Die letzten 24 Stunden - Desmond Tutu wollte mit Mozart untergehen

Der Friedensnobelpreisträger Desmond Tutu ist im Alter von 90 Jahren verstorben. Im Jahr 2015 erzählte er Cicero, wie er seine letzten 24 Stunden verbringen will. Auf jeden Fall mit Musik von Mozart.

Desmond Tutu / dpa
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Autoreninfo

Björn Eenboom ist Filmkritiker, Journalist und Autor und lebt im Rhein-Main-Gebiet.

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Ich habe ein langes, recht erfülltes und glückliches Leben gehabt und wäre bereit zu gehen. Die letzten 24 Stunden meines Lebens möchte ich gemeinsam mit meiner Familie verbringen und mich mit meinem geistlichen Beistand treffen. Bevor ich meine Reise in die Unendlichkeit antrete, möchte ich vorher beichten, die heilige Kommunion und die Sterbesakramente empfangen.

Ich möchte sterben in der Gewissheit, alles getan zu haben, damit die Welt ein besserer Ort wird für alle Kinder Gottes. Besonders für jene, die Gottes Lieblinge sind: die Unterdrückten, die Verachteten, die Ausgestoßenen.

Während ich mich mit diesem Thema auseinandersetze, bin ich mir so schrecklich darüber bewusst, wie sehr in jüngster Zeit Gottes Lieblinge gelitten haben. Es gibt blutige Konflikte in Syrien, im Irak, im Südsudan, in Afghanistan und nun in Gaza, wo ein schlimmes Blutvergießen in Palästina zulasten der Zivilbevölkerung stattfindet. Das ist fürchterlich. Ich würde mich mit den Verantwortlichen in Israel treffen und ihnen sagen, dass ich tief besorgt darüber bin, was sie sich gegenseitig antun. Der Gewehrlauf wird ihnen keine wirkliche Sicherheit geben.

Echte Sicherheit bekämen sie nur, wenn sie den Siedlungsbau im Westjor­danland stoppten und zurückkehrten zur Grenze von 1967. Sie müssen die Mauer in den besetzten palästinensischen Gebieten abreißen, die der Internationale Gerichtshof für illegal erklärte. Wir haben in Südafrika gesehen, wie eine entmenschlichte Politik ihre leidtragenden Opfer sukzessive entmenschlichte. Das war erbarmungslos. Es kann keinen Frieden geben anderswo in der Welt, wenn es keinen Frieden im Heiligen Land gibt – der Heimat des Prinzen des Friedens.

Geschaffen für die Zweisamkeit

Gott möchte, dass wir wissen, dass wir alle Mitglieder einer Familie sind, der Familie der Menschheit, Gottes Familie. Wir sind geschaffen worden für Zweisamkeit, die Gemeinsamkeit, die Familie. Gott ist für mich alles Gute, alle Schönheit und alle Wahrheit. Ich stelle mir Gott vor als ein weiches und zartes Licht oder wie ein glühendes Feuer im Winter, an dessen Licht und Schönheit wir uns alle wärmen. Wir werden nie den Punkt erreichen, dass einer von uns sagen könnte: „Nun verstehe ich Gott gänzlich!“ Gott ist unendlich, und wir werden immer endliche Wesen bleiben.

Meine Beziehung zu Gott wächst stetig. Ich glaube fest daran, dass Gott die Liebe ist. Und ich habe versucht, diese Liebe zu ihm zu vertiefen. Ich vertraue Gott bedingungslos. Wenn ich sterbe, werde ich nicht mehr die Last meines Körpers haben, doch ich werde erkennbar ich bleiben. Wir werden nicht verschluckt werden von einer göttlichen Suppe. Es wird kein Vorher und Nachher geben. Es wird nur noch die Unendlichkeit geben.

Während der letzten Minuten möchte ich meiner Familie sagen, dass ich in den nächsten Raum unseres Universums gehen werde und wir uns alle wiedersehen werden, wenn ihre Zeit gekommen ist. Ich werde ihnen sagen, dass sie auf sich aufpassen und füreinander sorgen sollen – besonders für ihre Mutter, andernfalls werde ich zurückkehren und sie heimsuchen!

Es wird einen kleinen Moment der Ängstlichkeit geben, ins Ungewisse zu gehen. Doch ich glaube, dass derjenige, der mich geschaffen und erlöst hat, mich zu sehr liebt, als dass mir etwas Widri­ges widerfahren könnte. Wenn ich gehe, möchte ich Mozarts „Laudate Dominum“ hören, gesungen von Kiri Te Kanawa. Ich werde mich von meiner Familie verabschieden und meine Augen das letzte Mal schließen.

Aufgezeichnet von Björn Eenboom

Desmond Tutu: Der anglikanische Erzbischof war Friedensnobelpreisträger und galt als Gewissen Südafrikas.

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