Wahl in Großbritannien - Last Brexmas

Boris Johnson ist laut Exitpolls großer Sieger der Wahl in Großbritannien mit absoluter Mehrheit. Die Wähler bestätigen seinen harten Brexitkurs. Ende Januar 2020 könnte das Königreich nun die EU verlassen. Doch in Schottland gewinnen die Remainer der SNP

Downing Street 10 / picture alliance
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Tessa Szyszkowitz ist Londoner Korrespondentin des österreichischen Wochenmagazins Profil. Im September 2018 erschien „Echte Engländer – Britannien und der Brexit“. Foto: Alex Schlacher

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So sieht ein Sieger aus: Alexander Boris de Pfeffel Johnson trägt gerne am frühen Morgen Milch aus, er fährt gerne auf einem Traktor durch Ziegelwände und er reckt gerne beide Daumen wie ein kleines Kind, das Lob sucht, in die Kameras. Zumindest tat der britische Premierminister dies in den letzten Tagen vor den britischen Unterhauswahlen. Und es hat sich ausgezahlt.

650 Sitze im Unterhaus wurden am Donnerstag neu vergeben. Der strahlende Sieger: der 55jährige Boris Johnson, der rundliche Mann mit dem strohweißen Strubbelhaar, ist seit Juli 2019 Premierminister. Er bleibt es auch. Die Exitpolls gaben ihm Donnerstag Abend 368 Sitze und Labour nur 191. Der konservative Parteichef will bis 31. Januar aus der EU austreten und die Übergangsphase bereits im Dezember 2020 beenden. Egal, ob es bis dahin ein Wirtschaftsabkommen über die künftigen Beziehungen zwischen EU und Großbritannien gibt. „Eventuell aber gibt ihm die große Mehrheit eine freiere Hand, doch noch eine weichere Brexitpolitik zu verfolgen“, meint Simon Hix von der London School of Economics in einer ersten Reaktion.

Ein absoluter Brexit-Wahlkampf

Der konservative Politiker, der einst als sozialliberaler Bürgermeister von London  mit dem Fahrrad ins Büro fuhr, hat sich mit dem Brexitprozess immer weiter ins rechte Lager bewegt. In diesem Herbst wilderte er im Revier der Brexit-Partei und deren Chef Nigel Farage – mit durchschlagendem Erfolg. Farages europhober Club ist nach ersten Ergebnissen ohne ein einzies Mandat geblieben. Boris Johnson hat ihn als furioser Träger des Brexit-Banners ersetzt. Die Strategie von Johnsons Spindoktor Dominic Cummings ist aufgegangen. Er hatte alles auf eine Karte gesetzt: „Get Brexit done“.

Mit Freitag, dem 13. Dezember, ist der britische EU-Austritt endgültig fix. Johnson will am 19. Dezember die Queen’s Speech abhalten – Königin Elizabeth II. verliest dann im House of Lords die Regierungserklärung des neuen Johnson-Kabinetts. Darin fehlen werden moderate Konservative wie Philipp Hamond oder Amber Rudd. Am Liebsten möchte Johnson noch vor der Weihnachtspause seinen Brexit-Deal im Parlament mit seiner neuer Mehrheit abstimmen lassen. Unter Umständen zieht sich das Prozedere bis zum 24. Dezember hin. Wenn es klappt, dann steht den Briten BreXmas ins Haus. Vielen wird das nicht unrecht sein, die „Brexhaustion“ – die „Brexit-Erschöpfung“ ist wie die Herbstgrippe inzwischen eine Volkskrankheit geworden.

Labour-Anhänger, die lieber Johnson wählten

Doch so groß der Jubel unter den Boris- und Brexit-Getreuen auch ist, vielen Kritikern graut vor der Zukunft. Boris Johnson, sagt man auf der Brexitinsel gerne, ist wie Marmite, der englische Hefe-Aufstrich. Entweder man liebt ihn. Oder man hasst ihn aus tiefsten Herzen. Der englischen Journalistin Jenni Russell graut in einem Kommentar in der New York Times davor, dass sich die Lügen des Premierministers bezahlt machen: „Die bisherige Annahme, dass Wahrheit zählt und dass Lügen dem Lügner zur Schande gereichen, ist obsolet geworden. Die Tories sind davon überzeugt, dass in einer unaufmerksamen, unzufriedenen und kakophonen Welt der überzeugendste Entertainer gewinnt. Fakten sind irrelevant, solange die Wähler denken, dass der Politiker auf ihrer Seite ist.“

Auch viele Labour-Wähler im de-industrialisierten Nordengland, die möglichst schnell den Brexit wollen, haben lieber den Konservativen gewählt als ihren eigenen Parteichef. Denn Jeremy Corbyn hatte ihnen etwas versprochen, das zu kompliziert geklungen hatte: Einen neuen, sanfteren Brexitdeal, den es noch mit Brüssel auszuhandeln gegeben hätte, über den dann bei einem Referendum abgestimmt werden sollte. Corbyn hatte nicht einmal sagen wollen, ob er dann für den Verbleib in der EU eingetreten wäre. Boris Johnson hat deshalb aus der roten Wand in Nordengland, wie es nach den ersten Ergebnissen zu vemruten ist, einige blaue Ziegel herausgebrochen.

Labour und LibDems blockierten sich gegenseitig

Außerdem konnte Johnson davon profitieren, dass sich die Brexit-Gegner nicht auf eine taktische Wahlallianz einigen konnten. Aus Labour wanderten viele Proeuropäer zu den Liberaldemokraten ab. In Südengland und in London dürften einige Bezirke, die bisher rot gewählt haben, nach den Exil Polls Labour deshalb verloren gegangen sein. Manche aber gingen nicht an die proeuropäischen Liberaldemokraten – sondern auch an die Tories. Denn im britischen Mehrheitswahlrecht gewinnt der Kandidat mit den meisten Stimmen. Labour und LibDems haben sich gegenseitig das Wasser abgegraben und so könnte in einigen Fällen ein Konservativer der lachende Dritte geworden sein.

So groß der Triumph für den einen, umso bitterer die Niederlage für jenen Mann, der einst auch in Europa als die Hoffnung der Linken galt. Jeremy Corbyns Tage sind gezählt. Der 70jährige demokratische Sozialist hat ein radikales Programm vorgelegt, das vielen zu sehr nach den 1970er Jahren klang. Außerdem verspielte er mit seiner unklaren Haltung zum Brexit die Chance, sich als Oppositionsführer zum Brexit-Premier Boris Johnson zu positionieren. Der Streit um Antisemitismus innerhalb der Labour-Partei beschädigte Corbyn zusätzlich, da er als Parteichef nicht in der Lage war, rassistische antijüdische Attacken zu unterbinden. „Das Ergebnis ist extrem enttäuschend“, meinte John McDonnell in einem ersten Fernsehinterview. Corbyns engster Mitstreiter und Schattenfinanzminister fügte fast drohend hinzu: „Nach dem Endresultat werden wir Konsequenzen ziehen.“

Schottland könnte Großbritannien schrumpfen lassen

Die Chefin der Liberaldemokraten, Jo Swinson, durchlitt bereits einen eher harten Wahlkampf und der Wahlausgang war für sie niederschmetternd, ihr wurden bei den Exit Polls nur 13 Mandate prophezeit. Sie muss um ihren eigenen Wahlkreis in Schottland fürchten. Und viele liberaldemokratischen Kandidaten, die 2019 aus der konservativen Partei und von Labour zu den LibDems gestoßen waren, haben sich offenbar nicht durchsetzen können.

Einen Erfolg errang zumindest eine Politikerin: die schottische, proeuropäische Nationalistin Nicola Sturgeon. Sie verbesserte das Ergebnis von 2017 deutlich von 35 auf 55 Mandate – wenn die Exit Polls halten. Das heisst auch, dass Boris Johnsons einen Pyrrhussieg eingefahren haben könnte: Je härter sein Brexit wird, umso schneller werden die Schotten ein neues Unabhängigkeitsreferendum abhalten. Und dann könnte aus dem Traum vom unabhängigen, globalen Großbritannien ganz schnell Little Britain werden.

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