Seehofer und der Familiennachzug - Eine künstliche Debatte

Die SPD empört sich über die angeblich von Bundesinnenminister Seehofer geplante Gesetzesverschärfung beim Familiennachzug für subsidiär geschützte Flüchtlinge. Doch die Aufregung lohnt nicht. Beide Seiten blasen eine Randfrage zum Megathema auf

Beim Thema Familiennachzug betreiben sowohl Horst Seehofer als auch seine Kritiker Symbolpolitik / picture alliance
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Ludwig Greven ist freier Journalist und Autor. Er unterrichtet politischen Journalismus.

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Symbole können in den Politik wichtige Bedeutung haben. Etwa die Raute der Kanzlerin. Ihre aneinander gelegten Finger sollen den Bürgern zeigen: „Machen Sie sich keine Sorgen! Ich ruhe in mir und habe alles im Griff.“ Ähnliches galt für ihren Satz auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise: „Wir schaffen das“, den sie kürzlich in ihrer Regierungserklärung zur neuen schwarz-roten Koalition in Abwandlung wiederholte.

Mit der Realität haben und hatten diese Gesten allerdings wenig zu tun: Die von Merkel mit ausgelöste Migrationskrise ist bis heute nicht gelöst. Bewältigt haben sie vor zweieinhalb Jahren weniger die Bundesregierung und die Behörden als Hunderttausende hilfsbereite Bürger. Sympolpolitik betreiben auch jetzt wieder sowohl Bundesinnen- und Heimatminister Horst Seehofer und die CSU als auch SPD, Grüne und Linke mit Hilfe des Dauerbrennerthemas Familiennachzug für subsidiär geschützte Geflüchtete.

Nur wenige Menschen betroffen

Schon in den schwarz-roten Koalitionsgesprächen hatte die Frage für heftigen Streit gesorgt, obwohl sie nur vergleichsweise wenige Menschen betrifft. Die SPD forderte, den Familiennachzug für diesen Personenkreis wieder zuzulassen; CDU und vor allem CSU wollten ihn weiter aussetzen, um die Zahl der Zuzügler zu verringern. Am Ende einigten sich die drei Parteien auf einen Kompromiss: Künftig sollen 1000 Personen pro Monat in diesem Rahmen nach Deutschland einreisen dürfen. Die SPD setzte zudem ein zusätzliches Härtefallkontingent von „X“ durch, um zu demonstrieren, dass sie an einer humanitären Flüchtlingspolitik festhält.

Seehofer macht sich nun daran, den Kompromiss wie angekündigt zügig in ein Gesetz zu gießen. Der CSU-Chef auf Abruf möchte rechtzeitig vor der Landtagswahl in Bayern im Herbst unter Beweis zu stellen, dass er in der Lage ist, seine Worte zu Taten zu machen und die Zahl der Zuwanderer zu begrenzen. Denn er weiß wie andere CSU- und CDU-Politiker, etwa der selbsterklärte Merkel-Herausforderer Jens Spahn, dass der Familiennachzug bei konservativen Wählern unpopulär ist, obwohl Familie ja eigentlich ein konservatives Ur-Sujet ist.

Seehofer folgt dem Koalitionsvertrag

Umgekehrt möchten insbesondere SPD-Linke, die sich wie Vertreter der Grünen und der Linken sofort über Seehofers Gesetzentwurf hermachten, zeigen, dass sie sich für die Integration von Geflüchteten einsetzen. Dazu gehört für sie, anders als für die von ihnen als „familienfeindlich“ gebrandmarkte CSU, der Nachzug von Angehörigen.
Tatsächlich entspricht das, was Seehofer jetzt vorgelegt hat, aber ziemlich genau dem, worauf sich Union und SPD geeinigt hatten, und auch der geltenden Rechtslage. Auch vor dem Aussetzen des Familiennachzugs vor zwei Jahren durch die vorherige große Koalition durften subsidiär Geschützte nach einer Einzelfallprüfung nur ihre Eltern oder Kinder nachholen, nicht weitere Verwandte. Ebenso konnte ihnen das von den Behörden verwehrt werden, wenn sie nicht für ihren Lebensunterhalt selbst sorgen können, sondern auf Hartz IV angewiesen sind, so wie es jetzt auch der Vorschlag aus dem Haus von Seehofer vorsieht.

Die Regelung folgt dem Rechtsstatus der subsidiär, also eingeschränkt Geschützten. Denn bei ihnen handelt es sich nicht um Asylberechtigte oder Flüchtlinge nach der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK), sondern um Menschen, die nur vorübergehend in Deutschland und der übrigen EU geduldet werden, weil zum Beispiel in ihrer Heimat Krieg oder Bürgerkrieg herrscht. Wenn es die Sicherheitslage dort erlaubt, sollen sie in ihre Heimat zurückkehren, um sie wieder aufzubauen und ihr Leben dort fortzusetzen - mit ihren Familien. Sie erhalten deshalb auch nur ein Aufenthaltsrecht von maximal fünf Jahren, das verlängert werden kann.  

Den Status der subsidiär Geschützten gibt es überhaupt erst seit 2013, aufgrund einer EU-Regelung. Ihren eingeschränkten Anspruch, Familienangehörige nachzuholen, erst seit 2015. Die SPD hatte seinerzeit darauf gedrängt, um sie mit den GFK-Flüchtlingen gleichzustellen. Ein Jahr später hatten Union und SPD den Familiennachzug für zwei Jahre befristet ausgesetzt, weil vor allem die CSU fürchtete, dass darüber weitere Hunderttausende Migranten ins Land kämen.

Mit Integration wenig zu tun

Tatsächlich – das zeigten auch die Erfahrungen ab dem Herbst 2015 – schicken Familien aus armen Ländern häufig mit Hilfe von Schleusern einen Sohn oder einen anderen kräftigen jungen Mann vor, der dann die gesamte Familie ins Aufnahmeland nachholen soll. Experten sprechen von einem Pull-Effekt: Einer (oder eine) macht sich auf die beschwerliche, gefährliche Reise. Die übrigen kommen dank eines mehr oder weniger großzügigen „Flüchtlingsrechts“ gefahrlos nach. Insbesondere dann, wenn der Vorgeschickte tatsächlich oder vermeintlich minderjährig ist.

Mit Integration hat dies, anders als Sozialdemokraten, Linke und Grüne weis machen wollen, wenig bis nichts zu tun. Denn erstens sollen die subsidiär Geschützten ja gerade nicht dauerhaft hier bleiben und integriert werden. So sind etwa die meisten Flüchtlinge aus Bosnien nach dem Ende des dortigen Kriegs in den neunziger Jahren in ihre Heimat zurückgekehrt.

Unnötiger Streit

Zweitens gibt es auch nach der GFK und anderen internationalen Vereinbarungen für diese Gruppe von Migranten kein Recht auf Familiennachzug in ein Land ihrer Wahl, sondern allenfalls im Erstaufnahmeland. Das ist in aller Regel aber nicht Deutschland, sondern etwa bei Flüchtlingen aus Syrien zum Beispiel die Türkei oder ein arabischer Staat. Und drittens fördert der Familiennachzug nach Beobachtung auch von Fachleuten häufig nicht die Eingliederung in die hiesige Gesellschaft, sondern bremst sie eher. Alleineinreisende sind gezwungen, die Sprache der Aufnahmelandes rasch zu erlernen und sich Arbeit zu suchen, weil sie außer staatlichen Hilfsleistungen kein Netzwerk hier haben, das sie aufnimmt und versorgt. Kommen aber ganze Clans, bilden sich wie in der Vergangenheit häufig Parallelstrukturen. Der Aufenthalt verfestigt sich. Eine Abschiebung ganzer Familien ist in aller Regel nicht mehr möglich, selbst wenn die Betroffenen kein Recht haben, dauerhaft in Deutschland zu bleiben.

Beide Seiten täten deshalb gut daran, den unnötigen Streit nicht weiter zu entfachen. Seehofer und die CSU sollten es unterlassen, die Zahl von 1000 Nachzüglern pro Monat, auf die sich die Koalitionäre verständigt haben, um jeden Preis drücken zu wollen, um Härte zu demonstrieren. Die SPD wiederum sollte nicht so tun, als ob an der Frage des Familiennachzugs für eingeschränkt Geschützte das Heil der Einwanderungs- und Integrationspolitik hinge. Da gilt es weit wichtigere Fragen anzugehen, etwa das vereinbarte Einwanderungsgesetz für Fachkräfte und verbesserte Eingliederungsmaßnahmen für die Menschen, die langfristig oder für immer in Deutschland bleiben werden.

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