AfD-Wahlkampfauftakt in Cottbus - Entzweite Gemeinsamkeit

Beim Wahlkampfauftakt der AfD zur Landtagswahl in Brandenburg machten in Cottbus vor allem Vertreter des „Flügels“ Stimmung. Jörg Meuthen versuchte, den innerparteilichen Richtungsstreit kleinzureden. Dann aber verschwand der Bundessprecher, bevor Björn Höcke eintraf

Trafen aufeinander: Andreas Kalbitz und Jörg Meuthen / picture alliance
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Jannik Wilk ist freier Journalist in Hamburg. 

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Wer den Regionalzug von Berlin nach Cottbus nimmt, dem zeigt sich schnell, was es heißt, wenn von einem der strukturschwächsten Bundesländer der Republik die Rede ist: Brandenburg. Es erscheinen vor allem Felder und Wälder, in weiten Abständen unterbrochen von ausgestorben wirkenden Dörfern. An einigen Bahnhöfen hält der Zug. Es sind alte, verlassene Backsteingebäude mit zerbrochenen Fenstern. An den Türen blättert der Lack ab.

Angekommen in Cottbus, einer der größten und bedeutendsten Städte Brandenburgs, ist von struktureller Schwäche hingegen wenig zu sehen. Entlang der Bahnhofsstraße, einer der verbliebenen Prachtstraßen der Republik, reihen sich sanierte Altbauten. Doch auch in Cottbus liegt die Arbeitslosenquote bei 7,4 Prozent. Und damit noch über dem ostdeutschen Durchschnitt von 6,2 Prozent sowie deutlich über der gesamtdeutschen Quote von 4,9 Prozent.

Andreas Kalbitz, AfD-Spitzenkandidat für Brandenburg /
Jannik Wilk

Andreas Kalbitz will Ministerpräsident werden

Dennoch, der wirtschaftliche Aufschwung hat auch in Cottbus inzwischen für immer weniger Arbeitslose gesorgt. Doch wie mittlerweile fast überall im Osten, hat die Alternative für Deutschland hier zuletzt immer weiter zugelegt. Bei der Europawahl im Mai erreichte die AfD in Cottbus knapp 25 Prozent der Wählerstimmen. Für die kommende Landtagswahl am 1. September erhofft sich Spitzenkandidat Andreas Kalbitz, Ministerpräsident zu werden. Dass er einen Koalitionspartner findet, ist angesichts des offiziellen Neins der CDU bislang unwahrscheinlich. Doch es geht auch um Symbolik. In aktuellen Umfragen liefert sich die AfD derzeit ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit SPD und CDU um den Titel „Stärkste Partei im Land“.

In Cottbus fiel am Samstag der Startschuss für diesen sommerlichen Schlusssprint der AfD. Es ist ein heißer Tag. Auf dem Platz vor der Stadthalle beginnt das „Volksfest“ der AfD. Im Hintergrund das Bauwerk aus den Siebzigerjahren. Davor eine kleine Bühne, eine Mini-Hüpfburg, ein Stand für Getränke und einer für Bratwurst. Dazu gibt es „Bautz’ner Senf“. Aus dem ganzen Osten sind Menschen zum Wahlkampfauftakt angereist – vom Kreisverband „Spree-Neiße“ bis zu Gruppierungen aus der Sächsischen Schweiz. Ihre Zugehörigkeit zeigen einige mittels Westen und Shirts, auf denen die Ortsnamen in Frakturschrift prangen. Journalisten vom Fernsehen und Radio sind gekommen. Auch ein Polizeiaufgebot in Vollmontur ist präsent. Die Beamten schwitzen.

Den Revolutionsgeist von '89 beschwören

An einem Stand der „Jungen Alternative“, der vom Verfassungsschutz als Verdachtsfall eingestuften Jugendorganisation der AfD, wird Merchandise der Partei verkauft: Jutebeutel mit dem Konterfei Alexander Gaulands und dem Hashtag „#jagen“ – oder aber ein „Merkel Jagdclub“-Shirt für zwanzig Euro, auf dem ein Dackel abgebildet ist. Eine Anspielung auf Gaulands Markenzeichen, die Dackelkrawatte. Zwischen dem vorwiegend älteren Publikum sind auch junge Menschen zu sehen. Sätze wie „Sei dabei, wenn Geschichte gemacht wird“ oder „Die friedliche Revolution auf dem Wahlzettel“ sind auf Plakaten zu lesen. Immer wieder auch die Jahreszahlen „1989“ und „2019“. Man wähnt sich in der Tradition der friedlichen Revolution von ’89, die einst das Ende der kommunistischen Diktatur einläutete. Schließlich stehe man laut den Parteioberen heute wieder vor diktatorischen Zuständen, die überwunden werden müssten. „Vollende die Wende!“ ist das heutige Motto, dass den Revolutionsgeist vom Ende der DDR beschwören soll.

Nach seinen Angriffen auf den AfD-Parteivorstand beim Kyffhäuser-Treffen soll der Thüringer Landeschef Björn Höcke heute in Cottbus reden. Auch Sachsens Parteichef Jörg Urban ist da, um den „angehenden Ministerpräsidenten von Brandenburg“, Andreas Kalbitz, zu unterstützen. AfD-Bundessprecher Jörg Meuthen, der sich vom rechts-nationalen Flügel entfremdet gibt, ist trotz – oder gerade wegen – des brodelnden Richtungsstreits innerhalb der Partei gekommen. Meuthen zeigte kürzlich noch Verständnis für einen veröffentlichten Aufruf von rund hundert AfD-Funktionären gegen den Personenkult um Björn Höcke. Unterschrieben hatte er ihn allerdings nicht. Der Spiegel berichtete zum Wochenende gar von einem neuen Pakt, den Bundessprecherin Alice Weidel mit dem „Flügel“ geschlossen habe. Ein Vorgang, den Weidel dementiert.

Meuthen geht, bevor Höcke kommt

Meuthen plädiert deswegen heute für Geschlossenheit. Die Partei ringe „zuweilen auch miteinander um den richtigen Weg und die richtige Politik“, sagt er und will beschwichtigen. Man lasse sich nicht spalten. Innerparteilicher Streit, ausgerechnet im Ostwahlkampf: Meuthen weiß, wie heikel das für die Pläne der Partei werden könnte. Seinen rechten Rivalen aus dem Osten, Björn Höcke, erwähnt Meuthen mit keinem Wort. Er reist bereits vor der Ankunft des Thüringer Landeschefs wieder ab. Höcke brauche angeblich mit dem Auto auf der Autobahn etwas länger.

Ein AfD-Ordner weist einem Gegendemonstranten den Weg /
Jannik Wilk

Helfer laufen derweil durch die Zuschauerreihen und verteilen Kurzprogramme. Sie tragen blaue „Warnwesten“ mit dem Wort „Dissident“ auf dem Rücken. Bullige Männer mit weißen Armbinden, auf denen „Ordner“ steht, sollen eine ungestörte Veranstaltung garantieren. Als sich Gegendemonstranten unters Publikum mischen und den Ausführungen Höckes lauschen, baut sich einer von ihnen hinter ihnen auf, sodass zwischen ihnen kaum noch ein Zentimeter Platz bleibt. Sie sollten hier weggehen, sagte er, sonst lernten sie ihn „mal richtig kennen“.

„Warum stellt ihr euch nicht endlich auf unsere Seite?“

Mitten auf dem Platz erregt ein älterer Rollstuhlfahrer die Aufmerksamkeit von Journalisten. Er gibt mit seiner Deutschlandfahne, die an seinem Gefährt befestigt ist, ein gutes Bild ab. Und er scheint gerne Auskunft zu geben: „Jeden Tag höre ich, dass ein Mensch in Deutschland umgebracht wurde. Leute, das ist nicht mehr mein Land, so kann das nicht weitergehen. Und ihr Reporter, ihr müsstet mal sagen: Irgendwo hat der hat doch Recht. Was sich hier abspielt, ist doch nicht mehr normal“, sagt er. Zum Flügelkampf in der AfD, den die meisten der Besucher ablehnen, hat er eine klare Meinung: „Kein Streit! Ich möchte, dass die sich vertragen. Gerade jetzt, wo die Wahlen sind, fangen die an, sich zu kabbeln. Sind die bescheuert?“

Der ältere Herr redet sich in Rage und wendet sich gegen die Medien: „Diese Hetzerei gegen uns, die geht mir so am Arsch vorbei. Ich habe die Schnauze voll von der Presse. Und deswegen sage ich euch: Ihr seid eine Lügenpresse. Ihr sagt nie die Wahrheit. Warum stellt ihr euch nicht endlich auf unsere Seite?“. Parteifreunde versuchen ihn zu beruhigen. Für einen Moment kippt die Stimmung. Ein Mann, der ein Interview fürs Radio führt, wird angefeindet.

Die Lausitz als Symbol des Widerstands

Einen anderen Mann fortgeschrittenen Alters fragen die Journalisten, auf wen er sich heute besonders freue. Seine Antwort: „Björn Höcke“. Was er an ihm bewundere, fragen die Fernsehleute. „Seine Rethorik“. Andere freuen sich auf „alle vier“. Ein Erstwähler dagegen ist wegen Meuthen hier. Er sei vom Inhalt und Programm her „der beste AfD-Politiker“, besonders was seine Euro- und Europakritik angehe. Höcke sei ihm zu radikal.

Der Schwerpunkt der Redner aber liegt heute auf Brandenburg. Andreas Kalbitz spricht von den vergangenen Jahren, in denen das von Rot-Rot regiert wurde. Es sei eine Zeit des „politischen Siechtums und von Verfall“ gewesen. Selbst da, wo es positive Entwicklungen gegeben haben, etwa bei der Anzahl der Arbeitslosen, wäre diese nicht wegen, sondern „trotz der rot-roten Politik“ geschehen.

„Arbeitslager“ und „gesunde Verschiebung“

Kalbitz will den kleinen Mann für die Partei gewinnen. Denn dieser sei akut bedroht. Sein Beispiel: die Lausitz. Jeder der Wortführer hebt die Region heute prominent hervor. Die AfD stehe zur Braunkohle, sagt Kalbitz, zu „den Kumpels“ und „zum Bergbau“. Das gefällt dem Brandenburger Publikum. Man brauche für die Lausitz einen Zukunftsplan, sagt Kalbitz, und keinen „Abwicklungsplan“. Alles, was Rot-Rot jetzt fordere, „hätten sie doch tun können – warum haben sie es nicht getan?“. Konkret forderte er für die Lausitz mehr Infrastruktur und eine Sonderwirtschaftszone. Man trete in Brandenburg nicht als Protestpartei an, sondern als „sachpolitische Lösungspartei an“.

Auch die gängigen AfD-Positionen bedient Kalbitz. Als es gegen Einwanderer geht, die nicht abgeschoben werden, sondern auf der Straße Menschen gefährden würden, hallt aus dem Publikum ein Zwischenruf: „Arbeitslager!“. Es sei höchste Zeit, dass es mal zu einer — Kalbitz stockt kurz, bevor er es ausspricht – „gesunden Verschiebung“ komme.

Der Versuch eines Stasi-Vergleichs

Schließlich betritt auch Björn Höcke die kleine Bühne. Zuletzt also der Headliner. Wie überall im Osten ist er auch hier am populärsten. Er beginnt seine Rede mit Hohn: Für den Verfassungsschutz, der heute anwesend ist, um zu überwachen, was auf der Veranstaltung von der AfD gesagt wird, reicht Höcke eine von ihm signierte Flasche „Fürst Metternich“-Sekt ins Publikum. Die soll am Ende den brandenburgischen Innenminister Karl-Heinz Schröter (SPD) erreichen, der die Überwachung angeordnet habe: „Bei der Dienstbesprechung heute Abend könnt ihr dann die Flasche aufmachen“, spottet Höcke. Die Menge johlt. Es fühle sich schon wieder an wie in der DDR, ruft Höcke, als von der Anwesenheit des Verfassungsschutzes die Rede ist.

Eine Cottbusserin, eine ältere Dame mit grauen Locken, altmodischen grünem Blazer und Brille, die mit ihrem Fahrrad vor der Stadthalle stehen bleibt, schüttelt nur den Kopf. Sie finde es „unmöglich“, dass die AfD-Funktionäre hier sprächen. Aber die Parteien seien selbst Schuld, dass die Partei so stark geworden sei. Die Leute seien enttäuscht, da brauche man sich nicht wundern, wenn sie zu den „Rattenfängern“ liefen.

Gegendemo im Cottbusser Puschkinpark / Jannik Wilk

Protest-Fest im Puschkinpark

An Gebäuden und Wohnhäusern, ja sogar über dem Eingang der Cottbusser Stadthalle hängen Banner, die zeigen, dass es in der Stadt durchaus Widerstand gegen die AfD gibt. „Cottbus ist bunt“ steht auf einem geschrieben, oder aber: „Platzverweis für Höcke“, das Motto der Gegendemo im Puschkinpark, keine fünfhundert Meter von der Stadthalle entfernt. Hier versammeln sich heute Linke, Grüne, Sozialdemokraten und auch der Cottbusser CDU-Bürgermeister Holger Kelch. Aber auch viele Bürger, die ihre Stadt nicht an die AfD verlieren, die keine hetzerischen Reden in Cottbus hören wollen. Einer, der bei beiden Veranstaltungen zugegen war, sagt: „Ich find’s sehr schön. Viel nettere, freundlichere, offenere Menschen als dort. Hier wird viel mehr gelacht, gesungen, gespielt.“

Im Puschkinpark ist die Stimmung nicht aggressiv. Man sitzt zusammen, leistet Widerrede, spielt Musik, tanzt Hoolahoop. Ein paar rauchen Gras und werben für eine offene Gesellschaft. Doch während einiger Reden der AfD-Wortführer formiert sich am Rande der Stadthalle dann doch eine Reihe wütender Cottbusser. Sie rufen: „Höcke raus!“ und „Nazis raus!“. Auf der anderen Seite kommen Anhänger der AfD zusammen. Man beschimpft einander. Die Polizei bildet einen Block zwischen den Gruppen. Am Ende aber bleibt es ruhig. Der Platz vor der Stadthalle leert sich, nachdem Höcke, Kalbitz und Urban Arm in Arm das „Deutschlandlied, äh, die Nationalhymne“, wie der Moderator sich schnell korrigiert, sangen.

Einen Hitler-„Spaß“ zum Abschied

Die Stadt sei noch nicht an die AfD verloren, sagt die alte Dame mit dem Fahrrad. Enttäuscht sei sie dennoch. Die Gegendemo hätte viel größer aufgezogen werden müssen. Das läge auch daran, erzählt ein anderer, dass bei der AfD die Anhänger aus ganz Ostdeutschland anreisten – auf der Gegendemo sich aber lediglich Cottbusser formierten.

Cottbus und ganz Brandenburg kämpft um die Richtung. Noch anderthalb Monate sind es bis zum 1. September. In der Abendsonne am Cottbusser Hauptbahnhof schlendert eine Gruppe von AfD-Anhängern durch den Eingang des Gebäudes. Auf welchem Gleis der Zug abfahre, fragt eine Frau aus der Gruppe. Ihr Kumpane feixt: „Gleis 88!“

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