Rüstungsexporte nach Saudi-Arabien - Das deutsche Dilemma

Die Verlängerung des Waffenembargos gegen das verbrecherische Regime von Saudi-Arabien ist richtig. Dennoch wird in der Debatte um deutsche Rüstungsexporte oft scheinheilig argumentiert. Und die Kompromisse sind faul

Embargo verlängert. Vorerst wird die Bundesregierung keine Leopard 2-Panzer nach Saudi-Arabien liefern / picture alliance
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Ludwig Greven ist freier Journalist und Autor. Er unterrichtet politischen Journalismus.

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Das wahabische Königreich Saudi-Arabien ist eins der schrecklichsten, grausamsten Diktaturen der Welt. Das ölreiche Land ist seit seiner Gründung im Besitz einer einzigen Familie, die für ihre Interessen über Leichen geht. Ihr absolutistisches, theokratisches Regime akzeptiert keinerlei Menschen- und Frauenrechte, politische oder Meinungsfreiheit. Es exportiert Terror, lässt politische, religiöse und sonstige Gegner foltern, hinrichten oder sie wie den oppositionellen Journalisten Jamal Kashoggi selbst im Ausland exekutieren. Und es führt seit Anbeginn Kriege um die Vorherrschaft in der Region, aktuell im Jemen und in Syrien. Ohne jede Rücksicht auf die leidende Zivilbevölkerung.

Dennoch ist Saudi-Arabien seit Jahrzehnten eines der Hauptempfängerländer deutscher und anderer westlicher Rüstungsexporte. Aus zwei simplen Gründen: Erstens exportiert das Land neben einer fanatischen Variante des sunnitischen Ultra-Islamismus, die schon den Saudi Osama bin Laden inspirierte und auch zum Beispiel die Hamas antreibt, die größte Menge dessen, was die Industrie und Autos im reichen Norden am Laufen hält: Öl, den Schmierstoff der Welt.

Saudi-Arabien bleibt ein Stabilitätsfaktor

Zweitens gilt das Regime in Riad westlichen Regierungen als wichtiger Stabilitäts- und Machtfaktor im Nahen Osten. In seinen Interessen ist es auch mit Israel eng verbandelt, gegen den gemeinsamen Feind Iran, der auch ein Feind des Westens ist und seinerseits nach Vorherrschaft in der Region strebt. Und der deshalb in Syrien und Jemen gegen die von Saudi-Arabien und den Golf-Emiraten geführten und finanzierten Truppen, Milizen und Terrorgruppen kämpft.

Die Bundesregierung hat deshalb schon zu Zeiten von Helmut Schmidt und bis vor kurzem stets in großem Umfang Rüstungsausfuhren nach Saudi-Arabien genehmigt. Nach dem Bekanntwerden des grausamen Mordes an Kashoggi im saudischen Konsulat in Istanbul, mutmaßlich auf Befehl von Kronprinz Mohammed bin Salman, sah sich die Große Koalition jedoch genötigt, die Waffenexporte für ein halbes Jahr auszusetzen. Nach langem Streit hat sie das Moratorium jetzt um weitere sechs Monate verlängert.

Jeder Humanist kann das nur begrüßen und allenfalls kritisieren, dass der Ausfuhrstopp wieder nur befristet, nicht auf Dauer gilt. Und dass Ausnahmen vorgesehen sind.

Trotzdem ist eine moralisch einwandfreie Haltung im ewigen Streit um Rüstungsexporte nicht so einfach wie sie scheint. Auch nicht im Fall Saudi-Arabien. Aus verschiedenen Gründen. Da ist zum Bespiel Israel. Der Schutz des jüdischen Staates ist in Deutschland aufgrund des Holocausts zu recht eine immerwährende Verpflichtung. Aus diesem Grund exportiert Deutschland zum Beispiel U-Boote nach Israel, die als Abschussrampe für israelische Atombomben gegen äußere Feinde dienen können, vor allem gegen den Iran. Denn seine Bedrohung durch dessen Mullah-Regime ist real. Deshalb kooperiert die israelische Seite dagegen seit langem militärisch mit Riad. Deutschland kann in dieser für Israel existenziellen Frage nicht abseits stehen.

Kritik aus Großbritannien und Frankreich

An Stabilität in der Region muss Deutschland aber auch generell Interesse haben. Weil es dort  sonst noch mehr gewaltsame Konflikte geben könnte, wie aktuell gerade wieder zwischen Israel und der Hamas im Gaza-Streifen. Und weil sich dann noch mehr Menschen zur Flucht nach Europa gezwungen sähen.

Dazu kommt noch ein konkreter europäischer Grund: Die EU-Staaten wollen und müssen ihre Zusammenarbeit in der Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik vertiefen, angesichts der Bedrohungen in- und außerhalb Europas und des Rückzugs der USA schon unter Barack Obama, verstärkt unter Donald Trump. Dazu gehören gemeinsame Rüstungsprojekte. Denn die einzelne Länder sind bei den immer moderneren, teuren Hightech-Waffensystemen kaum mehr in der Lage, sie alleine zu entwickeln, zu bauen, zu finanzieren und zu unterhalten.

Vor allem Großbritannien und Frankreich haben deshalb das deutsche Waffenembargo gegen Saudi-Arabien zurecht heftig kritisiert, weil es solche gemeinsamen Rüstungsprojekte gefährdet. Der Bundessicherheitsrat hat daher jetzt Ausnahmen beschlossen, die aber gleichfalls scheinheilig sind. Deutsche Hersteller dürfen zwar wieder Komponenten für gemeinsame Waffensysteme in andere EU-Staaten ausführen. Aber die Empfänger sollen sich ihrerseits verpflichten, die fertigen Waffen vorerst nicht nach Riad auszuliefern. Dieser faule Kompromiss folgt der verlogenen Losung: Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass.

Und die Argumente der Briten und vor allem von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, immerhin der engste Verbündete Deutschlands in der EU, sind ja auch nicht von der Hand zu weisen: Wer Ja sagt zu mehr europäischer Gemeinsamkeit, kann nicht einfach Nein sagen, wenn die europäischen Partner auf Einhaltung von Zusagen und gemeinsamen Beschlüssen pochen.

Humanitäre Argumente gegen geostrategische Interessen

Gegen die verständlichen humanitären und pazifistischen Argumente stehen hier also berechtigte geostrategische Interessen wie der Schutz Israels und konkrete europäische Argumente. Ein Ausweg aus diesem Dilemma ist – wenn man ehrlich ist – nicht leicht. Dass sich Union und SPD in dieser Frage streiten, auch intern, ist deshalb nichts, wofür man sie kritisieren sollte.

Klar ist, dass die saudischen Menschenrechts- und Kriegsverbrechen durch nichts zu rechtfertigen sind und dass das Land unter dem künftigen König bin Salman ein verabscheuungswürdiges Regime bleibt, auch wenn er sich einen moderneren Anstrich gibt. Und dass deutsche Waffen nicht dazu dienen dürfen, seine Kriege in Jemen und Syrien zu unterstützen. Aber Deutschland hat auch Waffen an die kurdischen Peschmerga im Nordirak geliefert, die Bundeswehr hat sie ausgebildet – gegen den syrischen Diktator und Kriegsverbrecher Baschar al-Assad und seine Verbündeten Russland und Iran. Das haben sogar Grüne und Linke unterstützt.

Außer in einer idealen Welt, die es leider nicht gibt, ist ein Verbot von Rüstungsexporten, überhaupt von Waffen, also nicht so einfach. Jedenfalls dann nicht, wenn man nicht die Augen vor der in vielen Ecken der Erde schrecklichen Realität verschließt.

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