Papst Franziskus - „Möge er sagen…!“

Ein ehemaliger vatikanischer Diplomat wirft dem Papst vor, sexuelle Verfehlungen eines Kardinals gedeckt zu haben. Auch enge Vertraute von Franziskus erscheinen in einem schlechten Licht. Das Dokument der Anklage gibt es nun auch auf Deutsch zu lesen

Wie hält es Papst Franziskus mit vollkomener Transparenz, die er für seine Kirche selbst gefordert hat? / picture alliance
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Autoreninfo

Alexander Kissler ist Redakteur im Berliner Büro der NZZ. Zuvor war er Ressortleiter Salon beim Magazin Cicero. Er verfasste zahlreiche Sachbücher, u.a. „Dummgeglotzt. Wie das Fernsehen uns verblödet“, „Keine Toleranz den Intoleranten. Warum der Westen seine Werte verteidigen muss“ und „Widerworte. Warum mit Phrasen Schluss sein muss“.

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Diese Empfehlung kommt direkt vom Papst. In seiner jüngsten Pressekonferenz im Flugzeug bat Franziskus die Journalisten: „Lesen Sie das Schreiben aufmerksam und urteilen Sie selbst.“ Und er setzte hinzu: „Ich werde kein einziges Wort dazu sagen.“ Gemeint ist mit dem Schreiben das Zeugnis des Erzbischofs Carlo Maria Viganò, das nun auch in deutscher Übersetzung vorliegt.

Ob es klug war von Franziskus, sich auf der Heimreise von seinem jüngsten Irland-Besuch nicht näher zu äußern, ist fraglich. Massiv sind die Vorwürfe an seine Adresse, ausgesprochen und niedergelegt von Carlo Maria Viganò, dem ehemaligen vatikanischen Nuntius in den Vereinigen Staaten – jener Teilkirche also, die derzeit von einem Missbrauchsskandal erschüttert wird. Auf knapp 1000 Seiten hat der Pennsylvania Report erschütternde Fälle zusammengetragen, begangen von über 300 Priestern, mehrheitlich an Jungen. 

Erst bestraft, dann befördert

Knapper, aber detailreich sind Viganòs Ausführungen. Franziskus erscheint als Zentralfigur eines Netzwerks homosexueller Priester, das er teils geduldet, teils gefördert haben soll. Konkret wirft Viganò dem Papst vor, seit 2013 gewusst zu haben von den Machenschaften des nun erst vom Priesteramt suspendierten und mit der Rücknahme des Kardinalsranges bestraften ehemaligen Bischofs von Washington, Theodore McCarrick. Er, Viganò, habe Papst Bergoglio am 23. Juni 2013 persönlich informiert. Dieser habe daraufhin nicht nur nichts gegen McCarrick unternommen, sondern ihn sogar zu seinem engen Mitarbeiter befördert.

Die Bußstrafen, die Bergoglios Vorgänger Benedikt XVI. verhängt hatte, habe Franziskus aufgehoben und McCarrick rehabilitiert. Viganò sagt, er wolle das „Gesetz des Schweigens“ brechen. McCarrick habe ihm gegenüber offen zugegeben, „mit einigen Seminaristen imselben Bett geschlafen zu haben, doch sagte er mir dies, als ob es keinerlei Bedeutung habe.“ Auch hätte unter McCarricks Leitung „die sakrilegische Feier der Eucharistie mit denselben Priestern nach der Begehung solcher Akte“ stattgefunden.

Vollkommene Transparenz in der Kirche?

Benedikt XVI. wusste davon und befahl „im Jahr 2009 oder 2010“, dass McCarrick das Priesterseminar verlassen musste, „in dem er wohnte. Ihm wurde verboten, öffentlich zu zelebrieren, an öffentlichen Versammlungen teilzunehmen, Vorträge zu halten und zu verreisen, und er wurde verpflichtet, sich einem Leben des Gebets und der Buße zu widmen.“ Für Viganò eine angemessene Reaktion, schließlich habe es sich um sexuelle Akte mit Untergebenen gehandelt – mit jungen Männern auf dem Weg zum Priestertum.

Franziskus sah es offenbar anders – und Viganò ist verzweifelt: „Papst Franziskus hat mehrfach vollkommene Transparenz in der Kirche gefordert und die Bischöfe und Gläubigen angehalten, mit Parrhesia vorzugehen. Die Gläubigen in aller Welt fordern sie auf besondere Weise auch von ihm. Möge er sagen, seit wann er von den Verbrechen wusste, die McCarrick verübt hat, indem er seine Autorität gegenüber Seminaristen und Priestern missbrauchte. In jedem Fall hat der Papst es am 23. Juni (2013) von mir erfahren und es weiterhin verdeckt, er hat die Sanktionen nicht berücksichtigt, die Papst Benedikt McCarrick auferlegt hatte, und ihn gemeinsam mit (Kardinal Óscar Andrés) Maradiaga zu seinem vertrauten Ratgeber gemacht.“

Der Vatikan-Krimi ist noch nicht zu Ende

McCarricks Washingtoner Nachfolger Donald Wuerl, laut Viganò ein „schamloser“ Lügner, habe die Vertuschung fortgesetzt. Wuerl steht auch deshalb im Kreuzfeuer der Kritik, weil er „durch die jüngsten Enthüllungen über sein Verhalten als Bischof von Pittsburgh vollkommen kompromittiert ist.“ Von 1988 bis 2006 leitete Wuerl jenes Bistum, das im Pennsylvania Report als Hort systematischen sexuellen Missbrauchs erscheint.

Sagt Carlo Maria Viganò die Wahrheit und nichts als die Wahrheit? Wir wissen es nicht. Schweigt Bergoglio, weil er ein gutes Gewissen hat oder weil er ertappt wurde? Wir wissen es nicht. Wohl aber ist dieser Vatikan-Krimi noch nicht zu Ende. Viganò hat mittlerweile seine Heimat Italien verlassen. Es heißt, er fürchte um sein Leben.

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