US-Ausstieg aus Atomabkommen mit Iran - Das nukleare Gespenst ist wieder wach

Donald Trump hat das Atomabkommen mit dem Iran aufgekündigt, was vor allem seinem Chef-Einflüsterer Benjamin Netanjahu gefallen dürfte. Ohne Zweifel hat sich der Iran zur Schutzmacht aller Schiiten hochgearbeitet, was ihn gefährlich macht. Doch nun droht ein Hochrüsten in der gesamten Region

Eine Unterschrift wie ein Paukenschlag: Donald Trump und die USA steigen aus dem Atomabkommen mit dem Iran aus / picture alliance
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Autoreninfo

Werner Sonne, langjähriger ARD-Korrespondent in Washington, ist der Autor mehrerer Bücher zu diesem Thema, u.a.  „Leben mit der Bombe“, sowie des jüngst erschienenen Romans „Die Rache des Falken“. 

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Es ist die typische Einerseits-Andererseits-Situation. Einerseits hat man 15 Jahre um diesen Deal gerungen, ihn erfolgreich abgeschlossen und die Internationale Atomenergiebehörde (IAEO) konnte bislang keinen Verstoß gegen das Iran-Abkommen feststellen. Es enthält sehr detaillierte technische Einschränkungen, die den Bau einer Atombombe verhindern sollen. Die IAEO überwacht es, wie sie sagt, lückenlos mit ihren Monitoren und Inspektionen. 

Andererseits hat der Iran sich in dieser Zeit zu einer regionalen Führungsfigur hochgearbeitet, die das von der Obama-Regierung verursachte Machtvakuum im Mittleren Osten systematisch ausfüllt und dabei große Fortschritte gemacht hat – mit dem Anspruch, für die Schiiten der eindeutige Schutzpatron zu sein. 

Die Folgen im Nahen Osten

Die Folgen sind jeden Tag zu spüren: Im Irak, wo die Schiiten die einst übermächtigen Sunniten auch aus dem Militär weitgehend verdrängt haben; in Syrien, wo ohne die Revolutionären Garden und andere iranische Einheiten Baschar al-Assad kaum eine Überlebenschance gehabt hätte; im Libanon, wo die Hisbollah mit Waffen, die eine hochgefährliche Bedrohung für Israel darstellen, vollgepumpt wurde; im Stellvertreterkrieg im Jemen, der im Chaos versinkt. Und natürlich auch in den Scheichtümern Bahrein mit einem großen schiitischen Bevölkerungsanteil sowie in Katar. Nicht einmal der Erzfeind Saudi-Arabien bleibt unberührt, denn gerade im ölreichen Osten des Landes gibt es eine starke schiitische Minderheit. Und auch die Hamas im Gazastreifen, wiewohl sunnitisch, blickt nach Teheran, um dem gemeinsamen Feind Israel Widerstand entgegenzusetzen.

Ob man das nun Terrorismus nennt, wie Donald Trump, angefeuert vom israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu, es täglich tut, oder ob man dem Iran zubilligt, sich militärisch zu schützen, liegt im Auge des Betrachters. Schließlich begann man in Teheran mit der militärischen Aufrüstung nach dem acht Jahre währenden, verlustreichen und inzwischen fast vergessenen Krieg mit dem Irak des Saddam Hussein. Der wurde damals massiv unterstützt vom Westen inklusive US-Satelliten-Spionagefotos gegen das revolutionäre Ayatollah-Regime. Es war diese Aufrüstung, die dann auch in einem militärischen Atom-Programm mündete. 

Die Lücke des Vertrags

Erst dann wachte die Welt auf, und in einer beispiellosen Interessenkoalition fanden sich Russland, China und der Westen zusammen, um die iranische Bombe zu verhindern – zumindest für einen Zeitraum von zehn Jahren. Deutschland spielte dabei in diesen zähen Verhandlungen eine wichtige Rolle. Scharfe Wirtschaftssanktionen funktionieren. Das zeigt sich zumindest im Iran

Zum Einerseits-Andererseits-Schema passt auch, dass sich der Iran an den Deal bislang gehalten hat (nicht einmal Netanjahu behauptet bei genauem Hinhören, dass das Land das nicht tut, er sprach nur von den unbestreitbaren Atombombenplänen vor dem Abschluss des Deals). Andererseits ist ebenso unbestreitbar, dass der Iran weiter intensiv an einem Raketenprogramm arbeitet – mit immer größeren Reichweiten, die längst auch für Europa eine Bedrohung darstellen. Jeder Fachmann weiß: Weitreichende Raketenwaffen machen militärisch nur dann einen Sinn, wenn sie einen Atomsprengkopf tragen können. Das ist die Lücke, die der Atomdeal offen gelassen hat.  

Putin reibt sich die Hände

Wenn Donald Trump und sein Chef-Einflüsterer Benjamin Netanjahu darauf hinweisen, dann haben sie in der Sache Recht. Nur: Der Iran kann, auch zu recht, behaupten, sich vertragskonform zu verhalten, denn das Raketenprogramm unterliegt keinen Beschränkungen. Das ist die Lage, in der sich die Welt befindet. Wenn Donald Trump nun in einer politisch halsbrecherischen Aktion aus dem Deal aussteigt, dann überreicht er dem Iran praktisch auf dem silbernen Tablett eine Eintrittskarte, sein Atombombenprogramm wieder hochzufahren. Aber: Erst einmal haben die Ayatollahs in Teheran ihm sofort klar gemacht, dass sie vorerst nicht daran denken. Sie können sich jetzt zurücklehnen und mit Interesse verfolgen, wie sich die USA und ihre Verbündeten in Europa in dieser Frage zerfleischen. Deutschland, Großbritannien und Frankreich gemeinsam gegen Washington – was für ein Schauspiel!

Und auch Wladimir Putin kann sich im Kreml die Hände reiben. Auf die Uneinigkeit des Westens ist unter Donald Trump Verlass. Sein Ausstieg aus dem Atomdeal vertieft die transatlantischen Gräben noch mehr. Im Mittleren Osten jedoch erwacht wieder ein Gespenst, das erst einmal eingehegt schien: die Gefahr der nuklearen Proliferation – der Ausbreitung von Atomwaffen in andere Staaten der Region. Die Türkei, Ägypten, Saudi-Arabien, die Golfstaaten – sie alle gelten als Länder, die sich durch einen Atomstaat Iran herausgefordert fühlen und nun zur Abschreckung ebenfalls Atomwaffen anstreben könnten. Das war und ist jetzt wieder eine der wichtigsten Gründe, warum die Verhinderung einer iranischen Atombombe allen an den Verhandlungen beteiligten Staaten von Peking über Moskau, Berlin, Paris, London und EU-Brüssel so ertrebenswert war. 

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