Türkei - Erdogans Achillesferse

Deutschland hat den diplomatischen Kuschelkurs zur Türkei beendet. Der türkische Präsident Recep Erdogan gibt sich davon wenig beeindruckt. Zum Verhängnis könnte ihm aber werden, dass er der schwächelnden türkischen Wirtschaft weiter schadet

Noch gilt Recep Tayyip Erdogan in der Türkei als Garant für eine stabile Wirtschaft / picture alliance
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Cem Sey, 54, ist ein freier Journalist, der für deutsch- und türkischsprachige Medien arbeitet. Für Medien wie Cumhuriyet, CNN Türk, Deutsche Welle und BBC war er als Korrespondent tätig.

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Vor zwei Wochen wurden in einem Hotel in Istanbul zehn Menschenrechtler festgenommen. Unter ihnen war auch der Deutsche Peter Steudtner. Sie wurden von Anti-Terror-Einheiten der türkischen Polizei abgeführt. Es war klar: Die ohnehin angespannten Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und dem Regime in der Türkei würden reißen.

Und so kam es. Bundesaußenminister Sigmar Gabriel brach seinen Urlaub ab, um in Berlin ein härteres Vorgehen gegen den türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan und seine Regierung anzukündigen. Erdogan hat dies nicht beeindruckt. „Deutschland muss sich zusammenreißen“, grölte er bei der ersten Gelegenheit. Während er Gabriel weiterhin als Wirtschaftsminister bezeichnete, behauptete Erdogan, Deutschland würde versuchen deutsche Investoren einzuschüchtern.

Doch Deutschland macht diesmal Ernst. Das Auswärtige Amt warnt mittlerweile vor Reisen in die Türkei. Grund: Willkür im Umgang mit deutschen Staatsbürgern seitens der Türkei sei nicht mehr auszuschließen.

Der Kommunikationsfehler

Auch auf anderer Ebene knirscht es nun. Ein Treffen zweier türkischer Minister mit EU-Vertretern ging ergebnislos aus, nachdem die EU sich ausdrücklich hinter Deutschland gestellt hatte. Als „frostig“ wurde das Klima während der Zusammenkunft beschrieben. Dabei sollten bei dieser Zusammenkunft die Beitrittsverhandlungen wieder in Gang gebracht werden – das zumindest erhofft sich Ankara seit dem Brüssel-Besuch Erdogans im Mai.

Große Sorgen muss sich das Erdogan-Regime allerdings um die Wirtschaft machen. Wäre es nur bei der von Gabriel drohend angekündigten Überprüfung von Exportkrediten, sogenannten Hermesbürgschaften, geblieben, hätte das in Ankara noch keine Sorgenfalten verursacht. Doch Ankara geriet in operative Hektik, als bekannt wurde, dass türkische Sicherheitsbehörden ihren deutschen Kollegen eine lange „Terror“-Liste von Personen und deutschen Firmen übergeben haben, die in der Türkei wirtschaftlich tätig sind. Diese wurden verdächtigt, Terrororganisationen zu unterstützen. Auf der Liste sollen allen Ernstes auch weltweit führende Firmen wie Daimler und BASF stehen. Zunächst dementierte die türkische Regierung. Nachdem aber deutsche Behörden den Erhalt einer solchen Liste bestätigten, reihten sich türkische Minister zu Interviews auf und beteuerten, dass deutsche Firmen keineswegs unter Terrorverdacht stünden und auch nicht ermittelt werde. Und die Liste? Die sei ein Kommunikationsfehler gewesen. Makulatur.

Die türkische Wirtschaft schwächelt

Das türkische Regime reagiert empfindlich auf Drohungen wirtschaftlicher Art. Das ist nicht verwunderlich, denn die türkischen Wirtschaft schwächelt, während Erdogans neues Regierungsteam noch beweisen muss, dass es wirtschaften kann. Bislang glänzte Ankara nur mit kreativen Rechenmethoden, die zumindest auf dem Papier  Wirtschaftswachstum aufzeigen. Tatsächlich schrumpfte die türkische Wirtschaft nach dem gescheiterten Putschversuch vom Juli 2016, die Landeswährung verliert an Wert, Inflation und Arbeitslosigkeit steigen.

Angesichts der alarmierenden Fakten sind Ankaras Wirtschaftspolitiker gut beraten, eine der Stützen der türkischen Wirtschaft zu erhalten: Nämlich die Direktinvestitionen ausländischer Firmen in der Türkei. Deutsche Firmen stehen da an erster Stelle.

Laut türkischen Wirtschaftsministerium betrugen in den vergangenen fünf Jahren Direktinvesitionen aus dem Ausland insgesamt 47,9 Milliarden US-Dollar. Acht Prozent davon kamen aus Deutschland. Vor allem in die Autozuliefererindustrie fließen Milliarden aus Deutschland.

Das Image der Deutschen

Die Wirtschaft ist das Bindeglied zwischen den beiden Ländern. Die meisten Exporte der Türkei gehen nach Deutschland. Umgekehrt ist Deutschland an zweiter Stelle bei den Importen des Landes, wobei Deutschland bei diesem Geschäft einen Überschuss erzielt. Auch deutsche Touristen sind ein Wirtschaftsfaktor in der Türkei. Noch vor drei Jahren besuchten mehr als fünf Millionen Bundesbürger jährlich das Land am Bosporus. Doch nach den IS-Anschlägen und dem gescheiterten Putsch halbierte sich die Zahl. Für die türkische Wirtschaft ist auch der Technologietransfer aus Deutschland enorm wichtig.

Doch den konservativ-nationalistischen Machthabern in Ankara schien dies nicht Grund genug, die deutsch-türkischen Beziehungen pfleglicher zu behandeln. Sie strapazierten diese langjährigen und tiefen Beziehungen bis zum Äußersten. Nun haben sie erstmals seitdem Putschversuch einen Rückzieher gemacht – wegen der Wirtschaft.

Viele türkische Entscheider gehen weiterhin davon aus, dass Deutschland noch mehr Geduld im Ärmel hat und sogar weitere Menschenrechtsverletzungen gegen eigene Staatsbürger hinnehmen würde. Diese Gelassenheit hat mit dem Image der Deutschen zu tun. Gerne wird in der Türkei gesagt, dass die Deutschen für Geld selbst ihre Mütter verkauften.

Garantierte Unterstützung für Investitionen

Allen voran ist Erdogan persönlich der festen Überzeugung, dass es die anstehenden Bundestagswahl sei, die die Deutschen so entschieden gegen die Türkei auftreten lässt. Berliner Wahlkampfgetöse mit anti-türkischen Spitzen, sozusagen. Dass das Bundeskanzleramt erklärte, Gabriels Äußerungen seien mit der Kanzlerin natürlich abgesprochen, nimmt man in der Türkei nicht ernst.

Ankara wehrt sich gegen die Menschenrechts-Offensive aus Berlin, indem es versucht Hermes-Bürgschaften nun teilweise überflüssig zu machen. Dieses international-wirtschaftspolitische Instrument wird benutzt, um Firmen, die im Ausland investieren wollen, gegen wirtschaftliche und politische Risiken zu versichern. Türkische Politiker garantieren investitionswilligen Firmen daher nun direkte Unterstützung und drehen den Spieß damit rhetorisch um. „Wir wären doch die Ersten, die deutsche Firmen gegen Anwürfe schützten, sollte jemand gegen sie ermitteln“, hieß es jüngst aus Ankara. Der Premierminister ist seitdem damit beschäftigt, Geschäftsführer deutscher Firmen zu sich einzuladen, um ihnen weitere Garantien zu geben.

Meinungsmache gegen Gabriel

Ankaras Vertreter wissen, dass die deutsche Regierung sich nicht in die Entscheidungen privater Firmen einmischen wird. Deshalb sprechen sie die Firmen direkt an und werben damit direkt für den Standort Türkei.

Selbstverständlich sorgt man auch gleich für die Erfolgsmeldungen dieser Offensive: Ein Vertreter der Firma Bosch habe die Türkei als ein Land „mit einem sehr guten Investitionsklima“ bezeichnet. Steven Young, Repräsentant der Bosch-Gruppe in der Türkei, sprach mit türkischen Medienvertretern just an dem Tag, an dem Gabriel eine Neuausrichtung der Türkei-Politik ankündigte und erklärte auf Nachfrage, dass seine Firma seit über hundert Jahren in der Türkei tätig sei und kurzfristige Turbulenzen die langfristige Perspektive der Firma nicht stören können. Seit dem schlachten regimetreue Medien dieses Zitat aus und führen es gerne gegen Gabriel und Berlin an.

Doch der türkischen Regierung wird noch mehr einfallen müssen, um ihrem Land wieder Wirtschaftsoptimismus einzuhauchen. Die EU erwägt unterdessen nicht nur eine Vereinbarung zur Visafreiheit für türkische Staatsbürger, sondern auch die Gespräche für eine Restrukturierung der Zollunion einzufrieren.

Kurswechsel sind möglich

Dennoch: Es wäre falsch anzunehmen, dass solcher Druck ein Umlenken in Ankara bewirken wird. Auch wenn es empfindliche Konsequenzen haben würde, sollte der Geldstrom aus Europa versiegen, sind Erdogan und seine Handlanger davon nicht aufzuhalten. Sie werden fortfahren, diesen neuen Unrechtsstaat fest zu etablieren. Es ist denkbar, dass das Erdogan-Regime, wenn es weiter in die Ecke getrieben wird, damit beginnt, in der NATO eine destruktive Rolle zu spielen. Darauf würden dann sicher weitere Maßnahmen des Westens folgen – dieses Mal im Bereich der militärischen Zusammenarbeit.

Erdogans Macht wird noch nicht gefährdet durch Maßnahmen durch die europäische oder deutsche Politik. Er hat immer noch beachtliche Teile der Bevölkerung hinter sich und kann seine Anhängerschaft stets erneut mobilisieren. Doch das hängt vor allem damit zusammen, dass er und seine Partei in ihrer mittlerweile 15-jährigen Herrschaft ihre Wähler davon überzeugen konnten, dass die Regierung die Türkei wirtschaftspolitisch weiter nach vorn bringt. Entwickelt sich die Wirtschaft zukünftig schlecht, könnte es in der Türkei erneut zu einem grundsätzlichen Kurswechsel kommen – dieses Mal erzwungen durch die Bevölkerung.

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