Österreich - Kurz nach der Wahl

Österreichs neuer Bundeskanzler hat sich viel vorgenommen: Nicht nur sein eigenes Land, ganz Europa will er verändern. Die FPÖ ist wegen ihrer rechten Aus­wüchse allerdings ein gefährlicher Partner für die Mission des Sebastian Kurz. Wie läuft die Zusammenarbeit im Kabinett?

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Sein Kalkül scheint zu funktionieren: In allen Umfragen wird die Arbeit der neuen Regierung positiv bewertet / picture alliance
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Rainer Nowak ist Journalist und war zuletzt Chefredakteur der österreichischen Tageszeitung Die Presse. Foto: Launchy (Nowak)

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Die wichtigsten Kriterien bei der Immobiliensuche lauteten: Lage, Aussicht und die Geschichte des Objekts. Sebastian Kurz und sein Team überlassen da nichts dem Zufall. Niemals. Die Präsentation des Regierungsteams der Koalition aus ÖVP und FPÖ wurde am Wiener Kahlenberg – die Bezeichnung „Berg“ ist freilich nicht nur für Alpinisten eine Übertreibung – abgehalten, der abendliche Blick war beeindruckend. Das sollte auf das neue Team, das überwiegend aus politischen Quereinsteigern besteht, abfärben. 1683 waren von diesem hohen Punkt vor Wien aus die Truppen des polnischen Königs Jan Sobieski gegen die osmanischen Belagerer Wiens gezogen und hatten die Stadt entsetzt. Seither gilt ein kleines Kirchlein auf dem Hügel vor allem für Polen als Wallfahrtsort, der vorvorletzte Papst betete auch schon hier. Sehr überzeugte Wiener Patrioten tun das mitunter auch. 

Bundeskanzler Sebastian Kurz

Sebastian Kurz, Jahrgang 1986, ist der jüngste Regierungschef Europas und kann auch sonst auf eine Karriere voller Superlative zurückblicken. Mit 24 Jahren wurde der ÖVP-Mann Staats­sekretär, mit 27 Jahren Außenminister – sein Jurastudium musste er für die steile Politkarriere abbrechen. Während der Flüchtlingskrise präsentierte sich Kurz als Hardliner und schloss die Balkanroute. Foto: ÖVP

 

Nur zwei Wochen später luden Kurz und sein Vizekanzler Heinz-Christian Strache nach Schloss Seggauberg, einem Sommerschloss, das jahrhundertelang den steirischen Bischöfen diente und seit Jahrzehnten als klösterliches Seminarhotel mit bescheidenem Luxus genutzt wird. Auch dort konnten die Regierungsmitglieder über das Land blicken, das so schön ist und bis vor kurzem doch so unzufrieden war. Aber 2018 soll alles anders und besser werden, so die schlichte Botschaft.

Frischer Wind im Wahlkampf

Wirkliche programmatische Ansagen gab es hier wie dort nicht, die große Reformagenda, auf die Anhänger wie Gegner gewartet hatten, blieb vorerst aus oder wurde zumindest sehr geschickt zwischen den Zeilen des Regierungsprogramms versteckt. Dabei hatten Sebastian Kurz, seine in „Bewegung“ umgetaufte Volkspartei und wohl auch die frühere Oppositionspartei FPÖ bei den Nationalratswahlen eine breite Mehrheit erzielt, weil die Forderung nach Veränderung in der österreichischen Wählerschaft greifbar war und ist.

Die Wechselstimmung war nicht zuletzt atmosphärischer Art. Zu lange hatte eine Große Koalition das Land nach dem Motto regiert „Lieber kein Erfolg als einer des Koalitionspartners“; gegenseitiges Blockieren, öffentliches Streiten und Dauerwahlkampf standen auf der politischen Tagesordnung. Sebastian Kurz versprach, dies zu ändern, und schaffte es als erster ÖVP-Chef seit Jahrzehnten, gegen einen amtierenden Kanzler die Wahlen zu gewinnen. Schon im Wahlkampf hatten die perfekte Inszenierung und das bloße Versprechen, es anders zu machen, im Mittelpunkt gestanden und die Wähler mehrheitlich überzeugt.

Der große Wurf blieb bisher aus

In diesem Stil machen Kurz und sein schwieriger Koalitionspartner weiter: Keine Pressekonferenz, kein gemeinsamer Auftritt vergeht, an denen das auch optisch ungleiche Paar Kurz/Strache den mitunter verdutzten Journalisten verkündet, wie harmonisch das Verhältnis zwischen ihnen sei und wie verständnisvoll der jeweils andere Partner. Die Auftritte heiratswilliger Royals in London und anderswo wirken da im Vergleich fast kühl. Aber es scheint zu funktionieren: In allen Umfragen wird die Arbeit der neuen Regierung positiv bewertet. Auch die einzelnen Minister haben bisher kaum Akzeptanzprobleme, die meisten waren völlig unbekannt. Vor allem auf ÖVP-Seite tritt eine Mischung aus Wissenschaftlern, Managern und Vertrauten von Kurz an, die bisher Fehler und Festlegungen vermieden.

Verteidigungsminister Mario Kunasek

Der Verteidigungsminister ist Soldat (Stabsunteroffizier) und ausgebildeter Kfz-Mecha­troniker. Der 41-Jährige wird dem rechten Rand der FPÖ zugerechnet – er publizierte unter anderem Texte im rechtsextremen Magazin Aula. Von 2008 bis 2015 saß Kunasek im Nationalrat. Foto: FPÖ

 

 

 

Dass Kurz nach gewonnener Wahl sofort darangehen werde, den üppig ausgestatteten Staat völlig umzubauen, hatten nicht nur manche seiner Anhänger erhofft. Doch trotz weitreichender Kompetenzen scheute Kurz bisher etwa einen Eingriff in den finanziell gut gepolsterten Föderalismus, der für die österreichischen Länder die Idealmischung aus deutschem und schweizerischem System darstellt: Geld dürfen sie zwar großzügig ausgeben, einsammeln und verantworten muss es aber fast ausschließlich der Finanzminister in Wien. 

Nur einige kleinere Maßnahmen setzten der Kanzler und seine Minister durch, das aber vergleichsweise rasch und radikal. Die noch immer gedemütigte Opposition reagierte darauf so empört, als würde Margaret Thatcher den Sozialstaat privatisieren – konnte sich dabei aber nicht recht entscheiden, ob sie nun den Populismus, das Nichteinhalten der Wahlversprechen, den Mangel an Budgetdisziplin oder doch den dräuenden Faschismus kritisieren soll.

Die Wirtschaft brummt

Die Situation für den früheren Bundeskanzler und unfreiwilligen Oppositionsführer Christian Kern von der SPÖ ist denn auch mehr als unerfreulich: Seit 2008, dem Ausbruch der weltweiten Finanzkrise, hatten die sozialdemokratischen Regierungschefs (vor dem öffentlich leidenden Kern war das ein gewisser Werner Faymann) darauf gehofft, dass es wirtschaftlich endlich wieder bergauf gehen werde und sie endlich wieder gute Stimmung verbreiten und sprudelnde Steuereinnahmen genießen könnten. 

Doch ausgerechnet der 32-jährige Juniorkanzler Kurz erntet jetzt die Früchte einer in der vergangenen Periode beschlossenen Steuerreform und der europaweit aufflackernden Wirtschaftskraft. Nur wenige Tage nach Vereidigung der neuen Regierung veröffentlichen Wirtschaftsforscher gute Daten, auch vom Arbeitsmarkt gibt es überraschend positive Nachrichten über den Rückgang der Arbeitslosenzahlen.

Das österreichische Wirtschaftsforschungsinstitut geht in einer mittelfristigen Prognose sogar davon aus, dass der Staatshaushalt bereits 2019 in die Nähe eines Nulldefizits kommen und von 2020 an Überschüsse erzielen könnte – selbst dann, wenn die Regierung gar keine eigene Initiative ergreife. Wobei auch die beabsichtigten Maßnahmen weit davon entfernt sind, „neoliberal“ zu sein, wie es die Gegner der türkisblauen Regierung gern behaupten.

Kommt ein österreichisches „Hartz IV“?

Kurz und seine Minister haben zwar von der Notwendigkeit des Sparens gesprochen und entsprechende Schritte angekündigt, beschlossen wurden zunächst jedoch vor allem Ausgaben. Die bisherige Praxis, bei der auf Vermögenswerte von Betroffenen zugegriffen wurde, um Bedürftige zu versorgen und zu pflegen, wurde ebenso abgeschafft wie die Arbeitslosenversicherung für Bezieher kleiner Einkommen. Und mit dem Beschluss, Familien für die Betreuung ihrer Kinder mittels Steuerfreibetrag großzügig zu entlasten, förderte der wertkonservative Kurz erstmals seit langem nicht nur die traditionelle Familie, sondern unterstützte auch die Mittelschicht, für die durch Kinder verursachte Kosten verhältnismäßig stärker ins Gewicht fallen als bei den Reichen und bei den mit Sozialleistungen unterstützten Ärmeren.

Vizekanzler Heinz-Christian Strache

Heinz-Christian Strache, genannt „HC“, ist nicht nur Vizekanzler, sondern auch Parteichef der FPÖ. Umstritten ist Strache vor allem wegen seiner rechtsextremen Vergangenheit. Strache ist ausgebildeter Zahntechniker, war Korporal des Bundesheers und studierte kurzzeitig Geschichtswissenschaften. 2005 übernahm er den Parteivorsitz der FPÖ und konsolidierte die Partei nach Jörg Haiders Abgang. Im Wahlkampf gab Strache sich gemäßigter als in der Vergangenheit. Foto: Parlamentsdirektion/PHOTO SIMONIS

 

 

Die Angst (beziehungsweise strategische Hoffnung der politischen Gegner), Kurz könnte wie einst Wolfgang Schüssel das Land in Richtung eines durch angelsächsische Individualverantwortung geprägten Gemeinwesens umbauen, kristallisiert sich jetzt nur noch an einem letzten offenen Punkt: Österreich könnte das Wirrwarr aus verschiedenen Sozialhilfen (Notstandshilfen, Mindestsicherung) und den Bezug des Arbeitslosengelds nach einer bestimmten Bezugslänge auf eine einzelne finanzielle Unterstützung vereinheitlichen – mit der Zugriffsmöglichkeit des Staates auf private Vermögenswerte. Im Prinzip geht es um eine Art österreichisches „Hartz IV“, doch weil dieser Begriff bei der Linken heftige Abwehrreflexe hervorruft, meidet Kurz eine entsprechende Wortwahl und will auch keine konkreten Pläne zur notwendigen Reform in diesem sensiblen Bereich nennen. Als die neue FPÖ-Sozialministerin, die als eines der wenigen Regierungsmitglieder sachlich und parteipolitisch gut verankert ist, jedwede Hartz-IV-Pläne ausschloss, wurde sie von Kurz und Strache flugs entmachtet und musste ihr Dementi öffentlich brav wieder zurückziehen. Interner Streit und offene Konflikte gelten als das schlimmste Übel in der neuen Wiener Regierung. 

Der Fauxpas des Innenministers

Mit einem anderen Übel scheint die Regierung weniger gut umgehen zu können. Dass jedes Wort der freiheitlichen Regierungsmitglieder auf die Gold­waage gelegt werden würde, ist nicht nur eine Konsequenz aus der Geschichte der FPÖ (ihre Vorläuferpartei VdU war ein Sammelbecken für ehemalige Nationalsozialisten). Verschärfte Beobachtung herrscht auch wegen des starken deutschnationalen Flügels (deutschnationale Burschenschaftler sitzen in allen FPÖ-Regierungskabinetten) und nicht zuletzt wegen der Zugehörigkeit zur Rechtsaußen-Fraktion im Europaparlament (zusammen etwa mit dem französischen Front National von Marine Le Pen). Dennoch unterlief dem inoffiziellen „Textchef“ der FPÖ dann prompt die erste schlimme Formulierung: In einer Pressekonferenz wollte Innenminister Herbert Kickl eigentlich die Debatte über die geplante Errichtung von „Massenquartieren“ für Flüchtlinge entschärfen. Der ehemalige Kampagnenchef der FPÖ versuchte wortreich zu erklären, warum die Pläne harmlos und vernünftig zugleich seien. Er würde die Unterkünfte lieber „Grundversorgungszentren“ nennen – oder, auf Neudeutsch, „Rescue Center“. Dann fuhr er fort: Man müsse „diejenigen, die in ein Asylverfahren eintreten, auch entsprechend konzentriert an einem Ort halten“. Konzentrieren? Das klingt nach Konzentrationslagern. Ein kurzer, aber heftiger Sturm der Entrüstung brach aus, von der BBC bis zur New York Times übernahmen Medien die mehr als unsensible Formulierung Kickls. 

Außenministerin Karin Kneissl

Die 53 Jahre alte Wienerin ist parteilos und wurde von der FPÖ für ihren Posten nominiert. Kneissl ist Nahostexpertin, kommentierte die Region jahrelang für das ORF und legte 1992 eine Dissertation über den Nahostkonflikt vor. Studiert hat sie unter anderem an der École nationale d’administration (ENA) in Paris – der Kaderschmiede für die französische Politikelite. Sie arbeitete schon von 1990 bis 1998 im Außenministerium. Während der Flüchtlingskrise bezeichnete Kneissl, die sieben Fremdsprachen beherrscht, Merkels Agieren als „grob fahrlässig“. Foto: Euractiv

Der stritt zwar ab, dass er bewusst eine Assoziation mit NS-Konzentrationslagern gesucht habe: „Ich verstehe nicht, worin hier eine Provokation liegt.“ Und: „Man könne den Begriff auch einfach mit ,zusammenfassen‘ ersetzen.“ Aber der Schaden war angerichtet. Dass selbst die deutsche Regierung Maßnahmen in Betracht gezogen hatte, wonach Asylbewerber bis zum Ende ihrer Verfahren in großen Quartieren unterzubringen seien, spielte in der Debatte keine Rolle mehr. Die erste Demonstration gegen die Regierung wurde durch Kickls Zutun dann auch größer als gedacht; mit 10.000 Teilnehmern hatten die Initiatoren gerechnet, tatsächlich gingen in Wien am Ende mindestens 20.000 Menschen gegen Rechts auf die Straße.

Aufbruch in Europa

Für Kurz trübte diese Episode seinen ersten wichtigen Auftritt auf europäischer Ebene, der in jedem Detail präzise vorbereitet worden war. Normalerweise führt der erste Staatsbesuch die österreichischen Kanzler nach Berlin oder Bern – nach Paris war bei dieser Gelegenheit noch keiner gefahren. Aber die Symbolik wollte Kurz nicht auslassen, der Auftritt mit Frankreichs Präsident Emmanuel Macron war zu verlockend. Die Gemeinsamkeiten sind unübersehbar: Beide ließen mit eigens gegründeten Bewegungen und etlichen Quereinsteigern ihre Parteien hinter sich; beide pflegen einen neuen Politikstil, der Veränderung und Reform suggeriert. Diesen Versprechen folgte in beiden Ländern die Mehrheit der Wähler. Das Vertrauen ins Erneuerungsversprechen der zwei jungen Regierungschefs basiert bisher allerdings vor allem in deren medialer Überzeugungskraft, besonders in ihrer Kommunikation.

Dass Kurz ausgerechnet Paris und nicht etwa Berlin wählte, wo mit Angela Merkel die Chefin der Schwesterpartei residiert, ist kein Zufall: Der Kanzler will den Aufbruch in ein neues Europa signalisieren. Vor allem aber: Seit Merkel 2015 in Absprache mit den Sozialdemokraten, die damals in Wien den Kanzler stellten, die Grenzen für die Flüchtlinge öffnen ließ, ging Kurz massiv auf Distanz. Das Flüchtlingsthema wurde sein zentrales Anliegen, die Schließung der Westbalkanroute mit den entsprechenden Partnern in der Region war sein Gesellenstück. Nicht zuletzt dadurch wurde er Kanzler. Damals hatte sich Merkel explizit gegen die Grenzschließung durch Mazedonien ausgesprochen und auf Vertrauen in ihre Verhandlungen mit der Türkei gedrängt. Ihre Sorgen galten insbesondere dem EU- und Nato-Partner Griechenland, der bei einer Grenzschließung mit den Flüchtlingen allein gelassen würde. Kurz jedoch ermunterte die Regierung in Skopje weiter, das Vorhaben umzusetzen, und aktivierte in der CDU Gesprächspartner, die der mazedonischen Regierung gut zuredeten. Ein Umstand, den Merkel bis heute vehement dementiert.

Innenminister Herbert Kickl

Der 49 Jahre alte FPÖ-Mann bekommt mit dem Innenressort die Verantwortung für das eigentliche Kernthema der Freiheitlichen: Flüchtlinge. Er ist schon seit 1995 bei der Partei und gilt nicht nur deswegen als Mastermind der FPÖ. Kickl hat Philosophie studiert (ohne Abschluss), wird häufig als intellektuell beschrieben und textete schon die Reden von Jörg Haider. Er ist Urheber vieler FPÖ-Wahlkampfslogans. Der berühmteste: „Daham statt Islam“. Seit 2005 ist er Generalsekretär seiner Partei. Foto: FPÖ

 

Große Koalitionen und EU-Ratspräsidentschaft

Kleinere Rivalitäten zwischen Merkel und dem jungen Kurz beeinflussten auch das Tempo bei der Regierungsbildung. Das Scheitern der Jamaika-Koalition wirkte wie ein Ansporn für die Verhandlungen zwischen ÖVP und FPÖ, schnell und effizient zu einem Abschluss zu kommen. Kein Land kennt das Schreckgespenst Große Koalition mit seinen faulen Kompromissen besser als Österreich, an seiner Brust nährte sich vor allem die FPÖ. Ein Jamaika-Bündnis in Berlin wäre für Sebastian Kurz allerdings unangenehm gewesen, denn diese politische Kombination hätte im Vergleich zu den Verhältnissen in Wien womöglich progressiver gewirkt. Gegen eine Regierung Merkel/Schulz hingegen dürfte Kurz mit seinem rechtslastigen Kabinett auch weiterhin punkten. Und: Kurz wird sehr genau beobachten, wie die Karriere seiner CDU-Freunde in der neuen Regierungskonstellation verläuft, insbesondere die von Jens Spahn.

Die EU-Ratspräsidentschaft Österreichs im zweiten Halbjahr 2018 soll nun zum Meisterstück von Sebastian Kurz werden. Europa müsse sich und seine Bürger besser schützen, so die Linie von Kurz und vielen Mitstreitern – übrigens auch in der CDU und der CSU, mit denen Kurz eng vernetzt ist. Nach dem Besuch von Kurz in Paris übernahm sogar der französische Präsident das Wording des Österreichers: Europa müsse sich besser schützen, so Emmanuel Macron.


 

Infrastrukturminister Norbert Hofer

Um ein Haar wäre Norbert Hofer Bundespräsident geworden. „Sie werden sich noch wundern, was als Präsident alles möglich ist“, tönte er im Wahlkampf um das Präsidentenamt und handelte sich damit viel Kritik ein. Aber dann hatte es doch nicht gereicht, und nun findet sich der 46-jährige FPÖ-Politiker in Kurz’ Kabinett wieder. Seinen neuen Posten bezeichnete er in den vergangenen Wochen wiederholt als „spannend“. Hofer ist Burschenschaftler und bis heute Mitglied der als rechtskonservativ geltenden Burschenschaft Marko-Germania. Foto: FPÖ

EU-Integration vs. Subsidaritätsprinzip

Trotz großer Harmonie zwischen den beiden jungen Regierungschefs existiert ein fundamentaler Unterschied, der Kurz eher im Lager der Visegrad-Staaten Unterstützung bringen wird: Wie er es bereits im vergangenen Jahr an der Sorbonne in einer viel beachteten Rede formulierte, fordert Macron eine Vertiefung der EU, eine Harmonisierung von zentralen Kompetenzen etwa in der Finanzpolitik sowie weniger nationalstaatliche Entscheidungsgewalt. Kurz hingegen forciert bei den EU-Kompetenzen das Subsidiaritätsprinzip und will die Zuständigkeit Brüssels in etlichen Bereichen zurückschneiden. Von einem gemeinsamen europäischen Finanzminister etwa hält er wenig. Ebenso auseinander gehen die Meinungen beim zentralen EU-Thema Brexit und bei der Finanzierung der Union. Kurz spricht sich beispielsweise für eine Verschlankung der EU-Institutionen und des entsprechenden Beamtenapparats aus; Macron sieht das ganz anders. 

Exakt 18 Jahre nach den maßgeblich von Deutschland und Frankreich initiierten EU-Sanktionen gegen das damals schwarz-blaue Österreich fällt die Reaktion auf die neue Regierung unter Beteiligung der FPÖ jedenfalls zurückhaltend aus. Macron vertritt den Standpunkt, es sei gute Tradition, die Wahlausgänge in anderen europäischen Staaten nicht zu kommentieren. Und Merkel gratulierte Sebastian Kurz als Erste. Kurz selbst sagt inzwischen, er habe eigentlich mit viel mehr Widerstand und Protesten aus dem In- und Ausland gerechnet. Was wohl auch der Grund dafür gewesen sein dürfte, warum er während der ersten Wochen seines Regierens merklich hat Vorsicht walten lassen. 

Finanzminister Hartwig Löger

Der 52-Jährige ist ein absoluter Polit-Neuling. Als Parteiloser wurde er von der ÖVP nominiert. Zuvor war Löger Manager, zuletzt als Vorstandsvorsitzender beim Versicherungskonzern Uniqa Österreich. Seine Berufung zum Finanzminister hat viele Beobachter überrascht. Foto: ÖVP

Kommende Landeswahlen sorgen für Spannung

Beide Regierungspartner agieren auch deswegen einigermaßen diszipliniert, weil in den nächsten Monaten in gleich vier Bundesländern Wahlen anstehen: Die Kurz-Partei muss drei Landeshauptleute – die regionalen Ministerpräsidenten – verteidigen, und dafür schaut es in Niederösterreich, Tirol und Salzburg derzeit auch gut aus. In allen drei Ländern dürften die oppositionellen Freiheitlichen ebenfalls zulegen, die dort schwächelnden Sozialdemokraten drohen weiter abzurutschen oder zu stagnieren. Die Grünen sind bereits aus dem österreichischen Parlament geflogen und kämpfen nun auf regionaler Ebene um ihre Existenz.

Die vierte Wahl steht in Kärnten auf dem Kalender und hat mehr symbolische denn realpolitische Bedeutung. Denn das südliche Bundesland ist wegen des dort einst regierenden und später verunglückten Jörg Haider eine Bastion der FPÖ, auch wenn Haider das Land fast in die Pleite geführt hatte. Fiele Kärnten (etwa mithilfe der dort marginalen ÖVP) wieder an die FPÖ, und die regierenden Sozialdemokraten würden abgelöst, wäre Heinz-Christian Strache in seiner Partei und in der Regierung noch gefestigter. Er und Kurz könnten dann tatsächlich ihrem Ziel nahekommen, Österreich über zwei Legislaturperioden bis 2027 zu führen. Kurz wäre dann 42 Jahre alt.

Dieser Text stammt aus der Februarausgabe des Cicero, die Sie am Kiosk und oder in unserem Onlineshop erhalten.

 

 

 

 

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