Russisch-chinesische Allianz - Ein geopolitischer Warnruf

Die Zusammenarbeit zwischen China und Russland ist schon heute enger als im Westen wahrgenommen. Die USA und die EU müssen im eigenen Interesse verhindern, dass hier eine permanente Allianz entsteht. Das erfordert auch ein besseres Verhältnis zu Moskau.

Xi Jinping und Wladimir Putin während eines Treffens im Kreml / picture alliance
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Dr. Friedbert Pflüger lehrt am CASSIS, Universität Bonn Internationale Klima- und Energiepolitik und ist seit 2014 Senior Fellow des Atlantic Council der USA. Er war 16 Jahre Bundestagsabgeordneter (CDU) und Verteidigungs-Staatssekretär in der ersten Regierung Merkel. Pflüger ist seit 2009 Geschäftsführender Gesellschafter der Unternehmensberatung Bingmann Pflüger International (BPI).

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Dr. Gerhard Hinterhäuser ist Partner für Asien bei der Unternehmensberatung Bingmann Pflüger International. Von 2006 bis 2014 war er Mitglied der Geschäftsführung der PICC Asset Managemet, eines großen chinesischen Staatsunternehmens.

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1972, mitten im Kalten Krieg, initiierten US-Präsident Richard Nixon und sein Sicherheitsberater Henry Kissinger diplomatische Beziehungen zu China. Das Ziel war klar: eine Achse zwischen Moskau und Beijing musste verhindert werden.

Mittlerweile ist China wohlhabend und voraussichtlich bald die größte Volkswirtschaft der Welt. Es ist zu einem systemischen Rivalen herangewachsen und ist von einer Annäherung oder Anpassung an den Westen weiter denn je entfernt. Außenpolitisch tritt es immer selbstbewusster auf, und seine geopolitischen Ansprüche lassen Warnungen vor militärischen Konflikten mit den USA laut werden.

Der große Harvard-Politikwissenschaftler Graham Allison sieht aus dieser Konkurrenz eine fast automatische Entwicklung zum Krieg erwachsen („destained for war“). Vor diesem Hintergrund hat die Logik von Henry Kissingers Dreiecksdiplomatie neue Aktualität gewonnen.

China und Russland sind in den vergangenen Jahren konsequent zusammengerückt. Bei einem Besuch in Moskau voriges Jahr betonte Xi Jinping, dass er Wladimir Putin in den zurückliegenden sechs Jahren nahezu 30 Mal getroffen habe und bezeichnete den russischen Kollegen als seinen „besten Freund“. Xi hob hervor, dass Moskau und Beijing an einer immer engeren Partnerschaft arbeiteten. Diese strategische Kooperation werde jedem Versuch standhalten, die beiden Länder zu spalten.

Angriff auf den Dollar

Beide Länder arbeiten seit geraumer Zeit daran, die Führungsrolle des Dollar als Reservewährung der Welt zu unterwandern. China hat den Ehrgeiz, auf Sicht den Renminbi auf den globalen Märkten zu etablieren, und Russland ist bemüht, den Sanktionen auszuweichen, die vor allem die USA dem Land wiederholt auferlegt haben. Es wurden langfristige Verträge für russische Erdöl-Lieferungen nach China geschlossen, die eine Bezahlung in chinesischer Währung vorsehen und so den etablierten Petrodollar umgehen. Heute werden mehr als 50 Prozent des bilateralen Handels in anderen Währungen als dem US-Dollar abgewickelt.

Sehr dynamisch entwickelt sich die Zusammenarbeit Moskau-Beijing im Energiebereich, wo Putin nach den westlichen Sanktionen im Zuge der Krim-Annexion mit China einen neuen strategischen Partner fand. Fünf Jahre später wurde die Mega-Pipeline „Stärke Sibiriens“ in Betrieb genommen: Sie liefert in den nächsten 30 Jahren russisches Gas nach China. Eine zweite Pipeline über das Altai-Gebirge könnte bald hinzukommen. China hält außerdem 20 Prozent am russischen Flüssiggas-Konzern Novatec, weitere 9,9 Prozent gehören dem chinesischen Seidenstraßen-Fonds.

Westliche Sanktionen haben China und Russland auch zu einer intensiven Kooperation im Technologiebereich animiert. China kann auf diese Weise seinen nahezu unersättlichen Hunger nach Technologien stillen, insbesondere auch solche mit dualem – also auch militärischem – Nutzen. Gleichzeitig expandieren Unternehmen wie Huawei und Alibaba in Russland aggressiv.

China sieht Russland als wesentlichen Baustein einer digitalen „Pax Sinica“. In ihrem letzten Bericht zur Risikobeurteilung der Nation hat die CIA im Lichte der jüngsten Attacken auf Solarwinds und Microsoft auf die Gefahr von Cyberangriffen durch Russland und China hingewiesen. Diese stellen eine Bedrohung für wichtige Infrastrukturen im Westen dar.

Das neueste gemeinsame Projekt beider Nationen findet im Weltraum statt, wo die Errichtung einer gemeinsamen Station auf dem Mond geplant ist. In der Arktis entstehen aufgrund des Klimawandels neue Routen für die maritime Schifffahrt, welche die Fantasien einer geopolitischen und auch militärischen Kooperation zwischen beiden Ländern beflügeln.

Von Kissinger lernen

Es war Staatsräson, die Henry Kissinger seinerzeit dazu bewegte, trotz aller politischen Differenzen die Öffnung zum kulturrevolutionären China zu betreiben. Heute ist es das gleiche Rational, dass es – trotz aller Konflikte – für den Westen erforderlich erscheinen lässt, die Annäherung an Russland zu suchen.

Diese Ansicht gewinnt inzwischen auch in Washington an Boden. So veröffentlichte der Atlantic Council wenige Tage nach der Inauguration Joe Bidens unter der Überschrift „The Longer Telegram“ (in Anspielung auf George Kennans historisches „Long Telegram“ aus dem Jahre 1946 zur US Politik gegenüber der Sowjetunion) ein Papier, das in Washington große Beachtung fand. Einer der Ratschläge für Joe Biden: Es sei für die USA geboten, ihre Beziehungen zu Moskau wieder in die Balance zu bringen. Denn es wäre der größte denkbare geostrategische Irrtum, „wenn es die USA zuließen, dass Russland vollständig in die strategische Umarmung driftet“.

Auch Russland dürfte einer Annäherungspolitik positiv gegenüber stehen, denn die Beziehungen mit China sind letztlich viel komplexer, als es die eindringlich vorgebrachten Freundschafts- und Interessenbekundungen glauben machen. Jeder, der eine Kooperation zwischen Russland und China in der Praxis erlebt hat, weiß, dass Russland sich Europa näher fühlt als dem letztlich fremden Reich in Asien. Dies gilt zumeist auch dann, wenn man etwa mit Geschäftspartnern aus dem fernen Sibirien spricht.

China strebt nach globaler Führungsrolle

Geopolitisch ist China ein harter Wettbewerber in allen Ländern, die traditionell zu Moskaus Einflussgebiet gehören. Die zentralasiatischen Staaten sind dafür seit langem ein hervorragendes Beispiel, jüngst aber auch die Ukraine, wo China die politische Situation konsequent ausnutzt, um seinen Aktionsradius zu erweitern. China sieht in Russland weniger einen gleichberechtigten Partner, sondern vielmehr einen Baustein in einem Beziehungsnetzwerk, das darauf ausgerichtet ist, das Streben nach der globalen Führungsrolle zu untermauern.

Die Rückbesinnung auf die – seit Peter dem Großen – traditionelle Europa-Orientierung ist im Interesse der EU, aber auch Russlands. Ein ernsthafter Versuch eines Interessenausgleichs dürfte inzwischen in Moskau mit offenen Armen angenommen werden. Joe Biden und Wladimir Putin sollten bald einen substantiellen Gipfel durchführen – ähnlich dem, mit dem Gorbatschow und Reagan 1986 in Reykjavik die Weichen für umfassende Entspannung, Abrüstung und Vertrauensbildung stellten.

China wird immer mächtiger – und die Selbstbehauptung gegenüber dem Reich der Mitte wird im Westen alle Kräfte erfordern. Zusätzlich einer Allianz zwischen Moskau und Beijing gegenüber zu stehen, könnte die Kräfte der USA und der EU übersteigen.

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