9. November - Es geschah immer an diesem Tag

Warum der 9. November 100 Jahre nach Scheidemann und knapp 30 Jahre nach dem Mauerfall zum Gedenktag der Deutschen werden muss

Philipp Scheidemann ruft am 09. November 2018 die Republik aus / picture alliance
Anzeige

Autoreninfo

Christoph Schwennicke war bis 2020 Chefredakteur des Magazins Cicero.

So erreichen Sie Christoph Schwennicke:

Anzeige

Der 9. November ist der Schicksalstag der Deutschen. Eine Laune der Geschichte hat es so gewollt, dass immer wieder gravierende Ereignisse dieses Landes auf diesen Tag fielen. Wunderbare und schreckliche. Am 9.November 1918 rief Philipp Scheidemann eine Republik aus und eine Abdankung des Kaisers, die es noch gar nicht gab. Am 9. November 1938 brannten in Berlin und anderswo die Synagogen, und diese Feuersbrunst leitete das finstere Kapitel der deutschen  Geschichte ein. Schließlich der 9. November 1989, an dem irgendwann in den Wirren einer überforderten und entmachteten DDR-Obrigkeit ein diensthabender Grenzsoldat, Oberstleutnant Harald Jäger in der Bornholmer Straße von Berlin, um 23 Uhr 30 eigenhändig Weltgeschichte schrieb. Als er das Tor öffnete und die andrängenden Menschen euphorisiert westlichen Boden betraten und sich Rotkäppchen-Sektflaschen und Söhnlein Brillant im Einheitstaumel gleichermaßen in Plastikbecher oder gleich in offene Münder füllten. Es gibt noch einige andere mehr oder minder bedeutende 9. November in der deutschen Geschichte. Auf 14 einschlägige Einträge dieses Datums kommt man seit 1848.  

Der 9. November wäre passender als der 3. Oktober

Im Nachgang zur Deutschen Einheit wurde lange darüber geredet, welcher Tag nun zum Tag der Deutschen werden soll. Es wurde schließlich der 3. Oktober. Künstlich, formalistisch krampfhaft und etwas bemüht ersatzhalber festgemacht am Beitritt der DDR zur Bundesrepublik am 3. Oktober 1990.  Weil, so war seinerzeit die Argumentation gegen den 9. November, dieser Tag als zu belastet galt, um ihn zu einem gemeinsamen Tag der Freude zu machen. Es war vielleicht, seinerzeit vor 30 Jahren, politisch tatsächlich nicht opportun, der Freude über die deutsche Einheit ein Datums-Denkmal im Kalender zu setzen, das zugleich so schwer belastet ist. 

Aber nun, mehr als ein Vierteljahrhundert später, stünde es einem wiedervereinigten Deutschland gut an. Ein Deutschland, in dem beispielsweise ein junges Mädchen in Freiburg geboren sein kann, im Ostteil Berlins aufgewachsen ist und ganz selbstverständlich in Jena studiert (es könnte ebensogut Bonn sein), in diesem selbstverständlich vereinigten Deutschland wäre es an der Zeit, den 9. November zu seinem Recht zu verhelfen und  ihn zum Gedenktag, zum Feiertag zu machen. Zum Gedenktag der Deutschen, der wie kein anderer für Licht und Schatten dieses Landes steht. Die Verlegung des 3. Oktober auf den 9. November wäre ein weitaus wichtigerer (und weil allein national zu entscheiden) einfacherer Schritt als die Abschaffung von Sommerzeit und Winterzeit. Und selbst das wird inzwischen angegangen. 

Anlass für ein Referendum?

Der 3. Oktober ist ein Provisorium und wird der ganzen Dimension deutscher Geschichte im Vergleich zum 9. November nicht annähernd gleichermaßen gerecht. 100 Jahre Republik wären ein guter Anlass dafür gewesen. 30 Jahre Mauerfall nächstes Jahr sind  es ebenso. Vielleicht wäre diese Frage – 3. Oktober oder 9. November? – sogar eine der wenigen guten und passenden Gelegenheiten für ein Referendum, weil sie Ausdruck einer kollektiven Verständigung auf die geschichtlichen Grundfesten dieses Gemeinwesens wäre. Die geltende Gesetzeslage gibt das so allerdings nicht her.   

Anzeige