebe Gott auch Frauen, aber er könne sich nicht mit ihnen fotografieren lassen. Sie lacht und meint, sie verstünde das natürlich. Gott bemüht Mr. Feldman auch als Antwort auf die Frage, wie die deutsche Regierung es denn seiner Ansicht nach mit Israel halten solle. Das sei eine sehr schwere Frage, sagt er lachend, und er wolle der deutschen Regierung ja nichts vorschreiben. Aber letztendlich würde eh Gott die Politik bestimmen. Der bestimme schließlich alles. 

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