Franziska Giffey - Die Kiezministerin

Gleich zu Beginn ihrer Amtszeit hat sich die neue Familienministerin Franziska Giffey mit der Forderung hervorgewagt, das Gehalt von Erziehern an das von Grundschullehrern anzupassen. Wir stellen die frühere Bezirks-Bürgermeisterin von Berlin-Neukölln vor

Erschienen in Ausgabe
„Problem erkannt, Problem gebannt“ – das war Franziska Giffeys Methode in Neukölln. Nun auch im Bundestag? / picture alliance
Anzeige

Autoreninfo

Fiona Weber-Steinhaus ist freie Journalistin und lebt in Hamburg

So erreichen Sie Fiona Weber-Steinhaus:

Anzeige

Als die Medien erfahren, dass sie Familienministerin wird, feiert Franziska Giffey etwas anderes: Die Bürgermeisterin von Neukölln, wie immer im Kostüm, die blonden Haare hochgesteckt, eröffnet gerade die renovierten Toiletten einer Grundschule. Um sie herum springen aufgeregte Kinder.

Zwei Tage später steht Franziska Giffey neben Heiko Maas und Andrea Nahles im Willy-Brandt-Haus. Sie wirkt ein wenig aufgeregt. Auch wenn ihr ehemaliger Arbeitsplatz, Zimmer A 100 im Rathaus Neukölln, nur vier Kilometer entfernt liegt, hat Franziska Giffey den weitesten Weg aller neuen SPD-Minister hinter sich: Die 39-Jährige hat weder bundes- noch landespolitische Erfahrung. Manche sagen, sie sei vor allem als Quoten- Ostdeutsche ernannt worden.

Buschkowskys Nachfolgerin

Doch ihre lokalpolitische Erfahrung könnte Giffeys größter Trumpf werden. Sie hat 15 Jahre in einem Stadtteil gearbeitet, wo man durchaus feiern muss, dass Schultoiletten für eine Million Euro saniert werden. „Wissen Sie“, sagt sie immer, egal ob sie mit Neuköllnern spricht, mit der „Tagesthemen“-Moderatorin oder mit Jan Böhmermann. „Wissen Sie, ich bin Anhängerin der Schwarmintelligenz. Wenn hundert Leute vor Ort sagen, wir haben ein Problem, dann ist es sehr wahrscheinlich, dass wir wirklich eins haben.“ Und Probleme gibt es in Neukölln genug: Arbeitslosigkeit, mangelnde Integration, Kriminalität und Gentrifizierung. Giffeys Vorteil: All diese Themen werden auch auf Bundesebene diskutiert.

In Neukölln leben auf 45 Quadratkilometern etwa 328 000 Menschen aus über 150 Nationen. Bekannt wurde der Berliner Bezirk vor allem durch Giffeys Vorgänger, Heinz Buschkowsky. „Neukölln ist überall“, polterte er. Sein gleichnamiges Buch war ein Bestseller, seine Analysen stammtischtauglich: „In der deutschen Unterschicht wird das Geld versoffen, und in der migrantischen kommt die Oma aus der Heimat zum Erziehen, wenn überhaupt.“

Das Genossige widerstrebte Giffey

Buschkowsky holte Giffey 2002 mit 24 Jahren als jüngste Europabeauftragte Berlins in den Bezirk. Das Genossige der SPD widerstrebte Giffey zunächst. Für sie als Ostdeutsche, geboren in Frankfurt an der Oder, aufgewachsen in Fürstenwalde, hatten Parteien einen Beigeschmack. Erst mit 29, nach fünf Jahren im Rathaus, füllte sie den Mitgliedsantrag aus. Ab 2010 arbeitete sie fünf Jahre als Bildungsstadträtin. Als Giffey vor drei Jahren den Posten von Buschkowsky übernahm, fragten sich einige, wie sie, die Verwaltungswissenschaftlerin und promovierte Politologin, die wegen einer Kehlkopfschwäche oft mit Mikrofon spricht, diesen polternden lauten Mann ersetzen wolle.

Das änderte sich schnell. Vor allem durch ihren stoischen Pragmatismus. Franziska Giffeys Überzeugung ist: Jeder kann etwas werden, wenn man ihm nur genügend Chancen bietet. Sie will, dass der Staat sich schon früh in die Erziehung einschaltet. Sie fordert eine Kitapflicht und den Ausbau von Ganztagsschulen. Maßnahmen, die im Vergleich zum Elterngeld oder Elterngeld Plus nicht nur die gut verdienende Mittelschicht ansprechen, sondern auch untere Einkommensschichten.

Giffey erwartet auch einiges

Giffey hat in Neukölln Politik nach der „Problem erkannt, Problem gebannt“-Methode gemacht. Als 2013 Tausende Rumänen, meist Roma, nach Neukölln zogen, fuhr Giffey, damals Bildungsstadträtin, selbst nach Rumänien. Sie wollte herausfinden, was genau die Menschen in Berlin suchten. Damals gab es in knapp der Hälfte der 65 Neuköllner Schulen Willkommensklassen für Kinder ohne Deutschkenntnisse. Davon waren viele Roma. „Ich eröffne jeden Monat eine neue Klasse“, sagte sie im rumänischen Fântânele, „die Kinder müssten Ihnen doch fehlen hier, oder?“ Als Bürgermeisterin holte sie einen Staatsanwalt direkt ins Rathaus, um Straftäter schneller verfolgen zu können. Sie startete das Pilotprojekt der „Müll-Sheriffs“, um Sperrmüllvergehen zu ahnden. Mit den Mitarbeitern ließ sie sich in CSI-Miami-Pose auf dem Dach des Rathauses fotografieren. Das wirkt wie Symbolpolitik. Vielleicht aber ist es genau andersherum. Franziska Giffey nimmt die Bürger ernst.

Sie erwartet aber auch einiges. Dies wird deutlich, wenn man sie als Bürgermeisterin begleitet. In einer Einrichtung beschwert sich eine Frau über den Dreck im Innenhof. „Da müsste die Politik mal was machen“, sagt die Frau. „Und, was machen Sie dagegen? Haben Sie die Leute darauf angesprochen?“, fragt Giffey zurück. Am nächsten Tag, Franziska Giffey hat gerade Urkunden verteilt und eilt zu ihrem Dienstwagen, als ihr eine Frau auf die Schulter tippt: „Frau Dr. Giffey, Sie haben da etwas unter dem Schuh.“ Auf der Rückbank des klimatisierten Audi knibbelt Giffey das Preisschild von dem schwarzen Pump ab. „So“, sagt sie zufrieden. „Schon wieder ein Problem gelöst.“

Dieser Text stammt aus der April-Ausgabe des Cicero, die Sie am Kiosk oder in unserem Online-Shop erhalten.










 

Anzeige