Waffenschein für Bürgermeister? - „Es kann nicht sein, dass Politiker Freiwild sind“

Immer häufiger werden Kommunalpolitiker bedroht, jetzt hat ein Bürgermeister aus Nordrhein-Westfalen aus Angst vor Rechtsradikalen einen Waffenschein beantragt. Ist das wirklich notwendig? Ein Gespräch mit dem Präsidenten des Deutschen Städte- und Gemeindebundes

Für den demokratischen Diskurs verloren? Rechtsradikale machen mobil gegen den Bürgermeister von Kamp-Lintfort / picture alliance
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Antje Hildebrandt hat Publizistik und Politikwissenschaften studiert. Sie ist Reporterin und Online-Redakteurin bei Cicero.

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Uwe Brandl (CSU) ist Bürgermeister der bayerischen Stadt Abensberg und Präsident des Deutschen Städte- und Gemeindebundes. 

Herr Brandl, im nordrhein-westfälischen Kamp-Lintfort hat ein SPD-Bürgermeister einen Waffenschein beantragt, weil er sich von Rechten bedroht fühlt. Ist das eine Forderung, die der Städte- und Gemeindebund unterstützt?
Nein, ich hab grundsätzlich ein Problem damit, wenn potenzielle Gewalt mit potenzieller Gewalt beantwortet wird. Das ist wirklich nicht das Mittel der ersten Wahl. Man müsste darüber nachdenken, wie man die Sicherheitslage allgemein verbessert. Das kann nicht den Einzelnen überantwortet werden. 

Heißt das, Sie raten Bürgermeistern davon ab? 
Richtig, solche Meldungen provozieren in der Regel eine Reaktion. Und wenn auch noch publik wird, dass sich jemand bewaffnet, sieht die Reaktion der Gegenseite so aus, dass man zusätzlich aufrüstet. Das, was im Großen und Ganzen in der Welt passiert, passiert im Kleinen genauso. 

Aber die Drohungen sind in der Regel anonym. Wie sollen sich Bürgermeister gegen jemanden wehren, den sie nicht kennen?
Die anonyme Bedrohungslage ist wirklich ernst zu nehmen. Immer mehr Bürgermeister legen genau aus diesem Grund ihr Mandat nieder. Der Rechtsstaat muss ein Zeichen setzen, dass er diese Bedrohungsszenarien nicht toleriert. Momentan ist es so, dass die Staatsanwaltschaften solche Verfahren mangels öffenlichem Interesse entweder wieder einstellen oder gar nicht erst einleiten. Hier muss ein Exempel statuiert werden. Irgendwo gibt es in der Demokratie auch Grenzen. 

Was meinen Sie mit „ein Exempel statuieren“?
Es kann nicht sein, dass Politiker Freiwild sind. Welche Verbalinjurien die heute zu schlucken haben, da ist bei mir Schluss mit lustig. 

Nach dem Künast-Urteil des Landgerichtes Berlin muss es sich die Grünen-Politikerin gefallen lassen, im Internet als „Stück Scheiße“ oder „Drecksfotze“ bezeichnet zu werden. 
Ich bin Jurist. Da geht bei mir das Fremdschämen für die Kollegen am Gericht los. Sowas kann und darf man nicht tolerieren. Wenn das alles nicht reicht, müssen die bestehenden Gesetze verschärft und es muss dafür gesorgt werden, dass die Täter zur Rechenschaft gezogen werden. Die Verfolgungsbehörden müssen einen Auskunftsanspruch bei den Betreibern von Internetplattformen wie Facebook bekommen. Es muss möglich werden, rauszubekommen, wer hinter einer verbalen Attacke steckt, um ihn belangen zu können. 

Welchen Anteil haben die sozialen Medien an der Verrohung der Sprache?
Aus der Anonymität zu schießen, ist besonders beliebt. Nur noch wenige Menschen sind bereit, sich mit einem Gegenpart auseinanderzusetzen, weil sie dann ihren eigenen Namen nennen müssten. Das wollen viele nicht. Insofern sind die sozialen Netzwerke eine willkommene Gelegenheit, seinen Frust abzulassen. Es geht mit Gewalt durch Wörter los. Dann kann es zu Handgreiflichkeiten kommen – und im schlimmsten Fall auch zum Schusswaffengebrauch, 

Sie spielen auf den Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke (CDU) an. Hat der zur Folge, dass sich Bürgermeister jetzt doppelt bedroht fühlen?
Auf jeden Fall. Ich hoffe, dass dieses Verbrechen die Politik endlich zum Handeln motiviert. Wir warten seit über einem halben Jahr darauf, dass den Worten Taten folgen. Wir brauchen ein klares Bekenntnis des Rechtsstaates, dass bestimmte Mittel der Auseinandersetzung nicht geduldet werden. 

Im Oktober hat die Bundesregierung einen 9-Punkte-Plan gegen Rechtsextremismus vorgelegt. Er enthält auch Maßnahmen gegen Hasskriminalität. Ist das nur ein Papiertiger?
Bisher leider ja. Die Planung und Vorbereitung konkreter Maßnahmen ist sinnvoll und richtig. Sie müssen aber auch umgesetzt werden.  

Der Städte- und Gemeindebund hat vorgeschlagen, Politiker-Stalking zum eigenen Straftatbestand zu machen. Wäre das eine effektivere Waffe im Kampf gegen Hasskriminalität? 
Ja, die Strafverfolgungsbehörden müssen die vorhandenen Möglichkeiten strikter nutzen und Fehlverhalten anzeigen. Gegen das permanente Verunglimpfen von Politikern sind aber auch neue Ansätze erforderlich. 

Aber werden viele Beleidigungen und Bedrohungen gar nicht erst angezeigt, weil Bürgermeister die Erfahrung gemacht haben, dass ihre Strafanzeigen wirkungslos verpuffen? 
Das ist leider so. Der Frust über die Strafverfolgungsbehörden ist groß. Viele wissen, dass sie in der Rechtssprechung sehr viel tolerieren müssen,  was im zwischenmenschlichen Bereich schon längst justiziabel wäre. 

Uwe Brandl/ picture alliance 

Welche Formen nimmt diese Gewalt an?
Ich behaupte mal, dass die Kollegen insgesamt relativ dickfellig sind. Aber es fällt schon auf, dass sie sich seit einigen Jahren aus einer gewissen inneren Not heraus mitteilen, was ihnen alles im Tagesgeschäft passiert. Das geht mit der Auseinandersetzung in den politischen Gremien los, dass man sich nicht mehr sachlich auseinandersetzt, sondern versucht, den Gegner persönlich zu beschädigen. Es geht weiter mit Drohungen in den sozialen Medien: Äußerungen werden mit wüstesten Beschimpfungen quittiert. Es fallen Drohungen wie: „Der gehört abgemurkst.“ Man merkt: Wer sich so äußert, der wird möglicherweise auch handgreiflich. 

Mal ein Beispiel?
Eine Kollegin von mir aus einer Nachbargemeinde, die sich für einen Windpark einsetzt, wird mit Briefen bedroht, bei denen sie nicht weiß, ob möglicherweise Gift im Umschlag steckt, mit toten Ratten und Mäusen und mit Morddrohungen. Das zehrt an der Substanz. Am 15. März haben wir in Bayern Kommunalwahlen. Wir hatten es noch nie, dass so viele Kollegen nach der zweiten oder dritten Legislaturperiode aufhören – und das nicht, weil sie schlechte Arbeit gemacht hätten, sondern weil sie sagen: „Ich hab die Schnauze voll.“

Sie sind Bürgermeister der Stadt Abensberg. Haben Sie auch schon so ähnliche Erfahrungen gemacht?
Ich rede nicht gern darüber, aber ich habe auch schon eine unappetitliche Auseinandersetzung mit einem Stadtratskollegen von den Freien Wählern hinter mir. Das Gericht hat ihm bestätigt, dass er im Bürgermeister-Wahlkampf über mich verbreiten durfte, dass ich mich auf Kosten der Allgemeinheit bereichert hätte. Das stimmte zwar nicht, aber das Gericht befand, so eine Aussage falle unter die Meinungsfreiheit. Das sind Signale, die fatal sind. Denn irgendwas bleibt schon hängen – auch wenn der Vorwurf nicht stimmte. Und genau dieser Effekt ist beabsichtigt. 

Aber Meinungen als Fakten zu verkaufen, diese Erfolgsstrategie wird doch vorgelebt von Politikern wie dem US-Präsidenten Donald Trump. 
Diese Methode wird nachgemacht. Die Auseinandersetzung in Wahlkämpfen kapiriziert sich immer mehr auf Überschriften – egal, ob die richtig sind oder nicht. Das ist völlig egal. Da hält man es dann mit Kästners „Fabian“: „Es ist nur die Schlagzeile richtig, die ich selbst erfunden habe.“ Das wird bewusst eingesetzt und gebetsmühlenartig so oft wiederholt, bis viele glauben, dass es dann wohl schon richtig sei. 

Trifft das Politiker aller Parteien?
Querbeet. Das gilt auch für die Angriffe. Der, der in der Pole Position sitzt, wird von der Opposition angeschossen. 

Woher rührt der Hass, der sich in solchen Auseinandersetzungen entlädt?
Ich weiß nicht, ob Hass das richtige Wort ist. Es ist eher eine gewisse Angst vor einer demokratischen Auseinandersetzung. Ich glaube, dass es wesentlich einfacher ist, den Gegner einzuschüchtern, als die die eigene Meinungen zur Debatte zu stellen und den Disput darüber auszuhalten.  

Verharmlosen Sie damit nicht Drohungen wie die jener rechten Partei, die den oben erwähnten SPD-Bürgermeister als Waffenschein-Antragsteller öffentlich outete, nachdem er im EU-Wahlkampf Plakate von ihr abgehängt hatte, auf denen stand: „Wir hängen nicht nur Plakate“?
Ich will nichts verharmlosen, im Gegenteil. Solche Plakate gehen gar nicht. Aber ich werde nicht müde zu versuchen, für eine sachliche demokratische Diskussionskultur zu werben. 

Wenn die Angst der Bürgermeister daher rührt, dass sich viele nicht mehr an die Spielregeln der Debattenkultur halten, was nützt dann eine Verschärfung des Strafrechts?
Der Rechtsstaat muss sich besser verteidigen. Aber das allein reicht nicht. Wenn man eine Tiefenanalyse macht, erkennt man, dass das Verständnis abhanden gekommen ist, wie so ein Staat eigentlich funktioniert. Ich glaube, in den Elternhäusern wird nicht mehr so über das Wesen der Demokratie diskutiert, wie das noch vor 35 Jahren der Fall war.

Warum?
Weil wir diese Erfahrungen mit zunehmendem Abstand zum Dritten Reich verlieren. Meinungsfreiheit oder die Gleichstellung von Mann und Frau sind aber keine Selbstverständlichkeit, sie müssen jeden Tag neu gelebt werden. Wenn uns das abhanden kommt, dann, weil jeder nur seinen eigenen Egoismus lebt. Das sehen Sie an den derzeitigen Debatten: Jeder will Klimaschutz, aber keiner will aus dem SUV aussteigen oder eine Windkraftanlage vor seiner Haustür akzeptieren. 

Heißt das, eigentlich bräuchten wir ein Schulfach „Demokratie“?
Nein, das haben wir ja schon. Es gibt schon „Staatsbürgerkunde“ oder „Sozialkunde“. Aber wir brauchen Lehrer, die diese Inhalte so transportieren, dass schon Kinder lernen, dass es wichtig ist, Meinungen mit Argumenten zu unterfüttern – aber auch zu akzeptieren, dass man eine Abstimmung auch mal verliert. 

Aber was ist, wenn Menschen diese Spielregeln ignorieren, weil sie dieses System gar nicht wollen?
Man macht es sich zu leicht, wenn man sagt, die Gefahr drohe nur von der AfD, die versucht, in der demokratischen Mitte ihren Platz zu finden. Wenn die AfD überwiegend von Leuten gewählt wird, die mit unserem System abgeschlossen haben, dann ist etwas faul im Staat. Denn das sind die Leute, die nur eine Meinung gelten lassen und andere Meinungen bekämpfen. Notfalls auch mit Gewalt. 

Die Fragen stellte Antje Hildebrandt. 

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