Belarus - Die Östliche Partnerschaft - Was tot ist, kann niemals sterben

Der Konflikt an der polnisch-belarussischen Grenze beweist erneut: Die EU-Strategie der „Östlichen Partnerschaft“ ist krachend gescheitert. Der Kiewer Außenpolitik-Experte Mykola Kapitonenko fordert Brüssel in seinem Gastbeitrag zum Umdenken auf.

Alexander Lukaschenko besucht im Dezember 2020 einen Stützpunkt belarussischer Spezialkräfte / dpa
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Autoreninfo

Mykola Kapitonenko ist außerordentlicher Professor am Institut für Internationale Beziehungen an der Nationalen Taras-Schewtschenko-Universität Kiew und Direktor des Zentrums für Studien der Internationalen Beziehungen. Er ist spezialisiert auf regionale Sicherheitsstudien und die Außenpolitik der Ukraine.

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Im Jahr 2009 rief die EU das Projekt der „Östlichen Partnerschaft“ ins Leben, um mehr Demokratie, Wohlstand und Stabilität nach Osteuropa zu bringen. Zwölf Jahre später gibt es in der Region immer weniger davon. Stattdessen gibt es noch mehr Probleme, Risiken und Bedrohungen.

Die Östliche Partnerschaft ist daran sicher nicht schuld. Für die meisten EU-Mitgliedstaaten hatte das Projekt kaum Priorität. Und die Probleme in den Zielstaaten waren zu komplex und hatten eine lange Vorgeschichte. Ungeachtet dessen braucht die Europäische Union ein Instrument, um die Situation östlich ihrer Grenzen zu beeinflussen. Und es sollte so effektiv wie möglich sein.

Reformen gegen Zugang zum europäischen Markt

Ursprünglich bestand der Plan darin, den Zugang zu den europäischen Märkten gegen Reformen einzutauschen, die die postsowjetischen Staaten näher an die Standards von Demokratie und Marktwirtschaft heranführen sollten. Wenn es funktioniert hätte, wäre der Raum entlang der östlichen Grenzen der Europäischen Union sicher geworden. Gegenseitige Abhängigkeit und gemeinsame demokratische Praktiken schienen geeignet, gewaltsame Konflikte zu verhindern und zur Lösung der im postsowjetischen Raum schon bestehenden Konflikte beizutragen. Vor zehn Jahren war der Glaube an die normative Kraft – die Kraft der europäischen Werte – noch viel stärker.

Doch die Realität sah brutaler aus. Der Magnet der europäischen Werte war schwächer als die Interessen der korrupten Eliten, die Macht der Oligarchen und die Kraft der geopolitischen Widersprüche. Selbst in den Staaten, die den Wunsch geäußert hatten, eines Tages der EU beizutreten – Moldawien, Georgien und die Ukraine –, liefen die Dinge nicht gut. Armenien, Aserbaidschan und Belarus betrachteten die Östliche Partnerschaft als ein rein pragmatisches Projekt. Die europäische Rhetorik wurde oft als Zuckerbrot für die Wähler eingesetzt: Dem ukrainischen Präsidenten Viktor Janukowitsch gelang es, über ein Jahr lang eine pro-europäische Rhetorik zu verwenden, um sich im letzten Moment zu weigern, das Assoziierungsabkommen zu unterzeichnen. Die politischen Führer der Länder der Östlichen Partnerschaft waren bereit, viel über Europa zu reden, hatten es aber nicht eilig, die politischen Systeme ihrer Länder zu reformieren.

Die Partnerschaft erwies sich als kontraproduktiv

Heute gibt es kaum noch Fortschritte zu verzeichnen. Die Revolutionen und Umwälzungen in der Ukraine und der politische Wettbewerb in Georgien und Moldawien haben nicht zu einer demokratischen Transformation geführt; alle diese Länder gehören weiterhin zur Gruppe der hybriden Regime, und die Demokratie ist in diesen Ländern weitgehend relativ und nicht nachhaltig.

Die Situation in Belarus ist besonders anschaulich. Das autoritäre Regime von Präsident Lukaschenko ist nicht nur nicht verschwunden, sondern sogar noch stärker geworden. Die Östliche Partnerschaft und das Sanktionsregime konnten dies nicht verhindern – und haben die Abhängigkeit Minsks von Moskau nur verstärkt: Das Ergebnis war das Gegenteil der ursprünglichen Ziele.

ÖP-Länder werden zu Geiseln der Geopolitik

Auf dem Gebiet der Sicherheit sieht es nicht besser aus. Die Mechanismen der Östlichen Partnerschaft haben es nicht geschafft, den Frieden in der Region zu erhalten. Die besondere Art der Wahrnehmung und die Interessen des Kremls wurden nicht angemessen berücksichtigt, und einige Länder der Region wurden zu Geiseln einer groß angelegten geopolitischen Konfrontation. Es sieht so aus, als würde dies noch viele Jahre so weitergehen.

In gewisser Weise hat die Östliche Partnerschaft Pech mit der Zeit gehabt. Die Kehrtwende in der russischen Außenpolitik, die oft mit der Rede von Präsident Putin auf der Münchner Sicherheitskonferenz 2007 und den darauf folgenden Kriegen in Georgien und der Ukraine in Verbindung gebracht wird, hat die fragile Ruhe zerstört, auf die die EU nach der letzten großen Erweiterungswelle gehofft hatte. Die Östliche Partnerschaft war für eine Zeit des Friedens und des Wettbewerbs der Standards konzipiert, in der die EU die Oberhand hatte. Sie erwies sich jedoch angesichts einer akuten Sicherheitskrise als hilflos.

Die klassischen Bedrohungen in Form von bewaffneten Konflikten sind nicht die einzigen. Andere Herausforderungen haben sich in den letzten Jahren verschärft: unkontrollierte Migration, Bedrohungen im Cyberspace, ökologische und humanitäre Fragen. Sie müssen meist auf der Ebene bilateraler Verhandlungen gelöst werden. Die Östliche Partnerschaft bringt hier kaum Nutzen.

Moldawien, Georgien und Ukraine haben einen hohen Preis bezahlt

Als die Pattsituation offensichtlich wurde, versuchte Brüssel, die Östliche Partnerschaft zu reformieren. Im Jahr 2017 wurden „20 Ziele bis 2020“ beschlossen; und es wurde viel darüber gesprochen, wie schön es wäre, individuelle Ansätze für die recht unterschiedlichen Länder zu entwickeln, die an dem Projekt teilnehmen; oder zumindest eine Grenze zu ziehen zwischen Georgien, Moldawien und der Ukraine, die Assoziierungsabkommen unterzeichnet haben, und Aserbaidschan, Armenien und Belarus, die keine Annäherung an die EU anstreben.

All dies hat die Hauptprobleme nicht gelöst. Die wichtigsten Errungenschaften der Östlichen Partnerschaft – die Unterzeichnung des Assoziierungsabkommens und die Visaliberalisierung – scheinen der Vergangenheit anzugehören. Ihr wichtigster positiver Effekt war die Stärkung der Rolle der EU im Außenhandel Georgiens, der Republik Moldau und der Ukraine; der Preis für diese Errungenschaft war jedoch hoch, und die Aussichten auf einen weiteren Dialog bleiben trüb.

Wenn das Projekt der Östlichen Partnerschaft so weit von den Erwartungen von vor zwölf Jahren entfernt ist, sollte die EU ihre Herangehensweise an die Nachbarschaftspolitik (zu der sie gehört), ihre normative Stärke und die Situation in Osteuropa überdenken. Die Region braucht eine neue Sicherheitsarchitektur – und daran ist die EU besonders interessiert. Die wichtigsten Probleme – der Konflikt in der Ostukraine, die Energiefrage, die Politik gegenüber Russland – werden neue Ansätze erfordern, bei denen alte Fehler berücksichtigt werden.

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