Sebastian Kurz - Der Meisterdiplomat

Sebastian Kurz verweigert dem türkischen Finanzminister die Einreise nach Österreich. Schon 2016 hat der österreichische Außenminister mit für diplomatische Aufregung gesorgt. Was macht den Jungpolitiker so entscheidungsstark?

Sebastian Kurz gelang eine diplomatische Meisterleistung: Die Balkanroute wurde offiziell für Flüchtlinge geschlossen. / picture alliance
Anzeige

Autoreninfo

Christoph Stölzl ist Historiker. Für die Bundesregierung leitete Stölzl in den neunziger Jahren die Neuschaffung der zeitgeschichtlichen Gedenkstätten „ Deutsch-russisches Museum Berlin-Karlshorst“ und „Alliiertenmuseum“. Er ist Präsident der Musikhochschule Franz Liszt.

So erreichen Sie Christoph Stölzl:

Anzeige

Die äußere Geschichte des Aufstiegs von Sebastian Kurz ist leicht zu erzählen: Ein sehr junger Mann beschließt, Berufspolitiker zu werden. Er überlebt mühelos das innerparteiliche Geklüngel, wird mit 24 Jahren Abgeordneter, mit 25 Staatssekretär, mit 27 jüngster Außenminister der österreichischen Geschichte – ein politisches Wunderkind also. Mit sicherem Instinkt wählt er die brennendsten Gegenwartsfragen zu seiner Agenda: Migration, Integrationsprobleme, Kampf der Kulturen, Flüchtlingskrise. Im amerikanischen Nachrichtenmagazin Time avancierte Kurz 2017 zu einem von zehn „Next Generation Leaders“. Seine pragmatische Antwort auf das europäische Flüchtlingsdrama habe ihn als einen „Staatsmann der neuen Art“ ausgewiesen. Was tat Kurz, dass er im Blitztempo vom Minister einer kleinen Nation zu einer weltpolitischen Figur wurde?

Am 5.September 2015 hatte die Bundesrepublik ihre Grenzen für die unkontrollierte Völkerwanderung aus dem Nahen Osten geöffnet. Über die „Balkan-Route“ strömten monatelang Hunderttausende in die europäische Mitte. Das Phänomen spaltete die öffentliche Meinung der Europäer wie kein Problem zuvor. Von Zustimmung für die „Bewährungsprobe unserer Humanität“ bis zur Untergangs-Panik reichte das Spektrum.

Wende in der Migrationspolitik

In Deutschland ging das – bei den einen freudige, bei den anderen resignative Satz um – Grenzen existierten eben nicht mehr in der Epoche der Globalisierung. Da, in der Nacht vom 8. auf den 9. März 2016, geschah, was vorher für unmöglich gehalten worden war: Die Balkanroute wurde offiziell für Flüchtlinge geschlossen. Ungarn, Slowenien, Kroatien, Serbien und Mazedonien machten abgestimmt ihre Grenzen dicht. Zuwege gebracht hatte dies der österreichische Außenminister Sebastian Kurz in einer diplomatischen Meisterleistung: Österreich agierte synchron mit seinen Nachbarstaaten auf dem Balkan. Jetzt zahlte sich aus, dass Österreich seit dem Ende des kalten Kriegs seine südöstlichen Nachbarländer gefördert hatte.

Weder die Bundesrepublik noch die Europäische Union fanden dafür ein Wort des Dankes, obwohl sie am meisten von der Entlastung profitierten. Das änderte aber nichts an der kopernikanischen Wende, die seit Österreichs Initiative ganz Europa in die Richtung einer neuen, illusionslos- nüchternen, pragmatischen Migrations-Politik zieht.

Gemeinsame Werte und notwendige Grenzen

Weltpolitische Kursänderungen auf den Charakter der handelnden Personen zurückzuführen, mag reizvoll sein. Und die charismatische Figur von Kurz gäbe Stoff genug dafür her. Noch interessanter erscheint aber, die Politik von Kurz im Kontext der österreichischen Geschichte zu sehen. Der Außenminister, demnächst vielleicht österreichischer Regierungschef, erscheint in diesem Licht als eine klassisch österreichische Politikerfigur. Das heißt: im Gegensatz zu den oftmals naiven, alles Multikulturelle grundsätzlich positiv sehenden deutschen Eliten, die sich der Gnade der späten Geburt erfreuen, sah es im Langzeitgedächtnis der „gelernten Österreicher“ immer anders aus: Sie wussten um die Ambivalenz des Multikulturalismus. Er konnte zivilisations- und kulturfördernd wirken.

Das Nebeneinander konkurrierender Wertsysteme konnte aber auch in integralen Nationalismus, verbitterten Kampf um die Deutungshoheit, ja in Hass und Gewalt umschlagen. Geschichtsbewusste Österreicher kannten immer das Franz Grillparzer-Wort von 1849: „Der Weg der neuen Bildung geht von Humanität durch Nationalität zur Bestialität.“ Und sie wussten auch, dass Karl Kraus die Monarchie als „Versuchsstation Weltuntergang“ bezeichnet hatte. Nur ein starker, gemeinsame Werte schützender und notwendige Grenzen setzender Staat konnte den Weltuntergang verhindern – so das Fazit Altösterreichs. Denn: „Der Mensch ist gut, aber d´Leut san a Gsindel“.

Aus der Geschichte lernen

Die österreichische Monarchie vor 1918 war das große Experimentierfeld für alle sozialen und kulturellen Probleme gewesen, die sich durch das Miteinander und Gegeneinander unterschiedlichster Nationen, Sprachgemeinschaften, kulturellen und religiösen Gruppen ergaben – verschärft durch wirtschaftlich motivierte, massenhafte Binnenwanderung. Schon die erste Station von Kurz als Staatssekretär und Integrationsstaatssekretär und sein Programm„Integration durch Leistung“ versteht man besser, wenn man sich an die lange Tradition der Monarchie als multikulturelles Migrationsland erinnert. Kurz sah Integration als Prozess, wo nicht die Herkunft und nicht sozialstaatliche Füllhörner, sondern Leistungen in Bildung, Beruf und Ehrenamt über den Platz in der bürgerlichen Gesellschaft entschieden.

Nicht anders hatte die österreichische Monarchie zwischen 1848 und 1918 auf die ungeheure Dynamik der Nationalisierung und Migration zu reagieren versucht. „Kakanien“ war dann an der gescheiterten Integration seiner Nationalitäten zu solidarischen Staatsbürgern gescheitert. In Österreich noch immer eine unvergessliche Erinnerung. Wie gut sich Kurz in diesen Fragen auskennt, beweist übrigens sein „Islamgesetz“ von 2015, das bewusst an die Erfahrungen mit dem Islamgesetz von 1912 anknüpft – das nach der Okkupation von Bosnien-Herzegowina nötig geworden war.

Neue Lösungsansätze

Sebastian Kurz, wie alle geschichtsbewussten Post-Kakanier, hat vermutlich ein skeptisch-realistisches Verständnis vom Menschen und seiner moralischen Kondition. Der Mensch ist gut, aber „Grenzen-Losigkeit“ und Laissez faire tun ihm nicht gut. Man darf gespannt sein, ob in der künftigen Politik des Sebastian Kurz andere Leitmotive Alt-Österreichs wiederkehren. Denn die spezifischen Zivilisationsleistungen Kakaniens sind hochaktuell in unserer Welt des Umbruchs. Niemals ist kreativer darüber nachgedacht worden, wie man Sprachenvielfalt und Einheitsstaat, Mobilitiät und Heimatrecht, gemeinsame Werte und Religionskonkurrenz, Kulturautonomie und Gleichheitsprinzip mit einander versöhnen könnte.

 

Mehr über Sebastian Kurz und wie er gemeinsam mit Emmanuel Macron das Europa des 21. Jahrhunderts formt, lesen Sie in der Titelgeschichte der aktuellen Cicero-Ausgabe. Sie erhalten sie am Kiosk oder in unserem Online-Shop.

Anzeige