Reise in den Iran - „In welcher Hälfte der Welt leben wir?“

Jahrzehntelang lang lebten Iraner abgeschottet und sanktioniert – nun öffnet sich das Land. Eine Reise in die Stadt Isfahan zeigt, wie weltoffen die Bewohner entgegen der Vorbehalte aus dem Westen bereits sind

Die Stadt Isfahan zieht mittlerweile Touristen aus aller Welt an / picture alliance
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Autoreninfo

Ramon Schack ist Journalist und Buchautor mit Sitz in Berlin. Zuletzt erschienen seine Bücher „Neukölln ist nirgendwo“ und „Begegnungen mit Peter Scholl-Latour“.

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Im Restaurant Ark, einem der angesagten Treffpunkte in Jolfa, dem armenischen Viertel der iranischen Stadt Isfahan, unterhält Hossein seine Gesprächspartner mit Anekdoten seiner zurückliegenden Europa-Reise. In Oslo besuchte er abends allein eine Kneipe: „Nach ein paar Minuten kam so ein bulliger Typ auf mich zu, ein Norweger, und fing an, mich zu beschimpfen. Irgendetwas Ausländerfeindliches, so nach dem Motto: 'Verpiss dich du Araber.' Ich antworte ihm ebenfalls mit Beschimpfungen, auf Farsi. Wenig später tranken wir zusammen, unterhielten uns die ganze Nacht. Vor ein paar Wochen war der Norweger hier zu Besuch im Iran und war begeistert. Jetzt sind wir enge Freunde“, erzählt er.

„Warst Du geschockt, als Ausländer beschimpft zu werden?“, fragt ein Mädchen aus der Runde, eine Schönheit mit grünen Augen, der eine kastanienbraune Haarsträhne ins Gesicht fällt, da sie ihr obligatorisches Kopftuch – wie die meisten jungen Frauen in den urbanen Quartieren – weit nach hinten geschoben hat. „Nein“, antwortet Hossein schmunzelnd. „Ich war geschockt als 'Araber' bezeichnet zu werden!“

Iraner, nicht Araber

Die Runde lacht, eher zurückhaltend als lauthals. Sie kennen es im Westen pauschal als Araber betrachtet zu werden, was den ausgeprägten Nationalstolz der Nation verletzt. Iraner sind weder sprachlich, kulturell noch ethnisch der arabischen Welt zuzurechnen. Farsi, die Staatssprache, ist ein indoarisches Idiom und aufs engste mit den indogermanischen Sprachen Europas verwandt. Der Islam kam etwa 642 nach Christus infolge der arabischen Invasion nach Persien und konnte sich erst nach Jahrhunderten dort durchsetzen. Die Iraner haben sich damals für die schiitische Variante dieser Religion entschieden. Bis heute ist der Iran der größte schiitische Staat der Welt.

Hossein ist gerade von einer Trekking-Tour aus dem Zagros-Gebirge zurück, wo er eine Gruppe von Touristen aus Deutschland und der Schweiz durch die majestätische Gebirgswelt im Süden des Iran geführt hat. „Ich bin zwar aus Teheran, doch in den Bergen fühle ich mich richtig zu Hause!“, berichtet der Enddreißiger, der seine langen Haare zum Zopf gebunden trägt. Er stammt aus einer Familie von Bergsteigern. Im Iran ist das Bergsteigen eine Art Nationalsport, wie seine Vorfahren übt er diesen Beruf auch aus.

Tourismusboom in Iran

Am Nebentisch sitzt Juliette Baums, Inhaberin des im rheinland-pfälzischen Gerolstein ansässigen Unternehmens „Nomad-Reisen“. Baums, die regelmäßig nach Iran reist, um mit ihren Guides vor Ort neue touristische Pfade zu erkunden, erkennt ein großes Potenzial im Iran als Reiseland. „Die meisten meiner Gäste sind begeistert und möchten bald wieder zurück ins Land“, berichtet die Touristikerin.

Der Tourismus im Iran boomt, seitdem das nach der Iranischen Revolution von 1978 verschlossene Land seine Tore wieder zaghaft geöffnet hat. Die Stadt Isfahan ist eines der Hauptreiseziele. Das Restaurant ist an diesem Nachmittag gut besucht. Neben Einheimischen trifft man inländische Touristen an, vor allem aber viele Besucher aus dem Ausland: Europäer, Australier, zunehmend auch Ostasiaten.

Genozid an Armeniern ist anerkannt

Rund um das Restaurant entfaltet sich das Leben im Stadtviertel, das armenisch geprägt ist. Gleich gegenüber befindet sich die Vank-Kathedale und das armenischen Museum, in dem sich kostbare Artefakte der reichen und tragischen armenischen Kulturgeschichte befinden. All das wird flankiert von Hinweisen auf den Genozid an den christlichen Armeniern im untergehenden Osmanischen Reich. Im Gegensatz zu vielen westlichen Staaten erkennt der Iran den Völkermord bedingungslos an.

Hossein verabschiedet sich von seinen Bekannten und  lädt den ausländischen Besucher zu einer Tour durch Isfahan ein. Vor dem Restaurant wird sein Freund Reza  per Handy verständigt, der zehn Minuten später mit seinem Auto eintrifft. Reza steuert den Wagen hupend und zielsicher durch den dichten Verkehr. Aus dem Radio erklingt die Stimme von Pharrell Williams. Über Isfahan, der drittgrößten Stadt Irans, hängt ein orangefarbener Nebel. Reza, Anfang 30, hat Deutsch und Englisch studiert und versucht nun einen Quereinstieg in den Tourismus. Die Fahrt geht entlang der Hauptstraße Chahar Bagh.

Isfahan: orientalische Märchenstadt

Für die ausländischen Besucher ist Isfahan eine orientalische Märchenstadt, ein Traum aus Tausend und einer Nacht. Für die Iraner eine relativ liberale Metropole, das Tor zum Süden des Landes, reich an Geschichte und Kultur. Der zentrale Königsplatz, seit der Revolution 1978 zum Imam-Platz umbenannt, gilt als die Hauptsehenswürdigkeit.

Reza berichtet von einem Besuch in Tehranangeles – wie viele Iraner scherzhaft Los Angeles nennen, aufgrund der vielen iranischen Einwanderer dort. Ungefähr sechs Millionen Iraner leben heute im Ausland. Nirgendwo auf der Welt leben aber, mit Ausnahme des Mutterlandes, so viele Iraner wie in Südkalifornien. Los Angeles ist ihre heimliche Hauptstadt. Alleine im Stadtteil Beverly Hills sind 20 Prozent der Einwohner iranischer Herkunft. „Wenn die Amerikaner wüssten, wie amerikafreundlich wir hier sind“, sagt Reza, während er seinen Wagen in eine Parklücke manövriert. Zu Fuß geht es weiter die Chahar Bagh Straße hinunter, die von unzähligen Bars, Geschäften und Restaurants gesäumt ist.

Seit der Revolution 1978 heißt der Königplatz in Isfahan Imam-Platz / picture alliance

Islamkritische Haltung weit verbreitet

An diesem Freitagnachmittag tummeln sich unzählige Menschen auf der Flaniermeile. Der ausländische Besucher wird mit großem Interesse registriert und herzlich willkommen geheißen. Die Iraner reagieren mit Begeisterung auf die wachsende Anzahl von Touristen in ihrem Land, mit denen sie, insbesondere die jungen, gerne ihre Fremdsprachenkenntnisse erproben. Erstaunt und verwirrt zugleich, nehmen viele Besucher aus dem Westen die erwähnten Eindrücke von diesem Land wahr, die kaum in Einklang zu bringen sind mit der medialen Berichterstattung, die sie von zu Hause gewohnt sind. „Die trauen sich kaum noch in die großen Städte, weil die Angst haben vor der jungen Generation“, antwortet Reza, bei einem kurzen Espresso-Stopp in der Nutella-Bar, auf die Frage, weshalb man keine Mullahs im Stadtbild sieht. Hossein fügt hinzu: „Manche geben sogar Gas, wenn Mullahs die Straße überqueren!“

Reza drängt zum Aufbruch. Er erwähnt, dass sich bei vielen Iranern eine islamkritische bis islamfeindliche Grundeinstellung verbreitet habe, besonders unter den gebildeten Bewohnern der Großstädte. Während in der benachbarten Türkei die Moscheen wie Pilze aus dem Boden sprießen, stünden die Gotteshäuser im Iran vergleichsweise leer. Nach einem längeren Fußmarsch ist das Ziel erreicht, das Ufer des Zayandeh-Flusses, an dessen Ufern ein buntes Treiben herrscht. In den parkähnlichen Anlagen, auf beiden Seiten des Flusses haben sich Familien zum Picknick niedergelassen. In der Nähe der Si-o-se-Pol, die Dreiunddreißig-Bogenbrücke, benannt nach den 33 Brücken der Stadt, trifft Reza auf seine Lebensgefährtin Maryam und deren Freundin Sahra. Maryam schlägt vor in einem nahen Café Platz zu nehmen.

Iran und Israel

Sahra gehört zur jüdischen Gemeinde Isfahans, die seit tausenden von Jahren in der Stadt etabliert ist. „Vergessen Sie den Unsinn, über angeblichen Antisemitismus im Iran. Unsere Regierung ist antizionistisch, ansonsten erlebe ich hier genauso viele oder so wenige Diskriminierungen wie alle Bürger Irans, wenn Sie verstehen was ich meine. Sollte ich mich pro-israelisch äußern, wozu ich  keine Veranlassung habe, dann hätte ich Probleme“, sagt sie während ein Kellner die Bestellung aufnimmt. Sahra, die ihr Geschichtsstudium demnächst abschließen wird, erinnert an das israelisch-iranische Verhältnis zu Zeiten des Shahs. Eine Epoche, die sie nur aus den Erzählungen ihrer Eltern kennt. Die historischen Animositäten der Iraner gegenüber den Arabern führten damals sogar zu einer strategischen Partnerschaft mit Israel und zu der Tatsache, dass beide Staaten militärisch aufs engste miteinander kooperierten.

Die Sonne versinkt, die Brücken erstrahlen im künstlichen Licht. In Isfahan ist der Abend angebrochen. Junge Pärchen treffen sich im Schutz der Dunkelheit. Auch Reza und Maryam liegen jetzt aneinander geschmiegt, was ihnen per Gesetz nicht gestattet ist. Die Moralpolizei hätte in kleineren Orten wohl schon längst eingegriffen und ihnen eine Strafe, im schlimmsten Fall Peitschenhiebe, verordnet. Jugendliche flüstern sich die Adressen zu von den Orten, wo heute Nacht die Partys steigen, wo wild getanzt wird, die Mädchen kurze Röcke tragen und Whisky und Marihuana konsumiert werden. Voher holen die jungen Männer noch eine Runde Eis, während die jungen Damen lebhaft diskutieren.

Machtausbau in der Region

Nach seiner Rückkehr kommt Reza noch einmal auf die politische Ausgangslage zu sprechen. „Weißt du, 80 Prozent der Iraner sind gegen ihre Regierung eingestellt. Wir hätten gerne eine Alternative. Doch was in unseren Nachbarstaaten passierte und passiert,  in Afghanistan, im Irak, von wo die Leute zu uns flüchten, obwohl diese Länder angeblich befreit wurden vom Westen, das schreckt uns ab!“, erzählt er nachdem er sich eine Zigarette angezündet hat. „Weshalb unterstützt ihr eure und unsere schlimmsten Feinde, die Saudis? Was habt ihr davon? Öl könnt ihr auch von uns bekommen, auch ohne Salafisten“, ergänzt er lachend.

Alle vier sind sich einig, dass der Iran in den nächsten Jahren noch mächtiger in der Region wird. Sahra zitiert ein persisches Sprichwort: Isfahan nesfe jahan - Isfahan ist die halbe Welt. Aber, in welcher Hälfte der Welt? „Ja, in welcher Hälfte der Welt leben wir hier?“, fragt sie in die Dunkelheit hinein.

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