Wahlsieg der PiS in Polen - Ungarische Verhältnisse

Bei den Parlamentswahlen in Polen erzielte die PiS-Partei einen grandiosen Erfolg. Noch vor wenigen Jahren schien das undenkbar. Warum der geschlagenen Opposition diese Strategie als Beispiel für die Zukunft dienen könnte

Jarosław Kaczyński prophezeite ein ein Budapest in Warschau / picture alliance
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Thomas Dudek kam 1975 im polnischen Zabrze zur Welt, wuchs jedoch in Duisburg auf. Seit seinem Studium der Geschichts­­wissen­schaft, Politik und Slawistik und einer kurzen Tätigkeit am Deutschen Polen-Institut arbei­tet er als Journalist.

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„Ich bin fest davon überzeugt, dass einmal der Tag kommen wird, an dem wir in Warschau ein Budapest haben werden.“ Dies ist ein mittlerweile legendärer Satz von Jarosław Kaczyński, den der Vorsitzende der PiS (Prawo i Sprawiedliwość, deutsch Recht und Gerechtigkeit) 2011 geäußert hat. Am Abend einer Parlamentswahl, bei der die Nationalkonservativen zehn Prozent weniger bekamen als die Bürgerplattform des damaligen Ministerpräsidenten und heutigen Noch-EU-Ratspräsidenten Donald Tusk. Mal wieder. Bis auf die Parlamentswahlen von 2005 ging die PiS bis 2015 aus allen Urnengängen als Verlierer hervor. Egal ob aus denen für den Sejm, das Europaparlament oder den Präsidentschafts- und Kommunalwahlen.

Doch spätestens mit dem gestrigen Sonntag dürften die letzten Kritiker verstummt sein, die eine illiberale Demokratie nach ungarischem Vorbild an der Weichsel für undenkbar hielten und Jarosław Kaczyński wegen seinem Budapest-Satz in der Vergangenheit ausgelacht haben. Fast 44 Prozent der Stimmen erhielt die PiS bei den Parlamentswahlen und somit 16 Prozent mehr als das Wahlbündnis Bürgerkoalition, das aus der Bürgerplattform, der liberalen Moderne und den Grünen besteht. Seit der politischen Wende von 1989 hat noch keine Partei bei Parlamentswahlen ein so gutes Ergebnis erzielt – und das bei einer für polnische Verhältnisse enormen Wahlbeteiligung von fast 62 Prozent. Vor vier Jahren hatten nur knapp 50 Prozent der Wahlberechtigten ihre Stimme abgegeben.

Die einzige Volkspartei Polens

Es ist ein Ergebnis, mit dem die PiS aufgrund des in Polen angewandten D'Hondt-Verfahrens auch in den kommenden vier Jahren allein regieren kann. Doch nicht nur deswegen kann die PiS zufrieden sein. Das Ergebnis der Parlamentswahlen – das für die Nationalkonservativen besser ausfiel als noch 2015 – sowie die hohe Wahlbeteiligung zeigen vor allem eins: Die PiS ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Für viele Wähler war sie vorher nicht wählbar, aufgrund ihrer chaotischen, ideologisch verblendeten Regierungszeit zwischen 2005 und 2007 sowie ihrer Radikalisierung und ihrer Verschwörungstheorien nach dem Flugzeugabsturz von Smolensk von 2010, bei dem neben Staatspräsident Lech Kaczyński und seiner Ehefrau Maria alle weiteren 94 Insassen ums Leben kamen. Überspitzt könnte man auch sagen, dass die PiS die einzige Volkspartei Polens ist.

Deutlich wird das beim Blick auf die einzelnen Wahlbezirke. Von den insgesamt 41 Wahlbezirken, in welche Polen unterteilt ist, konnte die oppositionelle Bürgerkoalition in lediglich fünf die stärkste Kraft werden. In allen anderen gewann die PiS mal mehr, mal weniger deutlich. 2011, als Jarosław Kaczyński seinen berühmten Budapest-Satz tätigte, sah das Ergebnis noch anders aus und nährte das Bild von dem politisch geteilten Polen. Polen A, der wohlhabende Westen des Landes, der liberal und bürgerlich wählte, und das Polen B, der PiS-wählende Osten des Landes. Der Blick auf die aktuellen Ergebnisse in den einzelnen Wahlbezirken bedeutet zwar nicht, dass die politische Spaltung der polnischen Gesellschaft überwunden ist. Doch sie zeigt, dass die PiS in Regionen und Gesellschaftsgruppen eingedrungen ist, die vor Jahren für sie noch als uneinnehmbar galten.

Öffnung Richtung Mitte

Und dies ist keine neue Entwicklung. Ein gutes Beispiel dafür ist der Wahlbezirk Nummer 29, der aus den Städten Zabrze, Gliwice, Tarnowskie Góry und einigen ländlichen Bezirken besteht. Bei den Parlamentswahlen 2007 und 2011 erhielt die rechtsliberale Bürgerplattform (PO) dort noch knapp 50 Prozent der Stimmen. Nicht ohne Grund galt der Wahlbezirk, wie die gesamte Woiwodschaft (Verwaltungsbezirk) Oberschlesien, als eine Hochburg der PO. Doch bereits 2015 wurde die PiS dort – wenn auch knapp – die stärkste Kraft

Geschuldet ist dies nicht nur dem langen Atem, den Kaczyński und seine PiS trotz all der Wahlniederlagen in den vergangenen Jahren gezeigt haben, sondern vor allem der Wandlung der Partei. Mit ihren Sozialprogrammen griffen die Nationalkonservativen klassische linke Themen auf, die seit 1989 im neoliberalen Taumel der bis 2015 regierenden Parteien nicht nur vernachlässigt, sondern regelrecht vergessen wurden. Und auch das Gesicht der Partei hat sich verändert. Mit der Entscheidung, bereits bei den Präsidentschafts- und Parlamentswahlen 2015 nicht Kaczyński, sondern den heutigen Staatspräsidenten Andrzej Duda und die bis 2017 als Ministerpräsidentin agierende Beata Szydło zu den Gesichtern der Kampagnen zu machen, erwies sich aus Sicht der PiS als ein taktischer Geniestreich.

Kaczyński ist zwar immer noch der starke Mann der polnischen Politik, der den Staat nach seinen Vorstellungen umbaut, doch seine Hintergrundrolle macht die Partei auch für gemäßigte Wähler interessant. Und mit der Entscheidung von 2017, die Regierungschefin Szydło durch Mateusz Morwiecki zu ersetzen, einen ehemaligen Bankmanager, der in der Vergangenheit sogar Beziehungen zu der Bürgerplattform pflegte, öffnete Kaczyński die Partei noch mehr in Richtung Mitte. Kaczyński ist bewusst, dass sich die PiS allein mit der Unterstützung seiner treuen Wählerschicht langfristig nicht an der Macht halten kann. Das Kunststück ist nun, diesen Spagat zwischen der klassischen Wählerschicht, die man im aktuellen Wahlkampf unter anderem mit der Kritik an Lesben und Schwulen bei Laune hielt, und den gemäßigten Wählern zu halten.

Die Opposition ist gefragt

Einen ähnlich langen Atem, wie ihn Kaczyński und die PiS in den vergangenen Jahren hatten, muss nun auch die Opposition zeigen. Dabei muss sie vor allem aus ihren Fehlern lernen. Der beleidigte Vorwurf, die Polen ließen sich durch die Sozialprogramme der PiS kaufen, mag zwar inhaltlich richtig sein, kommt aber nicht gut an in einem Land, in dem bis 2015 nicht einmal Langzeitarbeitslose vernünftig abgesichert waren. Auch die unterschiedlich wechselnden Wahlbündnisse, mit denen die Opposition seit den Kommunalwahlen im Herbst vergangenen Jahres punkten wollte, werfen kein gutes Licht auf sie.

Vielmehr brauchen die Oppositionsgruppierungen ein langfristiges Programm sowie charismatische und überzeugende Gesichter. Mit PO-Chef Grzegorz Schetyna, einem der unbeliebtesten Politiker des Landes, lassen sich jedenfalls keine Wahlen gewinnen. Dass Hoffnung besteht, zeigt der polnischen Opposition etwa die ungarische Hauptstadt Budapest. Ausgerechnet am gestrigen Sonntag gewann dort der Oppositionskandidat die Bürgermeisterwahlen.

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