Konflikt zwischen Russland und Ukraine - „Wir dürfen nicht Gefangene der Launen von Poroschenko werden“

Nach der jüngsten Eskalation des Konflikts zwischen Russland und der Ukraine setzt Ukraines Präsident Petro Poroschenko auf die Hilfe von Angela Merkel. Die Kanzlerin sollte eine Parteinahme aber unbedingt vermeiden, sagt der Ex-Diplomat Frank Elbe und wirbt um Verständnis für Wladimir Putin

Merkel, Poroschenko, Putin: „im Dialog bleiben und auf Deeskalation setzen“ / picture alliance (Archivbild 2014)
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Herr Elbe, in Sachen Russland hat Hans-Dietrich Genscher im Zuge der deutschen Einheit auf Sie gehört. Was würden Sie der Bundesregierung und der Bundeskanzlerin raten angesichts der jüngsten Eskalation zwischen Russland und der Ukraine in der Meerenge von Kertsch?
Es ist immens wichtig, dass man in dieser Situation nicht den Überblick verliert und in Aktionismus verfällt. Wir haben ein Minsker Abkommen, das Rechte und Pflichten für beide Seiten regelt. Die Russen müssen den Waffenstillstand einhalten, und die Ukrainer müssen den Regionen Zugeständnisse in Sachen Autonomie einräumen, also den Weg für Regionalwahlen frei machen.

Ukraines Präsident Petro Poroschenko hat schon gesagt, dass er auf die Hilfe von Angela Merkel setzt. Sollte Merkel ihm helfen?
Natürlich muss sich die Kanzlerin um die Situation kümmern und zwischen den Ländern vermitteln. Aber eine Parteinahme sollte sie vermeiden. Um eine Lösung zu finden, muss internationaler Druck aufgebaut werden, aber eben auch auf die Ukraine und Poroschenko. Man darf nicht vergessen, dass der Einfluss der Amerikaner auf Poroschenko sehr groß ist. Und dass er um seine Wiederwahl kämpft und bei den Umfragen nur bei zehn Prozent liegt. Er hat also großes Interesse, die Krise zur Profilierung zu nutzen.

Aber ist denn eine internationale Lösung mit Russland machbar? Es sieht derzeit nicht danach aus, als ob Wladimir Putin bereit sei, Zugeständnisse zu machen.
Das muss man sehen. Da muss man im Dialog bleiben und auf Deeskalation setzen. Das hat Bundeskanzlerin Angela Merkel getan und hat ja auch angekündigt. Und auch. es weiter zu tun.

Frank Elbe

Viele werfen Angela Merkel aber vor, zu zögerlich gegenüber Wladimir Putin aufzutreten. 
Nein, sie macht das genau richtig. Noch einmal: Wenn wir eine internationale Lösung herbeiführen wollen, dann müssen wir unparteiisch bleiben. Wir dürfen auch nicht Gefangene der Launen von Poroschenko werden.

Oder der Launen von Putin. 
Sie müssen sich auch einmal die Lage von Russland anschauen: Das amerikanische Bemühen, die Ukraine und Georgien in die Nato zu holen, der Aufbau eines Raketenabwehrsystems, das Heranrücken der Nato an die russische Grenze. Das ist doch logisch, dass das in Russland Ängste auslöst. Und dass Putin diese Entwicklungen nicht einfach geschehen lassen kann.

Gleichzeitig kann man aber gut verstehen, dass die Angst in der Ukraine vor dem übermächtigen Nachbarn Russland sehr groß ist. 
Ja, aber die Ukraine ist doch nicht alleine. Das ist doch auch das Problem mit der Krim. Es ist keine Rechtsfrage mehr, sondern eine politische Auseinandersetzung zwischen zwei Großmächten, den USA und Russland, die ihren Einfluss in der Region behaupten und erweitern möchten.

Aber ist nicht die russische Vorgehensweise völlig unverhältnismäßig aggressiv? Ein Schiff zu rammen und auf Leute zu schießen, so kann man doch nicht zur Deeskalation der Lage beitragen. 
Der Schutz der russischen Grenze ist nun einmal die Aufgabe der Küstenwache. Außerdem hatten die Russen angekündigt, sich genauso zu verhalten. Wenn ukrainische Schiffe unter Inkaufnahme des Präsidenten sich nicht an die Regeln halten, lösen sie doch die aktuelle Situation aus.

Eine Situation, die die Welt in Atem hält. Wie sollte sich die internationale Gemeinschaft verhalten?
Wir müssen alle Hebel in Bewegung setzen, dass die Vereinbarungen, die wir geschaffen haben, eingehalten werden. Dazu gehört das Minsker Abkommen. Natürlich müssen wir da auch Russland in die Pflicht nehmen. Aber wir können nicht dauernd auf die Provokationen von Petro Poroschenko reagieren.

Aber das Abkommen wurde doch immer wieder von beiden Seiten verletzt. Auf die Einhaltung zu pochen funktioniert doch offensichtlich nicht. 
Ja, aber wir waren schon einmal weiter unter Donald Trumps Vorgänger Barack Obama. Der hat den Ukrainern unmissverständlich klar gemacht, dass auch sie sich an die Abmachungen halten müssen. Aber von dieser Bereitschaft ist die ukrainische Führung derzeit wieder weit entfernt. Wenn es so weitergeht, stehen wir in der Ukraine kurz vor einem Stellvertreterkrieg zwischen den USA und Russland. Da werden wir Europäer dann nicht mehr gefragt werden.

Das heißt, wir haben eigentlich wieder einen Kalten Krieg? Der war doch längst überwunden. 
An der Überwindung habe ich gearbeitet und daran habe ich auch geglaubt. Aber es ist nicht so.

Frank Elbe war deutscher Botschafter in Polen und Indien sowie Leiter des Planungsstabes im Auswärtigen Amt. Als Rechtsanwalt betreut er heute Mandanten aus allen Teilen der Welt, auch aus Russland.

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