Mord an Viktoria Marinova - „Entschuldigt euch bei Bulgarien!“

Der Fall der ermordeten Journalistin Viktoria Marinova wurde schnell als ein Angriff auf die Pressefreiheit in Bulgarien gewertet. Doch Ministerpräsident Boiko Borrisov fühlt sich und sein Land zu Unrecht an den Pranger gestellt. Wie politisch ist Marinovas Tod?

Vor dem Freiheitsdenkmal in Russe haben Menschen ein Mahnmal für die ermordete Journalistin errichtet / picture alliance
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Frank Stier ist Korrespondent für Südosteuropa und lebt in der bulgarischen Hauptstadt Sofia.

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Seit Jahren steht Bulgarien wegen zahlreicher Übergriffe auf Journalisten in der Kritik, im Inland wie im Ausland. Im Mordfall Viktoria Marinova jedoch fühlt sich der bulgarische Ministerpräsident zu Unrecht kritisiert: 

„Kein Staat und kein Medium haben sich auf offiziellem Wege um Informationen zu den Ermittlungen bemüht“, klagte Bulgariens Ministerpräsident Boiko Borissov am Mittwochmorgen gegenüber rund drei Dutzend Botschaftern. In einem unerhörten Akt hatte er sie in den Ministerrat einbestellt, um sein Missfallen darüber kundzutun, wie die Weltgemeinschaft das grausame Gewaltverbrechen an der dreißigjährigen Journalistin kommentiert hatte. 

Am vergangenen Samstagnachmittag war die Geschäftsführerin der TV-Gesellschaft My Fi und Moderatorin des regionalen Fernsehsenders TVN Marinova im Gebüsch am Donauufer der nordbulgarischen Stadt Russe tot aufgefunden worden. Ihr lebloser Körper zeigte Spuren grausamer Misshandlung und mehrfacher Vergewaltigung. Das international großes Aufsehen erregende Gewaltverbrechen war von vielen Medien und Politikern als ein Anschlag auf die Medienfreiheit in Bulgarien gewertet worden. 

Politiker fordern Aufklärung durch bulgarische Behörden 

Auch Frans Timermans, Vize-Präsident der EU-Kommission, sah sich veranlasst, den Fall Marinova zu kommentieren. „Geschockt über den grausamen Mord an Viktoria Marinova“, twitterte er, „wieder ist eine mutige Journalistin im Kampf für die Wahrheit und gegen Korruption gefallen. Die Verantwortlichen dafür sollten von den bulgarischen Behörden sofort zur Rechenschaft gezogen werden“. 

Ähnlich äußerte sich der Vorsitzende der Euopäischen Volkspartei (EVP) Manfred Weber in seinem Tweet; es sei dies „bereits der dritte Mord an Journalisten in diesem Jahr in Europa“, dringend gefordert sei „die vollständige Aufklärung des Falles durch die bulgarischen Behörden“.

„Ich habe in diesen Tagen bewusst nicht mit den Leuten in Brüssel geredet. Sie haben uns mit Twitter-Posts überschüttet. Wenn ich nach Brüssel komme, wird es in der EVP ernsthafte Gespräche geben”, drohte nun Borissov. 

Gezielter Anschlag auf die Medienfreiheit?

Zuvor hatte bereits die in Sofia ansässige Assoziation Europäischer Journalisten in Bulgarien (AEJ Bulgaria) vor voreiligen Schlüssen zu dem Gewaltverbrechen gewarnt. „Natürlich darf bei den Ermittlungen keine mögliche Version ausgeschlossen werden, auch die nicht, dass die Gründe für die Tat in Beziehung zur Arbeit des Opfers stehen. Es ist aber unhaltbar, darüber zu spekulieren, dass die Tat etwas zu tun hat mit der Meinungsfreiheit in Bulgarien, bevor es konkrete und belegende Fakten gibt“, erklärte AEJ Bulgaria. 

Am Dienstagabend wurde in der Nähe von Hamburg der einundzwanzigjährige Bulgare Severin Krassimov als dringend der Tat Verdächtigter verhaftet. Damit scheint klar, dass der Mord an Viktoria Marinova in keinem Zusammenhang steht mit ihrer journalistischen Tätigkeit. Vermutlich zufällig ist sie beim Joggen an der Donau in das Visier des alkoholisierten Kleinkriminellen geraten, der sie aus sexuellem Antrieb attackiert und erwürgt hat. „Es gibt eine völlige Übereinstimmung der DNA des Festgenommenen mit an der Kleidung des Opfers gefundenen DNA-Spuren”, teilte Generalstaatsanwalt Sotir Tsatsarov auf seiner Pressekonferenz am Mittwochmorgen mit. Krassimirovs Brutalität bei der Attacke gebe Aufschluss über seine „charakterliche Abweichung”. 

In ihrer Berichterstattung hatten internationale Medien Viktoria Marinova zuweilen als prominente investigative Journalistin porträtiert. Tatsächlich behandelte die früher auch als Model tätige junge Frau in ihrem TVN-Lifestyle-Magazin Podium aber vor allem weiche Themen wie Mode und gesunde Ernährung. Mit politischen Themen beschäftigte sie sich erst seit kurzem, übernahm im September 2018 die Moderation des Politmagazins Detektor. In ihrer ersten und einzigen Detektor-Sendung eine knappe Woche vor ihrem Tode problematisierte sie die kritische Situation der Medien in Bulgarien. 

Pressefreiheit: Bulgarien ist Schlusslicht

Das Balkanland nimmt bei der Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen (RoG) mit Rang 111 die schlechteste Position nicht nur aller EU-Mitglieder, sondern auch aller Balkanstaaten ein. Verschleierung von Eigentumsverhältnissen an Medien, ihr Missbrauch zu Diskreditierungskampagnen gegen politische Gegner und wirtschaftliche Konkurrenten, der Zwang zur Selbstzensur bei Journalisten und gelegentliche Angriffe auf ihre körperliche Unversehrtheit prägen die bulgarische Medienlandschaft. Zwei Journalisten, die Mitte September während ihrer Recherche von bulgarischen Polizisten kurzfristig verhaftet wurden, waren die Interview-Gäste in Marinovas erster Detektor-Sendung. 

Dass internationale Kommentatoren das grausame Gewaltverbrechen an Viktoria Marinova stets in den Kontext der bedenklichen Situation der Medien in Bulgarien stellten, erregt nicht nur den Zorn von Ministerpräsident Borissov, sondern auch den Unmut einiger Medien aus dem nationalistischen Lager. Sie sehen ihr Land verunglimpft und fordern Genugtuung.

„Die Bespucker von Bulgarien“

„Entschuldigt Euch bei Bulgarien, ihr bewachten Beamten in Brüssel“, schrieb etwa das Online-Medium Pik.bg und führte aus, „die Bespucker von Bulgarien, die hohe Posten einnehmen in Brüssel, bei den Vereinten Nationen, in den Botschaften und den Stiftungen am Tropf von Soros haben sich noch nicht für ihre Verleumdungen entschuldigt, mit denen sie unser Land überschüttet haben in den Tagen nach dem brutalen Mord an Viktoria“.

Borissov lasse es nicht zu, dass man sich mit Fake News in die inneren Angelegenheiten Bulgariens einmische, lobte Pik.bg den bulgarischen Regierungschef. Die vor einigen Jahren noch zur WAZ-Gruppe gehörende Tageszeitung Trud präsentierte auf ihrer Titelseite eine Galerie der Schande. „Das sind die Verleumder Bulgariens” überschrieb sie Portraits unter anderem von Frans Timermans, EVP-Vorsitzendem Manfred Weber, UN-Generalsekretär Antonio Guterres und Christophe Deloire, Generalsekretär von Reporter ohne Grenzen (RoG). 

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