Reform der Euro-Zone - Experten greifen nach mehr Macht

Einflussreiche Wirtschaftswissenschaftler fordern, die Euro-Zone zu reformieren. Was redlich klingt, würde aber die europäischen Demokratien schwächen. Immer häufiger sollen künftig Finanzexperten entscheiden. Gewählte Politiker hätten das Nachsehen

Ifo-Chef Clemens Fuest und DIW-Präsident Marcel Fratzscher präsentieren ihre Reformvorschläge / picture alliance
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Dr. Klaus-Rüdiger Mai, geboren 1963, Schriftsteller und Historiker, verfasste historische Sachbücher, Biographien und Essays, sowie historische Romane. Sein Spezialgebiet ist die europäische Geschichte.

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Mitte Januar veröffentlichten einflussreiche internationale Wirtschaftswissenschaftler einen „konstruktiven Vorschlag“ zur Reform des Euroraumes vor. Dieser besitzt gute Chancen, unbemerkt von der Öffentlichkeit auf fiskalischem Wege politische Fakten zu schaffen. Die Autoren, darunter auch die Chefs des ifo-Instituts und des DIWs Clemens Fuest und Marcel Fratzscher, beobachten richtig, dass der Euro-Raum ein „Risikoverbund“ ist, in dem die „gegenseitige finanzielle Abhängigkeit zwischen Staaten und ihren Banken“ einzelne Mitgliedstaaten und den Euroraum insgesamt bedroht.

Die Situation im Euro-Raum scheint also wesentlich ernster zu sein, als es die Öffentlichkeit wahrnimmt und Politiker darstellen. Kein Wunder, bleiben momentan Berichte über die wirtschaftliche Situation Griechenlands doch in den Medien weitgehend aus. Dabei spannt sich die Situation weiter an, kaum ein Problem wurde gelöst. Griechenland setzt seinen Chefstatistiker auf die Anklagebank, weil der die realen Wirtschaftsdaten an die Europäische Statistikbehörde meldete. Das Signal an seinen Nachfolger dürfte sein: Nur noch geschönte Zahlen sind nach Brüssel zu melden. Wie zur Bestätigung kam von dort weder Widerspruch noch überhaupt eine Stellungnahme. 

Eurobonds durch die Hintertür

Doch zurück zum „konstruktiven Vorschlag“. Die Wirtschaftswissenschaftler möchten „über Marktmechanismen zu mehr Risikoteilung“ kommen. Klingt gut, doch was heißt das für deutsche Bürger? Ziel soll sein, dass weder Banken ihren Staaten durch den Kauf von Staatsanleihen, noch Staaten ihren Banken helfen müssen, die viele faule Kredite in ihren Büchern führen. Die Autoren wollen das mithilfe einer sogenannten „Eigenkapitalunterlegung“ erreichen, welche die „Konzentrationsrisiken bei Staatsanleihen“ senken soll. Das klingt vernünftig, denn Banken sollten das Kreditrisiko, das sie eingehen, mit Eigenkapital absichern müssen. Nur, woher sollen überschuldete Banken, vor allem in Südeuropa, die finanziellen Mittel zur Erhöhung des Eigenkapitals nehmen?

Die Lösung scheint einfach: „Eine gemeinsame Einlagensicherung würde alle versicherten Bankeinlagen in demselben Maße schützen, unabhängig vom Sitzland der Banken und dem Zustand der Staaten“, schreiben die Wirtschaftswissenschaftler. Damit ist die Katze aus dem Sack: Gesunde Banken der Nordländer sollen überschuldete Banken der Südländer sanieren. Damit wird das Eigenkapital der Volksbanken und Sparkassen geöffnet für Banken wie die Banca Monte dei Paschi di Siena, die der italienische Staat vor kurzem rettete. Eine solche Art der Einlagensicherung würde dann praktisch wie Eurobonds funktionieren, also jene kontrovers diskutierten und bislang nicht realisierten Euro-Staatsanleihen oder Gemeinschaftsanleihen. Denn mittels eines solchen gemeinsamen Fonds würden alle für alle haften. Die Aufsicht über die Einlagensicherung würde dann von Brüssel ausgeübt.

Auch Experten können populistisch sein

Eine kleine, aber sehr wichtige Formulierung, die schnell überlesen werden kann, weist in eine ungemütliche Zukunft. Geschützt würden alle Banken des Euroraums „im gleichen Maße“. Das heißt, im gleich hohen oder gleich niedrigen Maße. Man kann vermuten, dass die Einlagensicherung für die Bankkunden in Deutschland dann auf niedrigerem Niveau als heute stattfinden würde. Zwar sollen Skeptiker beruhigt werden, indem eine Art Rückversicherung eingeführt werden soll. Diese beinhaltet, dass gemeinsame Mittel erst dann beansprucht würden könnten, „wenn nationale Kammern ausgeschöpft sind“. Geschenkt, denn die „nationale Kammer“ Griechenlands dürfte ausgeschöpft sein.

Aber die bislang geltenden Regeln sind den Autoren des Vorschlages zu wenig flexibel. Die Regeln, die sie stattdessen geschaffen wollen, um „die institutionelle Architektur des Euroraumes“ grundsätzlich zu reformieren, sollen nicht von Politikern kontrolliert werden, sondern von Fiskalräten, von Experten also. Damit würden den Staaten des Euro-Raumes aber zentrale Kompetenzen entzogen werden. Diese Forderung hat somit den kaum bezwingbaren Charme des Expertenpopulismus

Die Subjektivität der Wirtschaftswissenschaften

Bei allem, was man gegen Politiker sagen könnte, sind sie dennoch demokratisch gewählte Vertreter des Volkes. Fiskalräte besäßen hingegen keinerlei demokratische Legitimation. Zum neuen Götzen einer tief verunsicherten Gesellschaft wird der Experte, von dem man glaubt, er würde die Dinge richten. Der Soziologe Wolfgang Streeck warnte davor: „Mit der neoliberalen Revolution und dem mit ihr verbundenen Übergang zur ‚Postdemokratie‘ kam eine neue Art von politischem Betrug in die Welt, die Expertenlüge.“ Streeck konstatiert, dass die Expertenlüge nach dem TINA-Schema funktioniere: There Is No Alternative. „Wer TINA dienen wollte, unter feierlichen Gesängen der vereinigten Ökonomen aller Länder, musste den Ausbruch des Kapitals in der Welt als ebenso gemeinnützige Notwendigkeit anerkennen und tatkräftig mithelfen, alle ihm entgegenstehenden Hindernisse aus dem Weg zu räumen.“

Auch der Medienwissenschaftler Jochen Hörisch bezweifelt die Objektivität der Wirtschaftswissenschaften: „Jedenfalls kenne ich keine andere Wissenschaft neben der Theologie, die so sehr auf Glaubenssätzen und Dogmen beruht wie die Wirtschaftswissenschaft, die dann auch noch behauptet, sie operiere streng mathematisch mit durchgerechneten Zahlen, Daten und Fakten.“ Deutlich wird das, wenn einer der Autoren des konstruktiven Vorschlags, Markus Brunnermeier, den Tag feiert, an dem die Bundesregierung mit der Bundesbank, der Hüterin der Interessen der deutschen Bürger, bricht

Die Autoren behaupten einerseits, dass für ihre Vorschläge keine „grundlegend neuen politischen Entscheidungen und Beurteilungen erforderlich wären“. Andererseits würden aber die „vorgeschlagenen Reformen die Lage grundlegend verändern“. Was wie ein Widerspruch wirkt, besticht durch seine Logik: Würde man die fiskalische Ordnung so grundsätzlich ändern, brauchte man politisch über nichts mehr zu diskutieren. Es wären keine Entscheidungen mehr notwendig, weil die Fiskalräte bereits alles beschlossen hätten. Neuer Souverän Europas wäre ein Geflecht aus Fiskalräten und Europäischer Zentralbank.

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