2G-Regel in Hamburg - Ein Angebot, das man nicht ablehnen kann

Die 2G-Regel in Hamburg verspricht Erleichterungen für Geimpfte und Genesene. Unser Autor jedoch sieht in ihr eine gezielte Ausgrenzung von Staatsbürgern, die sich auf das vom Grundgesetz garantierte Freiheitsrecht der körperlichen Unversehrtheit berufen.

Peter Tschentscher (SPD), Erster Bürgermeister der Freien und Hansestadt Hamburg, im Bürgermeisteramtszimmer / dpa
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Autoreninfo

Gerhard Strate ist seit bald 40 Jahren als Rechtsanwalt tätig und gilt als einer der bekanntesten deutschen Strafverteidiger. Er vertrat unter anderem Monika Böttcher, resp. Monika Weimar und Gustel Mollath vor Gericht. Er publiziert in juristischen Fachmedien und ist seit 2007 Mitglied des Verfassungsrechtsausschusses der Bundesrechtsanwaltskammer. Für sein wissenschaftliches und didaktisches Engagement wurde er 2003 von der Juristischen Fakultät der Universität Rostock mit der Ehrendoktorwürde ausgezeichnet. Foto: picture alliance

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Die Impfkampagne gegen das Coronavirus ist ein voller Erfolg. Dies meint jedenfalls der Erste Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD), der in der Hamburger Landespressekonferenz am 24. August verkündete: „Wir haben eine Inzidenz von insgesamt knapp unter 80. Die Geimpften haben aber eine Inzidenz von unter 5.“ Wer aufgrund der langen Dauer des zermürbenden Corona-Gefechts schon längst nicht mehr so genau auf dem Schirm hat, was der Begriff Inzidenz eigentlich besagt, muss zunächst von diesen Zahlen beeindruckt sein.

Es lohnt sich deshalb, sich in Erinnerung zu rufen, was mit Inzidenz gemeint ist: Der Wert besagt, wie viele von 100.000 Personen im Laufe einer Woche positiv auf das Coronavirus getestet werden (7-Tage-Inzidenz). Doch längst nicht alle Menschen lassen sich jede Woche testen. So wurden laut Robert-Koch-Institut (RKI) in der Kalenderwoche 32 nur insgesamt 559.194 Corona-Tests in Deutschland registriert. Das bedeutet: Bezogen auf die aktuelle Einwohnerzahl von 83,02 Millionen ließ sich nur eine von 148 Personen überhaupt testen, wobei mögliche Mehrfachtestungen noch gar nicht berücksichtigt sind.

Testzwang für Ungeimpfte

In Hamburg gelten bereits seit dem 22. Juni erhebliche Erleichterungen für Geimpfte und Genesene. Auf dem Portal hamburg.de heißt es hierzu: „Müssen geimpfte und genesene Personen einen Test machen, wenn sie beispielsweise zum Friseur gehen wollen? Nein. Geimpfte und Genesene sind von der Erbringung von allen Testnachweisen stets befreit. Dies ist in §7 der Covid-19-Schutzmaßnahmen-Ausnahmenverordnung und auch in §10h Absatz 2 und Absatz 3 der Hamburgischen Sars-CoV-2-Eindämmungsverordnung vorgesehen.“

Da der Inzidenzwert maßgeblich von der Anzahl der durchgeführten Tests abhängig ist, wird leicht verständlich, wie die stark unterschiedlichen Werte von Ungeimpften und Geimpften entstehen: Ungeimpfte unterliegen noch immer in zahlreichen Situationen dem Testzwang, während Testergebnisse von Geimpften kaum vorliegen.

Spaltung der Gesellschaft

Dass Bürgermeister Tschentscher sich demzufolge auf Zahlen bezieht, die nur deshalb extrem niedrig sind, weil sie schlicht nicht erhoben werden, ist ein unglaublicher Vorgang. Auf die Frage nach der Validität dieser Daten erklärt er in der Pressekonferenz seelenruhig: „Wir können ja nur die Zahlen und Fakten nehmen, die wir haben.“ Und überhaupt: „Das, was wir hier an Zahlen haben, passt ja zu den medizinischen Einschätzungen.“

Na dann. Wenn es nur darum ginge, im Wahljahr mögliche Erfolge großzureden, könnte man diese Methode einfach als einen der üblichen politischen Taschenspielertricks verbuchen. Doch der Senat bastelt sich aus diesem angeblichen Erfolg auch eine Legitimation für die nun eingeführte 2G-Regel, welche unweigerlich zu einer weiteren Spaltung der Gesellschaft in Geimpfte und Ungeimpfte führen wird.

Hohe Bußgelder

Ungeimpfte sind damit künftig unerwünscht. Nur wer geimpft oder genesen ist, soll Restaurants besuchen oder Konzerte genießen dürfen. Betreibern und Veranstaltern steht es zwar frei, an der 2G-Regel teilzunehmen oder nicht, doch winken ihnen erhebliche Vorteile, wenn sie sich für die neue Variante entscheiden. So sollen Masken- und Testpflicht sowie das Abstandsgebot und das Tanzverbot im Fall von 2G entfallen.

Auch wenn das Risiko hoher Bußgelder wie ein Damoklesschwert über Wirten und Veranstaltern schwebt, falls sich lückenlose Zugangskontrollen als in der Praxis undurchführbar erweisen sollten: Wie könnte sich ein wirtschaftlich Gepeinigter der Aussicht auf ein volles Haus entziehen? Und so ist abzusehen, dass die meisten sich dem Druck gezwungenermaßen beugen werden.

Historischer Tiefpunkt

Die 2G-Regel ist eines Rechtsstaats unwürdig. Es handelt sich um eine gezielte Ausgrenzung von Staatsbürgern, die sich auf ein vom Grundgesetz garantiertes Freiheitsrecht, das der körperlichen Unversehrtheit, berufen. Dass ausgerechnet in der Freien und Hansestadt Hamburg die Wahrnehmung dieses Freiheitsrechts dem Bürger zum Vorwurf gemacht wird und der Senat dieser Stadt sich als Pionier einer solchen Entwicklung präsentiert, markiert einen historischen Tiefpunkt.

Selbst Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) vermeldet verfassungsrechtliche Zweifel: „Ich sehe nicht, wie man eine derart schwerwiegende Beschränkung mit dem Infektionsschutz rechtfertigen könnte.“ Das interessiert die rot-grüne Stadtregierung offenbar nicht.

Ein Anreiz?

Doch verfassungsrechtliche Bedenken liegen aktuell leider nicht hoch im Kurs. Spätestens mit der 2G-Regel ist der indirekte Impfzwang da. Was euphemistisch so gerne als „Impfangebot“ betitelt wird (von Bürgermeister Tschentscher auf der Pressekonferenz auch als „Anreiz“ bezeichnet), wird durch die systematische Ausgrenzung Ungeimpfter zu einem Angebot, das man nicht ablehnen kann. Wer nun die heisere Stimme Marlon Brandos zu hören vermeint, untermalt mit der schwerblütigen Filmmusik aus „Der Pate“, liegt leider nicht falsch.

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