Sozialdemokraten in Österreich - Die rote Notärztin

Am Wochenende wurde Pamela Rendi-Wagner als erste Frau zur Vorsitzenden der österreichischen Sozialdemokraten gewählt. Sie soll die SPÖ vor dem weiteren Niedergang retten – aber viele Genossen sägen schon an ihrem Stuhl

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„Fesch und gscheit“ sei sie, heißt es in der Partei über die neue Chefin, „die Päm“ / picture alliance
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Christoph Prantner ist leitender Redakteur im Meinungsressort der österreichischen Tageszeitung Der Standard

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Wo Zufall ist, stellt sich mitunter auch eine gewisse Ironie ein. In der Wiener Innenstadt hat die Neoregierungspartei FPÖ Anfang Oktober ein Denkmal für Trümmerfrauen eingeweiht. Keine zwei Steinwürfe entfernt, in der Zentrale der ehemals staatstragenden SPÖ, musste wenige Tage zuvor ein neuer Chef her, weil Christian Kern Nerven und Parteivorsitz verloren hatte. Die Wahl fiel erstmals in der 130-jährigen Geschichte der österreichischen Sozialdemokraten auf eine Frau. Ihre dringendste Aufgabe: Sie muss aufräumen. Denn in der SPÖ ist einiges durcheinandergeraten. Nicht zuletzt deshalb, weil die Sozialdemokraten keine schlüssige Strategie gegen die in Österreich schon seit Jahrzehnten besonders rabiaten Rechtspopulisten finden.

Joy Pamela Rendi-Wagner (47) ist noch keine zwei Jahre Parteimitglied. Bis zur Wahlniederlage der SPÖ Ende 2017 war sie Gesundheitsministerin. Zuvor hat die habilitierte Medizinerin eine glänzende Karriere in Wissenschaft und Ministerialbürokratie hingelegt. Bekannt wurde sie den Österreichern vor allem dadurch, dass sie ihnen als Generaldirektorin für die öffentliche Gesundheit im Fernsehen allerlei Unannehmlichkeiten wie das EHEC-Bakterium oder den Fallout von Fukushima eloquent erklärte. Sie strahlte dabei Kompetenz und einen gebotenen Ernst aus, der in der notorisch liederlichen österreichischen Politik selten zu finden ist.

Personifikation des sozialdemokratischen Ideals

„Fesch und gscheit“ sei sie, heißt es in der Partei über die neue Chefin, „die Päm“. Sie selbst sagt über sich: „Ich war nie die Laute, Spontane, die in der ersten Reihe gestanden ist.“ Distanzierte Analyse liegt ihr eher als das joviale Schulterklopfen jener Fiakertypen in Spitzenämtern, die in der SPÖ fast kultisch verehrt werden. Neutrale Beobachter geben zu bedenken, dass sie als urbane Intellektuelle eher in grüne Wählerschichten hineinwirke als in klassische sozialdemokratische Zielgruppen. Dabei ist Rendi-Wagner gewissermaßen die Personifikation jenes sozialen Aufstiegs durch Bildung, für den die Sozialdemokraten seit jeher eintreten.

Aufgewachsen ist sie in den Wiener Arbeiterbezirken Favoriten, Liesing und Meidling. Ihre Hippie-Eltern, die ihr den in diesem Umfeld gewiss nicht immer hilfreichen Vornamen Joy Pamela verpasst haben, trennen sich, als sie zwei Jahre alt ist. Sie macht in derselben Schule Matura wie ein paar Jahre nach ihr der heutige Bundeskanzler Sebastian Kurz. In Wien studiert sie Medizin, in London macht sie ihre Facharztausbildung. Dort heiratet sie auch den aufstrebenden Diplomaten Mischa Rendi, den sie bei einem Ferienjob kennenlernt. Mit ihm geht sie nach Tel Aviv, als er dort österreichischer Botschafter wird. Weil sie die Rolle als Ehefrau und Mutter von zwei Töchtern nicht ausfüllt, nimmt sie eine Gastprofessur an der Tel Aviv University an.

Die Sozialdemokraten, ein „Intrigantenstadl“

Zurück in Wien, heuert Rendi-Wagner im Gesundheitsministerium an. Dort gilt sie als liebenswürdig, fleißig, sachlich und durchsetzungsstark. Das schätzt auch der damalige Bundeskanzler und SPÖ-Chef Christian Kern an ihr, der dringend frische Gesichter für seine strauchelnde Regierung braucht und sie im März 2017 ins Kabinett beruft.

Nun erbt die Epidemiologin eine Partei, die immun zu sein scheint gegen den gesunden Menschenverstand. Der Wiener Politologe Anton Pelinka diagnostizierte unlängst, die Sozialdemokraten seien ein „Intrigantenstadl“, in dem alte Rechnungen ohne jede Rücksicht auf das Wohl der Partei beglichen würden. Das bekam auch Rendi-Wagner bereits zu spüren, als Parteigranden vom rechten Flügel wie der Wiener Bürgermeister Michael Ludwig vernehmlich über die Personalie grantelten. Eine Parteiorganisationsreform ihres Mentors Kern, die in den Gremien bereits abgenickt war, drehten die Wiener Genossen der Neuen quasi zur Begrüßung ab.

Formelkompromisse im Migrationsstreit

Ende November soll die neue Vorsitzende gewählt werden. Gleichzeitig wird sich die Partei nach sechs Jahren mühsamer Debatten auch ein neues Programm geben, von dem selbst wohlmeinende Genossen sagen, es sei ein „Wald-und-Wiesen-Papier“, in dem sich die unversöhnlichen Fraktionen der Parteilinken und -rechten gerade noch wiederfänden. Formelkompromisse wie „Integration vor Zuwanderung“, die den Streit um die Migration nur notdürftig überdecken, seien das Papier nicht wert.

Das ist die Situation, in der Pamela Rendi-Wagner die Partei zusammenhalten muss. Wie das ohne eine gemeinsame Weltsicht, eine gemeinsame politische Lagebeurteilung funktionieren soll, ist schwer zu erkennen. Vor 30 Jahren konnte SPÖ-Chef und Bundeskanzler Franz Vranitzky, ein ehemaliger Banker, mit dem die Partei lange fremdelte, noch spötteln: „Wer Visionen hat, braucht einen Arzt.“ Dieser Tage muss es wohl heißen: Wer keine Visionen hat, dem kann auch eine rote Notärztin nicht mehr helfen.

Dies ist ein Text aus der November-Ausgabe des Cicero, die Sie am Kiosk oder in unserem Onlineshop erhalten.














 

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