AfD im Bundestag - Rechts außen ist es einsam

Nach der Bundestagswahl trat das Parlament nun zu seiner konstituierenden Sitzung zusammen. Mit 709 Abgeordneten ist der Bundestag so groß wie nie, 92 davon entsendet die AfD. Die konnte ihren Antrag zwar nicht durchsetzen, wird diese Sitzung aber dennoch als Erfolg verbuchen

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Lena Guntenhöner ist freie Journalistin in Berlin.

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Für die AfD-Abgeordneten ist das heute so etwas wie der erste Schultag. Wer sitzt neben wem? Sind die anderen nett? Wie wird man sich in dem neuen System zurechtfinden? Eigentlich hätte die Fraktion noch größer sein sollen, die 12,6 Prozent der Stimmen bei der Bundestagswahl bedeuteten 94 Sitze. Doch nur Stunden danach kam es zum ersten öffentlichen Eklat, als Parteichefin Frauke Petry in der Bundespressekonferenz ihren Austritt aus der Fraktion erklärte. Der über die nordrhein-westfälische Landesliste eingezogene Mario Mieruch schloss sich ihr an. Da waren es nur noch 92 AfDler, die sich zugleich der Anführerin ihres moderaten Flügels beraubt sahen.

Die 92 stehen zu Beginn der konstituierenden Sitzung am 24. Oktober abseits, rechts außen, wie es die Sitzordnung vorsieht. Doch nicht nur das lässt sie isoliert wirken. Gespräche mit Abgeordneten anderer Parteien gibt es so gut wie keine. Während die Vertreter der anderen Parteien sich fraktionsübergreifend begrüßen, stehen die AfDler in zersprenkelten Grüppchen da. Nur Katja Suding von der FDP wechselt dann doch ein paar Worte mit den unfreiwilligen Sitznachbarn.

Eine neue Zeitenwende?

Beatrix von Storch nutzt die Zeit vor der Eröffnung der Sitzung, um Selfies zu machen. Dann nehmen alle hinter den Fraktionsspitzen Alexander Gauland und Alice Weidel Platz. Der FDP-Politiker Hermann-Otto Solms eröffnet als Alterspräsident die erste Sitzung der 19. Wahlperiode. Heute sind alle gleich, die Regierungsbank bleibt leer, weil mit der konstituierenden Sitzung auch die Amtszeit der Regierung offiziell endet. Angela Merkel und ihre Minister sitzen in ihren jeweiligen Fraktionen.

Viel war spekuliert worden, ob mit dem Einzug der AfD eine neue Zeitwende beginnt, ein Rechtsruck durchs Parlament gehen oder ein neuer Ton vorherrschen wird. Zunächst einmal wird die neue Fraktion in ihre Schranken verwiesen: Abgeordnete von CDU/CSU, Grünen und Linken lehnen den AfD-Antrag zur Änderung der Geschäftsordnung zum Alterspräsidenten ab. Erstaunlich jedoch die Zustimmung der SPD.

Erster Schlagabtausch

CDU-Generalsekretär Peter Tauber hatte sich zuvor dagegen ausgesprochen, den Rechtspopulisten „zu viel Aufmerksamkeit“ zu schenken. Heute will das aber nicht klappen. Auch wenn sie nicht namentlich erwähnt wird, ist die AfD schon in Solms Rede nur allzu präsent. Denn bei Worten wie „populistisch“, „Hetze und Parolen“, und Forderungen wie „weniger ideologische Grabenkämpfe als problemorientierte Lösungen“ ist jedem klar, wer gemeint ist. Die AfDler aber lassen ihn gewähren. Gegrummel und höhnisches Gelächter gibt es erst beim SPD-Erstredner, dem Parlamentarischen Geschäftsführer Carsten Schneider. Er bläst zum Angriff, während sich Britta Haßelmann von den Grünen danach selbstkritisch zeigt: „Die letzten vier Jahre waren kein Glanzstück parlamentarischer Demokratie.“

Dann ist zum ersten Mal ein AfDler an der Reihe, deren Parlamentarischer Geschäftsführer Bernd Baumann. Er rekapituliert die „Trickserei“ um den Alterspräsidenten, die er als „durchsichtiges Manöver“ bezeichnet. Zuletzt sei die 150-jährige Parlamentstradition, den ältesten Abgeordneten zum Alterspräsidenten zu machen, 1933 ausgesetzt worden, bei der sozialistischen Frauenrechtlerin Clara Zetkin. Der FDP-Abgeordnete Marco Buschmann wird später einwerfen, die AfD habe sich, indem sie sich mit den Opfern Hermann Görings vergleiche, „an Geschmacklosigkeit wieder selbst übertroffen“. Bemerkenswert auch, dass sich Baumann in seiner Rede explizit auf den Tagesspiegel und den Focus bezieht, also gerade die von der AfD so oft verschmähte „Lügenpresse“. Dann geht es aber im gewohnten AfD-Sound weiter. Die AfD habe eine „Triumphserie bei Landtagswahlen“ hingelegt, nun habe „ das Volk entschieden, nun beginnt eine neue Epoche“. Zum Schluss kündigt Baumann mehr parlamentarischen Widerspruch bei den Themen Eurorettung, offene Grenzen und Kriminalität an.

Absehbare Niederlage Glasers

Als wie erwartet Wolfgang Schäuble zum Bundestagspräsidenten gewählt wird, mischen sich auch Weidel und Gauland unter die Gratulanten. In seiner Ansprache gibt sich Schäuble gelassen, „Erregung gab es schon immer“ und „vieles sieht in der Rückschau anders aus“. Er schränkt jedoch ein: „Streit müssen wir führen und aushalten, aber es ist Streit nach Regeln.“ Und so zustande gekommene Entscheidungen dürften nicht als illegitim oder verschwörerisch denunziert werden – die AfD applaudiert nicht.

Bei der Wahl zu den Bundestagsvizepräsidenten, fällt der AfD-Kandidat Albrecht Glaser im ersten, zweiten und dritten Wahlgang durch. Das war nach seinen viel kritisierten Äußerungen zum Islam abzusehen und wohl auch so kalkuliert. Jetzt muss der Ältestenrat entscheiden, wie es weitergeht.

Auf den ersten Blick fällt die Bilanz des ersten Schultags für die AfD also bescheiden aus. Weder mit ihrem Antrag noch mit ihrem Kandidaten zum Bundestagsvizepräsident konnte sie sich durchsetzen. Dennoch ist anzunehmen, dass die Partei den Tag als Erfolg verbuchen wird. Denn sie dominierte die Diskussionen, durch Provokationen ihrerseits, aber auch durch Zurückweisungen von der anderen Seite. Dass sich die Debattenkultur im Deutschen Bundestag ändern wird, wurde heute offensichtlich. Ob zum Guten oder Schlechten, das mag jeder selbst entscheiden.

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