Deutsch-russische Beziehungen - Good Cop, Bad Cop

Während Angela Merkel Russland scharf kritisiert, versucht Außenminister Frank-Walter Steinmeier mit allen Mitteln, den Dialog aufrechtzuerhalten. Doch hinter den scheinbaren Differenzen könnte eine Strategie stecken

Angela Merkel geht auf Konfrontation zu Russland, ihr Außenminister gibt sich diplomatisch / picture alliance
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Angela Merkel kam mit einem Paukenschlag aus dem Urlaub zurück. Kaum saß sie wieder an ihrem Schreibtisch, legte sie sich öffentlich mit Wladimir Putin an – mit so deutlichen Worten wie lange nicht mehr. Zynismus sei das, was Russland für die Bewältigung der humanitären Katastrophe im Syrien-Konflikt vorschlage, ließ sie ihren Sprecher demonstrativ aufsagen.

Währenddessen versuchte ihr Außenminister bei seinem Besuch in Jekaterinburg, die Wogen zu glätten. Vor Studenten sagte er: „Ich werbe für den Dialog, und zwar einen doppelten Dialog – darüber, was uns verbindet, aber auch darüber, was uns trennt.“

Klar, so ähnlich redete er immer, und falsch ist es ja auf keinen Fall. In seinem Arbeitszimmer steht seit Jahren eine Büste Willy Brandts, des Schutzheiligen des Ost-West-Dialogs und Friedensnobelpreisträgers, dessen historisches Verdienst die Entspannungspolitik in Zeiten des Kalten Krieges war und bleibt.

Steinmeier der neue Willy Brandt?

Aber ist sein Amtsnachfolger (vor seiner Kanzlerschaft war auch Brandt Außenminister in einer großen Koalition) nun der neue Brandt? Einer, der meint, reden sei der Schlüssel für den politischen Erfolg? Der glaubt, wenn man nur lange genug an die Vernunft der anderen Seite appelliere, dann werde man am Ende schon zu einem Ergebnis kommen?

Steinmeier zitiert gerne den zwölfjährigen, zähen Verhandlungsmarathon mit Iran über das Atomabkommen. Und ja, richtig, da hat es funktioniert, auch mit deutscher Beteiligung. Und dass man so das Minsker Abkommen zustande gebracht habe, den Rahmen für eine friedliche Lösung im Ukraine-Konflikt, auch das führt er oft an.

Besonders gegenüber Russland gehört es zum Steinmeier-Mantra, dass es ohne Dialog nicht gehen kann und darf, dass man gegenüber Moskau auch Verständnis aufbringen muss. Dafür nimmt er in Kauf, die östlichen Nato-Verbündeten auch mal kräftig vor den Kopf zu stoßen. Wie Mitte Juni, als er vor dem Warschauer Nato-Gipfel von „Säbelrasseln und Kriegsgeheul“ sprach.

Russland dehnt seinen Einfluss aus

Frank-Walter Steinmeier ist nach wie vor der wohl einzige Hoffnungsträger in der SPD, mindestens der Kandidat der Herzen, wenn es etwa um die Gauck-Nachfolge geht. Und bei den Sozialdemokraten kommt es nun mal gut an, wenn man den zahlreichen parteiinternen Putin-Verstehern die Seele streichelt – um dann allen Aufrüstungs- und Abschreckungsmaßnahmen der Nato gegenüber Russland in Warschau zuzustimmen.

Das Problem ist nur: Die Russen lassen nicht mehr mit sich reden. Wenn es je eines Beweises bedurft hätte, dann war es Steinmeiers Treffen mit seinem Amtskollegen Lawrow in Sibirien. Der ließ den Gast aus Berlin eiskalt abblitzen, als es um mehr humanitäre Korridore im zerbombten Aleppo ging. Stattdessen überraschte Moskau die Welt mit der Mitteilung, russische Bomber flögen nun sogar von einem iranischen Stützpunkt ihre Angriffe auf die syrischen Assad-Gegner. Das ist ein Triumph der Moskauer Außenpolitik, die ihren Einfluss im Mittleren Osten damit auf bislang unvorstellbare Weise ausdehnt. Seht her, so die Botschaft an den Westen, wir lassen uns nicht davon abhalten, für Assad den Erfolg herbei zu bomben – koste es an Menschenleben, was es wolle.

Und dann ist da der weiterhin schwelende Ukraine-Konflikt. Denn dort ist nichts gelöst. Zwar sterben inzwischen weniger Menschen als zu Beginn des Konflikts, doch noch immer wird täglich geschossen. Gewiss, die Gemengelage ist unübersichtlich, und beide Seiten tun wenig, um zu einer friedlichen Lösung zu kommen. Aber wenn man Beobachtern der OSZE (auch Russland ist Mitglied) glaubt, der vielleicht einzigen glaubwürdigen Quelle, dann sind es die von Russland unterstützten Separatisten, die in der Ost-Ukraine ganz überwiegend den Waffenstillstand brechen. Auch hier zeigt Moskau also kein Interesse, den Konflikt zu befrieden.

Einig in der Frustration

Die deutsche Außenpolitik stößt bei Putin ganz offensichtlich an ihre Grenzen. Dennoch scheint die Kanzlerin zufrieden mit ihrem Außenminister zu sein. Wann immer Angela Merkel in den vergangenen Monaten zur Außenpolitik im Bundestag sprach, hat sie eines in ihre Rede eingeflochten: Lob, Dank und Anerkennung für Frank-Walter Steinmeier.

Beide teilen ein tief sitzendes Gefühl der Frustration. Endlose Stunden haben sie darauf verwandt, ihre russischen Gesprächspartnern Putin und Lawrow Konzessionen abzutrotzen. Vergeblich.

Das jüngste Auseinanderdriften ihrer Positionen lässt eine Guter-Bulle-böser-Bulle-Strategie vermuten. Umso mehr, als sich enge Mitarbeiter bemühen, das gute Verhältnis zwischen Kanzlerin und Außenminister hervorzuheben. Seht her, so heißt es immer wieder: Wir machen Außenpolitik aus einem Guss.

Wer aber auf große Fortschritte hofft, sollte sich den Kalender anschauen. Anfang November wird in den USA gewählt, dann folgen Monate der Regierungsbildung in Washington. Das weiß auch Wladimir Putin. Er könnte sich aus einer Position der Stärke heraus doch noch mit Barack Obama auf eine Lösung in Syrien einigen. Das deuten russische Diplomaten im Augenblick an. Oder er wartet in Ruhe ab, ob sein Bewunderer Donald Trump oder aber Hillary Clinton ins Weiße Haus einzieht. Der Kreml-Chef hat gewiss keine Eile. Welche Rollenverteilung in Berlin gerade herrscht, dürfte ihm ziemlich egal sein.

Korrektur: In einer früheren Version war fälschlicherweise von OECD-Beobachtern die Rede. Tatsächlich handelt es sich um Beobachter der OSZE (Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa) im Ukraine-Konflikt. Wir bitten, den Fehler zu entschuldigen.

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