US-Wahlen 2020 - Trump, Woodward, und die unterlassene Hilfeleistung

Der US-Präsident wusste schon früh, wie gefährlich das Coronavirus ist, enthüllt das neue Buch von Bob Woodward. Für die Demokraten bestätigt das noch einmal die Inkompetenz im Weißen Haus. Aber auch der Buchautor muss sich Kritik gefallen lassen.

Hätte Journalistenlegende Bob Woodward Trumps Äußerungen früher veröffentlichen müssen? / dpa
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Daniel C. Schmidt ist freier Reporter. Er studierte in Manchester und London (BA Politics & Economics, MSc Asian Politics) und lebt zur Zeit in Washington, D.C.. Schmidt schreibt über Pop, Kultur und Politik.

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Vier Worte, die nicht nach einer Untertreibung klingen: „This is deadly stuff“, das Zeug ist tödlich. Das hatte Donald Trump über das Coronavirus gesagt. Nicht in der Öffentlichkeit, sondern in einem Interview mit dem Journalisten und Buchautoren Bob Woodward. 

Am Mittwoch startete der amerikanische Präsident den Twittertag in sonnigem Licht, das auf ihn herab zu scheinen schien. Jemand aus dem norwegischen Parlament hatte sich dazu hinreißen lassen, Trump für den Friedensnobelpreis zu nominieren. Diese besondere Auszeichnung und dazu ein Wahlsieg im November – was würde das bloß für ein Jahr werden? 

Doch nicht so „harmlos“ wie die Grippe

2020 ist aber nun einmal ein Jahr, das sich kaum an Wunschvorstellungen hält. Und so platzte am Mittwochmittag in die digitale Schwelgerei des Präsidenten über eine mögliche Nobelpreis-Auszeichnung eine Tonbandaufnahme mit einer bekannten Stimme: seiner eigenen. 

„Sie atmen einfach die Luft ein und so überträgt sich das. Das macht es so kniffelig, das macht es so heikel. Es ist auch noch tödlicher als unsere heftigen Grippen.“  

Das waren ein paar der Sätze, die die Washington Post auf ihrer Webseite im O-Ton veröffentlichte. Donald Trump im Gespräch mit Bob Woodward, dem Mann, der zusammen mit Carl Bernstein in den 70ern den Watergate-Skandal aufgedeckt hatte. Normalerweise gehört es zu Woodwards Geschäftsmodell, mit anonymen Quellen zu arbeiten. Der Reporter behandelt brisante Themen, seine Enthüllungen kommen nur zustande, weil er die Identität seiner Gesprächspartner geheim hält. Auch in seinem neuen Buch, das „Rage“ heißt, also Wut, und nächste Woche in den USA erscheint, greift er wieder auf diese Methodik zurück, um das Weiße Haus zu erklären. Aber er hat dafür eben auch 18 Mal mit dem Präsidenten gesprochen. 

Trumps Zuversicht erscheint nun in anderem Licht

Was Donald Trump dort erzählt, ist eine ziemlich andere Geschichte als die, die er in der Öffentlichkeit verbreitete. Obwohl er laut Woodward-Interview Anfang Februar wusste, dass das Virus „tödlich“ und hochansteckend sei, bestand Trump in den darauffolgenden Wochen darauf, dass das Virus verschwinden werde. 

Anfang Februar sagte er in einem Interview mit Fox Business: „Wir stehen gut da. Wir haben elf Fälle. Und die meisten davon bessern sich sehr schnell. Ich glaube, dass sie alle wieder gesund werden.“

Im März gestand Trump Woodward dann: „Ich wollte es immer herunterspielen. Ich versuche es weiterhin herunterzuspielen, um keine Panik entstehen zu lassen.“

Panik ist nur angesagt, wenn sie dem Wahlkampf dient

Als der Präsident im April Druck machte, das Land wieder aus dem Lockdown zu holen und Geschäfte zu eröffnen, sagte er zu Woodward: „Es wird derart einfach übertragen, Sie würden es nicht glauben.“

Die meisten, die das hier lesen, glauben genau das. Hoffentlich. Dass das Virus kein Spaß ist, keine normale Grippe. Was man nicht glauben würde, ist, dass Trump dieses Wissen besitzt, es aber nicht mit der Öffentlichkeit teilt, um die Menschen da draußen vorzubereiten und zu warnen. Die USA nähern sich 200.000 Todesopfern im Zuge der Pandemie. Das ist, als ob man eine Stadt wie Kassel innerhalb von sechs Monaten ausradieren würde. 

Der Vorwand, die Gefahr herunterzuspielen, um keine Panik entstehen zu lassen, ist insofern besonders zynisch, weil der Präsident immer und immer wieder in den vergangenen Wochen für Wahlkampfzwecke Angst als Emotion geschürt hat: „Wenn Ihr Biden wählt, werden Eure Städte brennen, wird das Chaos regieren.“ Das ist die „Law and Order“-Botschaft des Amtsinhabers seit klar ist, dass Biden sein Herausforderer ist.

Kritik an Woodwards spätem Eingreifen 

Für die Demokraten ist das Woodward-Buch abermals Bestätigung, dass Trumps politische Entscheidungen Unfähigkeit und Inkompetenz umweht, dass er der Tragweite des Amtes nicht gewachsen ist, dass er bei der Bewältigung der Pandemie versagt hat. 

Und gleichzeitig wird auch der Buchautor für sein Werk kritisiert – oder besser gesagt für die Veröffentlichung dieser Enthüllung zu diesem Zeitpunkt, im Spätsommer 2020. Wenn Woodward im Februar und März bereits wusste, welch weitreichende Gefahr das Virus darstellte und dass Trump sich dessen bewusst war, warum hat der Autor dann nicht viel, viel früher reagiert und die Anekdote veröffentlicht, um ihn in seinem zögerlichen Umgang mit dem Virus unter Druck zu setzen? Hätte Woodward damit Leben retten können?

Unterlassene Hilfeleistung?

Wie soll man das rückwirkend bloß herausfinden? Bob Woodward wies die Kritik in einem Gespräch mit der Washington Post jedenfalls von sich. Man könne nie ganz sicher sein, ob der Präsident lüge, außerdem habe er erst Monate nach dem Interview herausgefunden, dass Trump sich in seiner Aussage auf ein Geheimdienstpapier aus dem Januar bezog. 

Ist das schon unterlassene Hilfeleistung? Auch wenn sich nach den vergangenen vier Jahren niemand darauf verlassen sollte, von Donald Trump wissenschaftlich-fundierten Rat während einer globalen Pandemie zu bekommen, gibt es doch eine Person, die sicher hätte Leben retten können in diesem ganzen Szenario: der mächtigste Mann der Welt. 

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