Umweltklage gegen die EU - „Die Emissionen müssen auf Null gefahren werden“

Zehn Familien verklagen die EU auf härtere Maßnahmen gegen die Erderwärmung. Alle erleiden durch den Klimawandel ökonomische Schäden. Warum sie keinen Schadensersatz fordern, erzählt Gerd Winter, einer der Anwälte der Kläger

Bauern in Europa leiden schon jetzt unter dem Klimawandel / picture alliance
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Chiara Thies ist freie Journalistin und Vorsitzende bei next media makers.

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Herr Winter, Sie vertreten zehn Familien, die die EU verklagen. Was genau hat es denn mit der Klage auf sich? 
Es gibt viele Familien, die bereits jetzt unter den Folgen des Klimawandels leiden. Die Kläger gehören dazu. Sie besitzen mittelständische Unternehmen in der Landwirtschaft oder im Fremdenverkehr. Die Familien fordern, dass die Europäische Union ihre Klimapolitik verstärkt. Das gesetzte Ziel zur Reduktion von Treibhausgasen soll nachgebessert und verschärft werden. Bis jetzt will die EU die Emission von Treibhausgasen bis zum Jahr 2030 um 40 Prozent im Vergleich zu 1990 senken. Das ist für die klagenden Familien viel zu wenig. Denn es verbleiben 60 Prozent, die der Atmosphäre emittiert werden. 

Wie viel Prozent sollten es sein?
Nach der Regel, dass Schaden vermieden werden muss, müssten die Emissionen auf Null gefahren werden. Denn die Konzentration von Treibhausgasen in der Atmosphäre ist bereits jetzt so hoch, dass Schäden eintreten.

Null Prozent sind jetzt aber eine drastische Forderung.
Das stimmt. Aber selbst wenn man die 2-Grad-Grenze des Pariser Klimaabkommens als zulässige Belastung hinnimmt, müssten die Emissionen bis 2030 immer noch um 80 Prozent gesenkt werden. Das bedeutet natürlich einen erheblichen Eingriff in die Wirtschaftsabläufe und den Konsum. Bei solch drastischen Eingriffen muss man immer auch die Gegeninteressen berücksichtigen. In den verbleibenden zwölf Jahren werden wir den Ausstoß nicht so radikal verringern können. Man muss die Emissionen jedenfalls aber soweit verringern, wie es technisch und ökonomisch machbar ist

Die Formulierung ist aber sehr schwammig und bietet viel Spielraum an Interpretation.
Ja, aber was die EU bisher tut, ist lediglich eine grobe Abschätzung. Sie nimmt sich dieses 40 Prozent-Ziel und beurteilt das unter dem Kostenfaktor für die Wirtschaft. Der Maßstab sind hierbei die Einbußen im Bruttosozialprodukt (BIP). Es wird aber nicht gesagt, wie viel eigentlich ökonomisch möglich wäre. Geht man aber die einzelnen Emmisionsquellen durch, sieht man, dass viel mehr möglich ist. In der Klage haben wir dafür auch einzelne Expertisen vorgelegt. Diese Gutachten wurden teilweise übrigens sogar im Auftrag der Kommission angefertigt. Die Gutachter gehen davon aus, dass ein Reduktion von 50-60 Prozent machbar wäre. Auch da ist aber vieles noch nicht berücksichtigt.

Wie meinen Sie das?
Man könnte durch Reduktion des CO2-Ausstoßes die Kosten des Klimawandels reduzieren. Kosten von Schäden und Anpassungsmaßnahmen könnten so vermieden werden. Da geht es dann zum Beispiel um Landverluste durch Trockenheit beziehungsweise Überschwemmungen und um Bewässerung bespielsweise Deicherhöhungen oder ähnliches. In den bisherigen Berechnungen der Kosten des Klimaschutzes ist das nicht einkalkuliert, man konzentriert sich hier auf die Kosten der Emissionsreduktion. Diese Kosten würden durch die Vorteile der Schadensvermeidung weitaus aufgehoben werden. 

Gerd Winter

Erstmals klagen nicht nur Familien aus der EU vor dem Europäischen Gericht, sondern auch eine Familie von den Fidschi Inseln und eine aus Kenia. Ist das überhaupt zulässig?
In dieser Hinsicht ist unsere Klage innovativ. In der Tat sind ja auch Familien in Kenia und Fidschi von Emissionen aus den Industrieländern betroffen und damit auch vom Klimawandel. Unsere europäischen Grundrechte müssen auch für sie gelten. Das ist juristisch nicht ausgefochten und Neuland. Aber wir versuchen, das Gericht davon zu überzeugen. 

Statt Schadensersatz für die Schäden fordern Sie härtere Maßnahmen zur CO2-Reduktion. Wieso?
Die Kläger haben natürlich jetzt schon ökonomische Schäden, die sie geltend machen könnten. Ihnen ist aber mehr daran gelegen, dass sie in Zukunft weiter wirtschaften können. Das lässt sich nicht mit Geld, sondern nur mithilfe von Maßnahmen zum Klimaschutz selbst erreichen. Unserer Familie von den Fidschi Inseln können sie mit Geld helfen, damit sie aufs Festland ziehen. Aber das ist doch nur ein Notnagel. Natürlich möchte sie gerne in ihrer Heimat bleiben. Wir müssen an der Quelle ansetzen und das Klima selbst erhalten.  

Sie sagen, dass die Kläger jetzt schon ökonomische Schäden durch den Klimawandel haben. Aber wo hört denn natürliches Wetter auf, und wo fängt das von Menschen verursachte Klima an? Lässt sich das überhaupt messen?
Also an sich sind die Schäden durchaus nachweisbar. Einem Lavendelbauern in Frankreich, einer der Kläger, sterben beispielsweise die Pflanzen weg. Unter hohem Kostenaufwand muss er bewässern. Mit Wasser, dass eigentlich sehr knapp und teuer ist. Die Einbußen der vergangenen Jahre setzen wir dann in Verbindung zum Temperaturanstieg. Den vergleicht man wiederum mit der Zunahme von Emissionen. Der zweite Ansatz ist, dass wir Expertisen über die Regionen einholen, in denen die klagenden Familien leben. Die Gutachten untermauern die subjektive Erfahrung der Kläger mit wissenschaftlichen Belegen. Das Ausbleiben von Regen dort kann tatsächlich auf den Klimawandel zurückgeführt werden und nicht auf das normale Auf und Ab des Wetters. 

Die Erderwärmung ist ein globales Problem – mit globalen Verursachern. Wieso verklagen Sie da ausgerechnet die EU?
Es gibt bereits eine Reihe von Klagen gegen verschiedene Staaten. So zum Beispiel in Belgien, den Niederlanden, den USA, Australien, auf den Philippinen und so weiter – es ist inzwischen eine weltweite Bewegung. Unsere Klage ist in gewisser Weise neu, weil wir mit der EU eine Ebene höher gehen. Natürlich könnten die geschädigten Familien auch die USA, China und Russland verklagen, aber man sollte sich nicht übernehmen. Wir gehen es erstmal hier an. Geht die EU auf uns ein und führt härtere Auflagen ein, könnte unser Beispiel in anderen Staaten Schule machen. 

Es wäre also kein bloßes Symbol-Urteil?
Nein, denn wir fordern, dass die EU ihre Treibhausemissionen effektiv reduziert. Selbst wenn wir letztlich verlieren, trägt die Klage Argumente in die öffentliche Debatte, dass Klimaschutz nicht lediglich willkürliche Politik, sondern grundrechtliche Verpflichtung ist, und dass die Gerichte als Hüter der Grundrechte dies durchsetzen müssen.

Was sind denn die nächsten Schritte?
Die Klage ist eingereicht. Das Parlament und der Rat als EU-Gesetzgeber haben zwei Monate Zeit, um auf zu antworten. Darauf werden wir antworten, und Parlament und Rat können sich dazu erneut äußern. Dann wird das Gericht entscheiden. Es kann die Frage der Zulässigkeit von der Begründetheit  der Sache  trennen. Zulässigkeit bedeutet, die Kläger müssen nachweisen, dass sie individuell betroffen sind. Das wird jedoch sehr eng als „exklusiv betroffen“ interpretiert. Da setzen wir juristisch an und sagen, dass das anders als bisher gefasst werden muss. 

Solche Klagen können sich ja sehr lange hinziehen. Wann kann man mit einem Urteil rechnen?
Trennt das Gericht diese Zulässigkeitsfrage von der Sache selbst, können wir innerhalb eines Jahres mit einer Entscheidung rechnen. Aber beide Parteien können in Berufung gehen und vor den Europäischen Gerichtshof ziehen. Das kann nochmal Monate kosten. Ein endgültiges Urteil über die Zulässigkeit der Klage steht also wahrscheinlich erst in zwei Jahren. Widmet sich das Gericht dann der Sache selbst, werden weitere ein bis zwei Jahre ins Land gehen. Eigentlich können wir uns diese lange Zeit nicht leisten, weil immer weiter Treibhausgase emittiert werden. Wir hoffen deshalb, dass sich das Gericht zügig mit dem Fall befasst. 

Nun klagen zehn Familien und ein Verband. Wer kommt da für die Prozesskosten auf?
Wir haben glücklicherweise den Umweltverband „Protect the Planet“ hinter uns, der die Verfahrenskosten trägt. Die Kosten sind allerdings sowieso relativ gering. Der englische Bevollmächtigte und ich arbeiten pro bono, die Anwältin zu Selbstkosten. Das Gericht selbst nimmt keine Gerichtskosten. Die naturwissenschaftlichen Expertisen kosten etwas, aber auch das hält sich alles im Rahmen. 

Wenn Sie pro bono arbeiten, was war für Sie der Anreiz, sich an dieser Klage zu beteiligen?
Ich tue das im Interesse meiner sechs Enkel. Wenn ich über deren Zukunft nachdenke, mache ich mir Sorgen. Sie werden nicht mehr in den angenehmen klimatischen Bedingungen wie wir leben. Das ist für mich das wichtigste Motiv. Aber natürlich werden nicht nur die Menschen leiden, sondern auch die Biodiversität und damit die Schönheit dieser Welt. Ich bin Pensionär und kann in diese Klage meine gesamte Erfahrung einbringen. Allein auf die Vorbereitung habe ich fast zwei Jahre verwendet. Die Gesellschaft hat mich als Professor jahrelang bezahlt, jetzt möchte ich etwas zurückgeben. 

Gerd Winter ist seit 1973 Professor für öffentliches Recht und Rechtssoziologie im Fachbereich Rechtswissenschaft der Universität Bremen. 2008 wurde er pensioniert und ist seit dem Forschungsprofessor an der Forschungsstelle für Europäisches Umweltrecht, welche er 1994 gegründet hat. 

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