Rücktritt der Regierung in Russland - Putins Paukenschlag

Wladimir Putin kündigt eine Verfassungsänderung per Referendum an. Dann tritt die Regierung zurück. Dann schlägt Putin einen neuen Premier vor. Bei Kreml-Astrologen beginnen die Köpfe zu rauchen. Was hat Russlands Präsident vor?

Adieu alter Weggefährte: Putins Premierminister Dmitrij Medwedjew ist zurück getreten
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Moritz Gathmann ist Chefreporter bei Cicero. Er studierte Russistik und Geschichte in Berlin und war viele Jahre Korrespondent in Russland.

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Es ist dies die Zeit des Jahres, da die Russen verkatert und der langen Neujahrstage müde aus den Ferien zurückkommen. Präsident Wladimir Putin hat sie heute mit Paukenschlägen aufgeweckt: In seiner Rede an die Nation kündigte er einen Umbau des politischen Systems an, der per Verfassungsreferendum entschieden werden soll. Kaum hatte er seine Rede beendet, trat auch schon Premierminister Dmitrij Medwedjew vor die Presse, um den Rücktritt der Regierung zu verkünden. Kurz darauf zauberte Putin dann den neuen Premier aus dem Hut.

Was in einem westlich-demokratischen Land als „Anzeichen einer politischen Krise“ gedeutet werden müsste und für viel Aufregung sorgen würde, ist in der gelenkten Demokratie nur ein im Kreml sorgfältig vorbereitetes Manöver. Wozu das Ganze? Dazu etwas später.

Zunächst einmal Putins Pläne. Das Volk soll per Referendum der von ihm skizzierten Verfassungsänderung zustimmen, die dem Parlament wieder das Recht einräumt, die Regierung zu bestimmen. Heute ist das russische Parlament ein reiner Abnickmechanismus, die Regierung wird vom Präsidenten vorgeschlagen, entsprechend unpopulär weil nutzlos sind die Parlamentarier. „Parlamentarisch“ wird das System aber auch durch das Referendum nicht: Der Präsident soll laut Putin weiter die zentralen Leitlinien der Politik bestimmen. Außerdem soll ein „Staatsrat“ – dort sitzen unter anderem die Gouverneure und die Vorsitzenden der beiden Parlamentskammern – echte Machtbefugnisse erhalten.

Offenbar scheint man auch im Kreml verstanden zu haben, dass die Aushöhlung des Parlamentarismus in den vergangenen zwei Jahrzehnten das Ansehen der Volksvertretung derart ruiniert hat, dass die Wahlen 2021 zum Risikofaktor werden könnten. Wenn die Parlamentarier ohnehin über nichts bestimmen, kann man schließlich wählen, wen man will.

Weltenlenker Putin

Was ist nun das wahrscheinlichste Prozedere? Zunächst muss der neue Premierminister installiert werden, der dann – nach einem erfolgreichen Verfassungsreferendum in diesem Jahr – 2021 vom neuen Parlament legitimiert wird. Den Namen, den Putin am späten Abend für den Posten präsentierte, hatte niemand auf dem Schirm: Michail Mischustin heißt der Mann, 53 Jahre alt und die letzten zehn Jahre Chef der russischen Steuerbehörde. Mischustin wirkt wie ein klassischer Technokrat und ist nicht mit heftigen Selbstbereicherungsvorwürfen belastet wie Medwedjew – über dessen Reichtümer existiert ein Youtube-Film, der inzwischen 33 Millionen mal geklickt wurde.

Medwedjew, während seiner Präsidentschaft 2008 bis 2012 Hoffnungsträger der liberaler denkenden Russen, wird auf den Posten von Putins Stellvertreter im Sicherheitsrat „weggelobt“. Aber seine politische Karriere dürfte beendet sein. Medwedjew ist im Volk als Putins willenlose Marionette verschrien und bekam in den wirtschaftlich schwierigen Jahren den Unmut der Bürger zu spüren, während Präsident Putin als Weltenlenker die politischen Gewinne einstrich.

Wählt Putin das „kasachische“ Szenario?

Dass der „Mr. Nobody“ Mischustin, selbst wenn er sich bewähren sollte, auf Putin folgen könnte, wenn dieser 2024 verfassungskonform endgültig seinen Posten als Präsident räumen muss, ist unwahrscheinlich. Eher wird Putin den Russen einen kampferprobten Getreuen aus seinem Umfeld empfehlen, etwa den populären Verteidigungsminister Sergej Schoigu. Aber wohin dann mit Putin selbst?

Die heutige Ansprache deutet darauf hin, dass Putin Gefallen an der „kasachischen Variante“ gefunden hat: Dort hatte Präsident Nursultan Nasarbajew in diesem Frühjahr nach 29 Jahren Präsidentschaft seinen Posten an einen Getreuen abgegeben, blieb aber gleichzeitig an der Spitze des Sicherheitsrats und verschiedener weiterer Gremien, zudem trägt er den Titel eines „Führers der Nation“. Nasarbajew muss sich nicht mehr wählen lassen, hat aber die Zügel noch in der Hand.

Auch Putin könnte sich in eine ähnlich zarenhafte Position hieven: Selbst wenn er nach 2024 die Führung des Sicherheitsrates abgeben müsste, könnte er als Vorsitzender des Staatsrates am Steuer bleiben. Eben dieser Staatsrat, der bisher nur dekorative Funktion hat, müsste zuvor per Referendum mit echten Befugnissen ausgestattet werden.

Wozu also das Ganze? Richtig: Die Macht des Unentbehrlichen soll auch über das Jahr 2024 verlängert werden.

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