TV-Duell in Frankreich - „Hohepriesterin der Niederlage“ gegen „Kandidat der Unterwerfung“

Die Fernsehdebatte der französischen Präsidentschaftskandidaten Marine Le Pen und Emmanuel Macron vor der entscheidenden Stichwahl am Sonntag wurde mit beispielloser Aggressivität geführt. Vor allem Le Pen setzte auf Angriff – und traf öfter daneben

Die Politik von Marine Le Pen und Emmanuel Macron unterscheidet sich genauso radikal wie ihre Persönlichkeit / picture alliance
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Als es dann vorbei war, wirkten Nathalie Saint-Cricq und Christophe Jakubyszyn so erleichtert wie ein Ryanair-Passagier, der es vom obskuren Flughafen Beauvais ins Zentrum von Paris geschafft hat. Eigentlich sollten die beiden das Fernsehduell zwischen den Präsidentschaftskandidaten Marine Le Pen und Emmanuel Macron vor der entscheidenden Stichwahl am kommenden Sonntag moderieren. Aber die Journalisten kamen nicht dazu. Zweieinhalb Stunden lang schauten sie in einer erkennbaren Mischung aus Faszination und Abschreckung beinahe erstarrt zu, wie beide Kandidaten eine Verbalattacke nach der anderen gegen den Gegner abfeuerten, in einer Aggressivität, die beispiellos war in der Geschichte der französischen Fernsehdebatten.

Die Themen waren breit gestreut und reichten bis weit in die Vergangenheit zurück, zur französischen Rolle in der Judenverfolgung während des Zweiten Weltkriegs. Im Vordergrund standen die Wirtschaftsprobleme des Landes, der Kampf gegen den Terrorismus und die Zukunft der Europäischen Union. Eigentlich aber ging es vor allem darum, den Gegner zu diskreditieren und bloßzustellen. Kein einziges freundliches Wort verloren Le Pen und Macron übereinander. Dem Zuschauer wurde schnell klar: Zwischen beiden Kandidaten gab und gibt es keine Gemeinsamkeiten. Ihre Politik unterscheidet sich genauso radikal wie ihre Persönlichkeit. Hier die emotionale Provokateurin, dort der rationale Technokrat. Und beide hassen sich.

„Geist der Niederlage“ gegen „Geist des Sieges“

Marine Le Pen wurde zuerst das Wort erteilt, und sie verhehlte keine Sekunde, mit welcher Strategie sie in das Duell gegangen war: Attacke, Attacke, Attacke. „Macron ist der Kandidat der wilden Globalisierung“, sagte sie grinsend und in ironischem Tonfall, ein Günstling der großen Industriekonzerne, der immer noch unter dem Joch des zutiefst unpopulären amtierenden Präsidenten François Hollande stehe und einen kapitalistischen „Krieg jeder gegen jeden“ in Frankreich propagiere. Macron konterte mit dem nicht besonders originellen Vorwurf, Marine Le Pen würde trotz aller „Säuberungen“ im Front National das hässliche rechtsextreme Werk ihres Vaters Jean-Marie fortführen. Die Franzosen müssten sich entscheiden, ob sie den „Geist der Niederlage“ wählen wollten. Er hingegen trage den „Geist des Sieges“, der für ein weiter erfolgreiches Frankreich in der Welt stehe.

Das erste große Thema war die Wirtschaft, vor allem die Arbeitslosigkeit, die unter Jugendlichen besonders hoch ist. „Wir müssen unseren kleinen und mittelständischen Unternehmen die Möglichkeit gegen, mehr Jobs zu kreieren“, sagte Macron, dafür würde er die strengen Regularien vereinfachen. Le Pen antwortete, es sei wenig verwunderlich, dass Macron für die Privatunternehmen einstehe. „Das sind schließlich Ihre Freunde, mit denen sie gern im La Rotonde essen gehen.“ In dem Pariser Nobelrestaurant hatte Macron nach dem Sieg im ersten Wahlgang gefeiert.

Vieles unter der Gürtellinie

Macron sah seine Möglichkeit für eine Attacke ad hominem wenig später, als Le Pen den Verkauf des Telekomunternehmens SFR mit dem Verkauf des Turbinenherstellers Alstom verwechselte. Es sollte nicht der erste Fehler bleiben, Faktenchecker wiesen nach der Debatte einige Falschaussagen oder Lügen Le Pens nach. „Sie verwechseln die Dossiers. Das ist traurig. Es zeigt, wie wenig Sie vorbereitet sind“, sagte Macron.

Von da an standen Ton und Art der Debatte fest: Um konkrete Inhalte ging es selten, immer aber gegen den Gegner. Ein typischer Dialog:

Macron: „Sie erzählen Quatsch.“

Le Pen: „Spielen Sie nicht mit mir.“

Macron: „Ich spiele nicht, es ist traurig.“

Le Pen: „Ich sehe, dass Sie mit mir Lehrer und Schülerin spielen wollen, aber das ist nicht mein Ding.“

Letzteres war eine nicht sehr subtile Anspielung auf Macrons Ehefrau, die in der Schule seine Lehrerin gewesen war. Es sollte nicht die einzige Attacke unter der Gürtellinie bleiben. Macron sei „ein kaltherzige Banker“, ein „Handlanger der Eliten“ und ein „Kandidat der Unterwerfung“, sagte Le Pen. Macron hingegen bezichtigte sie immer wieder offen der Lüge, hielt ihr vor, Hass zu schüren, denn sie sei die „Hohepriesterin der Niederlage“ und ein „Parasit“ des Systems.

„In jedem Fall regiert eine Frau“

Auch Deutschland und die EU mussten als Unterlage für die Schlammschlacht herhalten. Originell war zumindest der Einwurf Le Pens, Frankreich werde auf jeden Fall von einer Frau regiert werden: „Entweder von mir oder von Angela Merkel.“ Bei der deutschen Bundeskanzlerin würde sich Macron seinen Segen abholen und Frankreich einer ultraliberalen EU schutzlos ausliefern. Sie als Präsidentin hingegen würde „Deutschland leiden“ lassen. Denn Frankreich würde zum Franc zurückkehren, damit automatisch eine Erhöhung der Deutschen Mark nach sich ziehen und die deutsche Wirtschaft in die Knie zwingen.

Genau das Gegenteil werde er tun, entgegnete Macron. Was Le Pen vorschlage, sei ein gefährlicher „Krieg der Währungen“. Ein starkes und vereintes Europa wäre das beste Mittel, um gegen die USA, Russland und China bestehen zu können.

Alte Schemata passen nicht mehr

Es war einer der wenigen Momente, in denen Macron wirklich so staatsmännisch auftrat, wie er sich selbst gern sieht. Sein oft eingeworfenes „Madame Le Pen“ wirkte eher aufgesetzt als souverän. Er muss sich nach der Debatte vorwerfen lassen, sich auf diese Schlammschlacht überhaupt eingelassen zu haben. Aber auch Le Pen, die fahrig wirkte und immer wieder in ihren Notizzetteln herumkramte, dürfte außer bei ihren Anhängern kaum gepunktet haben. Als sie am Ende der Debatte ein Thema ihrer Wahl aussuchen durfte, gab sie freimütig zu, keins zu haben. Zu ihrem Programm gab sie wenig bis gar nichts bekannt. So wirkte ihr Auftritt weniger wie eine Bewerbung um das Amt des Präsidenten, sondern mehr wie ein Testlauf für ihre zukünftige Rolle als mächtigste Stimme der Opposition in Frankreich.

Was bleibt also von dem Duell, außer den Beleidigungen? Vielleicht nach dem Sieg von Donald Trump in den USA eine weitere Bestätigung der Erkenntnis, dass alte Schemata von links und rechts tatsächlich überholt sind, wie Macron selbst immer wieder betont. Viele der wirtschaftsfeindlichen Attacken Le Pens auf Macron hätten ebenso von einem Gewerkschaftsführer stammen können, Macron klang manchmal wie François Mitterand, manchmal wie Jacques Chirac. Die Debatte zeigte wieder auf: Der große gesellschaftliche Spalt unserer Zeit liegt nicht zwischen links und rechts, sondern zwischen offen und geschlossen, zwischen Nation und Welt.

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