25 Jahre Rostock-Lichtenhagen - „Heute geht es uns doch Gold“

Rostock-Lichtenhagen wurde 1992 weltweit zum Symbol für Rassismus und Fremdenhass. Ein rechtsextremer Mob terrorisierte unter dem Beifall von Schaulustigen tagelang eine Anlaufstelle für Asylbewerber. Heute ist dort vieles anders. Ein Stimmungsbild

Schauplatz des Progroms: Das Sonnenblumenhaus in Lichtenhagen / picture alliance
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Autoreninfo

Ramon Schack ist Journalist und Buchautor mit Sitz in Berlin. Zuletzt erschienen seine Bücher „Neukölln ist nirgendwo“ und „Begegnungen mit Peter Scholl-Latour“.

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Der Taxifahrer, ein kräftiger Graukopf um die 60, macht aus seiner politischen Gesinnung keinen Hehl. Das AfD-Logo klebt über dem Handschuhfach seines Wagens. Vielleicht nichts ungewöhnliches in einem Bundesland, wo diese Partei 20,8 Prozent der Stimmen bei den Landtagswahlen im vergangenen Jahr erhielt, damit sogar die CDU überflügelte und zweitstärkste Fraktion im Parlament von Schwerin wurde. Trotzdem, dieses Bekenntnis lädt zu einem politischen Austausch ein. „Ich habe schon fast alles gewählt, bis auf die Grünen“, sprudelt es aus ihm heraus. Nein, die „alten Zeiten“, damit sind wohl die DDR-Zeiten gemeint, wolle er nicht zurück, obwohl dort damals einiges besser organisiert gewesen sei, zum Beispiel die Ausländerpolitik. 

Er möchte sich nicht islamisieren lassen, wovor Udo Ulfkotte in seinen Büchern gewarnt hat. Ob man denn schon einmal von Ulfkotte gehört habe, jenem Schriftsteller, der ja Anfang des Jahres ermordet wurde, wie der Taxifahrer zu wissen glaubt, obwohl er an einem Herzinfarkt starb. Was vor 25 Jahren in Rostock geschah? Das wären die falschen Methoden gewesen, das Ziel aber richtig. Im Ausland war er noch nie, kenne sich aber in Deutschland gut aus. Das sei schließlich sein Heimatland und „die Merkel“ habe es verraten. „Merkel“ spuckt er aus wie ein altes Kaugummi, als er dem Fahrgast am Zielort das Gepäck aus dem Kofferraum reicht. 

Tourismus als Wirtschaftsfaktor

„Ja, solche Typen gibt es noch“, sagt Benjamin Weiß, Inhaber des TriHotels am Schweizer Wald, ein angesagtes Wellness- und Eventhaus, etwas Abseits der Innenstadt. Fremdenfeindlichkeit und Rechtspopulismus seien in Rostock weniger ein Problem, aber in der mecklenburgischen Provinz schon. „Dabei können sich weder das Land noch die Stadt solche Phänomene erlauben, immerhin ist der Tourismus bei uns der stärkste Wirtschaftsfaktor,“, fährt er fort.

Der lebenslustige Hotelier, Vater von drei Kindern und leidenschaftlicher Rockmusiker, ist Lokalpatriot und Weltbürger zugleich. Benjamin Weiß, 36, kam in Rostock zur Welt, studierte nach Abitur und Wehrdienst in Lübeck und ging anschließend nach New York City, wo er sich mit Hoteljobs über Wasser hielt. Seine Eltern betrieben zu DDR-Zeiten die erste private Sauna und eröffneten nach der Wende das Hotel, das ihr Sohn 2009 übernahm. „Ich beschäftige über 70 Mitarbeiter“, sagt er stolz. Darunter sind Menschen aus aller Welt. „Internationalität ist im Tourismus ein Markenzeichen, weshalb ich auch bewusst Flüchtlingen aus Syrien eine Chance gebe.“ Weiß ist fest davon überzeugt, dass sich Ereignisse wie im Jahr 1992 nicht mehr ereignen könnten.

Die DDR im Alltag nicht mehr ersichtlich

Bewegt man sich vom Rostocker Hauptbahnhof in Richtung Innenstadt, wird man spätestens durch die Straßennamen daran erinnert, dass die norddeutsche Hansestadt einst in der DDR lag und in der Nachwendezeit einer Umbenennungsorgie ausgesetzt war. Lediglich politisch unbelastete Personen der Zeitgeschichte überlebten diesen Regime-Change, selbst wenn sie in der DDR als Ikone galten. So darf es auch nicht verwundern, dass die Rosa-Luxemburg Strasse fast direkt in den Konrad-Adenauer-Platz mündet, und dass die Straßen der näheren Umgebung scheinbar wahllos nach Größen der deutschen Geschichte benannt wurden. Das führt dazu, dass sich Goethe neben Friedrich Engels befindet und dass Freiligrath nicht weit von Gerhard Hauptmann zu finden ist. 

Aktuell wird in Rostock darüber diskutiert, ob eine Straße nach dem verstorbenen Altkanzler Helmut Kohl benannt werden soll. Aber genug von diesem Irrgarten, zurück in die Gegenwart. In den August 2017, 25 Jahre nach den Ausschreitungen von 1992, die diese Stadt damals weltweit berühmt und berüchtigt machten. 

Die DDR Geschichte ist im Alltag nicht mehr ersichtlich und auch die sozialen Verwerfungen der Nachwendezeit scheinen überwunden. Stattdessen gibt es großstädtisches Flair und hanseatische Architektur, das historische Stadtzentrum erstrahlt im neuen Glanz, flankiert von der nahen Ostsee, dem neuen Traumziel vieler Bundesbürger in Zeiten des globalisierten Terrors. Tagestouristen, Kreuzfahrtgruppen und Badeurlauber flanieren neben Einheimischen durch die Innenstadt. Aber, sind diese Eindrücke flüchtig, sind diese Bilder brüchig?

In der Ostsee-Zeitung ist an diesem Tag zu lesen:

„Mit einer Gedenkfeier hat die Hansestadt Rostock am Dienstag der rassistischen Krawalle in Rostock-Lichtenhagen im August 1992 gedacht. Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD) sagte in ihrer Rede, ‚wir wollen vor allem alles dafür tun, dass sich Ereignisse, wie wir sie im August 1992 erlebt haben, in Deutschland nie wieder wiederholen.‘ Es sei wichtig, dass die Politik Menschen unterstütze, die sich für Demokratie einsetzen.“
Weiter heißt es in dem Artikel: „Der Vorsitzende des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma, Romani Rose, sagte, der Eskalation vor dem Sonnenblumenhaus sei ein aggressiver Rassismus in Medien und Politik vorausgegangen. Im Anschluss an die Veranstaltung wurde vor dem Rathaus die erste von fünf thematischen Gedenkstellen enthüllt.“

„Die Zukunft Rostocks liegt in Europa“

In der Likörfabrik, einer gemütlichen Gaststätte in der östlichen Altstadt Rostocks, verbringt Mandy Kröppelien ihre Mittagspause in einem Strandkorb, hier eine Sitzgelegenheit mit Lokalkolorit. Kröppelien raucht eine Zigarette, während ihr Blick sich in Richtung ihres Arbeitsplatzes gleich gegenüber richtet. Das Europäische Integrationszentrum, kurz EIZ, ist beheimatet in einem grünen Gründerzeitbau, über dessen Eingangstür die Europaflagge im Winde weht. „1992 habe ich noch nicht in Rostock gelebt“, sagt die Leiterin des EIZ. „Aber so viel kann ich ihnen versichern, mit der Stadt von damals, einer eher grauen Stadt am Meer, ist das heutige aufblühende Rostock nicht mehr zu vergleichen.“ Die Zukunft Rostocks liege in Europa, betont sie mit Nachdruck, gemeinsam mit den Nachbar-Ländern im Baltikum, in Skandinavien und natürlich auch mit Russland. „Daran arbeiten wir im hier im EIZ, dass die Internationalisierung den Menschen vor Ort zu Gute kommt“, sagt sie und macht sich auf den Weg in ihr Büro.

Lichtenhagen heute

Und wie sieht es mit den Menschen vor Ort in Lichtenhagen aus? Plattenbauten, bisweilen aufwendig saniert, stehen hier neben Einfamilienhäusern. Eigentlich eine anständige Wohngegend auf den ersten Blick, vielleicht mit einem Touch zum Spießbürgerlichen. Ein sozialer Brennpunkt sieht auf jeden Fall anders aus. 1992 im August tobte in Lichtenhagen der Mob. Die Fernsehbilder gingen um die Welt,  sie berichteten von der Wiedergeburt des „hässlichen Deutschen“. Die damaligen fremdenfeindlichen Ausschreitungen sorgten vor einem Vierteljahrhundert für Entsetzen. 

Heute scheinen hier fast nur noch Rentner zu leben. Über die damaligen Ereignisse möchten die Anwohner nicht sprechen. „In Rostock passieren doch so viele gute Dinge, so viel Aufbruch, warum wollen Sie in den alten Wunden stochern?“, sagt ein älterer Herr. Eine andere Dame keift: „Das wurde doch vom Westen gesteuert, um uns hier als Rassisten zu brandmarken.“

Jerome, ein Musiklehrer senegalesischer Abstammung, der in Köln aufwuchs und jetzt in Lichtenhagen lebt, meint dazu: „Die Menschen hier sind irgendwie vernagelt, nicht so offen wie in Berlin oder Hamburg. Aber Rassismus erlebe ich hier auch nicht öfter als anderswo.“ 

An einer Bushaltestelle wartet Doreen. „Schlimm war das damals, ich habe mich geschämt, aus Lichtenhagen und aus Rostock zu stammen“, erinnert sie sich. Sie war damals 17 als quasi vor ihrer Haustür andere Rostocker gegen Ausländer hetzten. „Es wurde damals aber auch einiges in den Medien falsch dargestellt, wie heute auch“, fügt sie hinzu. Doreen lebt immer noch in Lichtenhagen. Die Versicherungskauffrau ist mit einem Deutschtürken aus Hamburg verheiratet, ihre beiden Kinder wurden nach 1992 geboren. „Damals war aber auch eine schwere Zeit, die hohe Arbeitslosigkeit nach der Wende, die Abwanderung und Unsicherheit, dieses politische Vakuum, dann die Asylbewerber“, sagt sie. „Heute geht es uns doch dagegen Gold, die Menschen hier haben mehr von der Welt gesehen. Es bleibt aber eine Warnung, dass so etwas überall auf der Welt geschehen kann“, sagt sie zum Abschied und steigt in den Bus.

Tor zur Welt

Die Kröpeliner-Tor-Vorstadt, kurz (KTV), scheint Lichtjahre von Lichtenhagen entfernt. Dabei liegen beide Stadtteile nur wenige Kilometer auseinander. Wenn Lichtenhagen die Vergangenheit der Hansestadt repräsentiert, dann ist KTV vielleicht die Zukunft. Nirgendwo ist Rostock jünger, bunter und akademischer als hier. Die Straßenbahn schlängelt sich durch die von Altbauten geprägten Straßenzüge. Bioläden und asiatische Restaurants liegen neben levantinischen Kleinhändlern, dazwischen junge Menschen mit Dreadlocks, Studenten an Café-Tischen. Die Atmosphäre erinnert ein wenig an das Schanzenviertel in Hamburg oder Berlin-Kreuzberg.

„Rostock ist mein Tor zur Welt!“ ruft Jana aus, die vor einem Jahr zum Studium aus einem kleinen Dorf bei Neubrandenburg hergezogen ist. „Dort gibt es so viele alte und dumme Menschen, ich kehre nie wieder zurück“, sagt sie und beißt in ihre vegane Falafel. Neben der Skandinavistik-Studentin sitzt ihr Kommilitone Tom, der aus Hamburg stammt. „Rostock ist für mich wie ein kleines Hamburg!“, findet der junge Mann. „Nur die Entfernungen sind nicht so groß.“ Auf die Ereignisse von Lichtenhagen 1992 angesprochen, schauen die beiden Jungakademiker ihren Gesprächspartner verständnislos an. „1992? , fragen sie, als handele es sich um ein vorsinflutliches Datum. Und dann: „Wo liegt denn Lichtenhagen?“

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