Nuklearabkommen mit dem Iran - Gefahr einer neuen Krise

Die UN-Atomenergiebehörde IAEO versucht, wieder Bewegung in den festgefahrenen Atomstreit mit dem Iran zu bringen. Nach einseitiger Kündigung des Abkommens unter Trump verschlechterte sich die Lage: Der Iran ist durch Fortschritte in der Urananreicherung einer Nuklearwaffenoption einen großen Schritt näher gekommen.

Ebrahim Raisi, Präsident des Iran, spricht während einer Parlamentssitzung / dpa
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Botschafter a.D. Rüdiger Lüdeking war während seiner Zeit im Auswärtigen Dienst (1980-2018) in verschiedenen Verwendungen, u.a. als stv. Beauftragter der Bundesregierung für Abrüstung und Rüstungskontrolle und Botschafter bei der OSZE, mit Fragen der Sicherheits- und Rüstungskontrollpolitik intensiv befasst.

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Das Afghanistan-Debakel steht unverändert im Mittelpunkt der außenpolitischen Debatte. Fragen wie die Evakuierung von ehemaligen deutschen Ortskräften und gefährdeten Iranern, die künftige Politik gegenüber den Taliban und die Konsequenzen der westlichen Niederlage sind zentral für unsere außenpolitische Glaubwürdigkeit. Sie müssen uns intensiv beschäftigen. Dies sollte jedoch nicht von den Gefahren einer möglicherweise unmittelbar bevorstehenden neuen Krise um das iranische Nuklearprogramm ablenken. Die Debatten dieser Woche im Gouverneursrat der IAEO, der Internationalen Atomenergie-Organisation, werden eine klare Positionierung Deutschlands und Europas zu den Bemühungen um eine Wiederbelebung des Nuklearabkommens mit Iran erfordern.

Dieses Abkommen, das 2015 von den sogenannten E3+3 (Deutschland, Frankreich, Großbritannien, USA, Russland, China) nach zwölfjährigen intensiven diplomatischen Bemühungen abgeschlossen wurde, hat das Ziel, eine Nuklearbewaffnung Irans zu verhindern und die zivilen Aktivitäten Irans im Nuklearbereich einer strikten Kontrolle zu unterwerfen. Das Abkommen wurde von Präsident Trump 2018 – trotz Einhaltung durch den Iran – einseitig gekündigt. Die Kündigung zeugt – hier gibt es Parallelen zum Trump-Abkommen mit den Taliban vom Februar 2020 zum Abzug der US-Streitkräfte aus Afghanistan – von naiv-ignoranter Arroganz und einer Missachtung der europäischen Verbündeten, die sich für die Aufrechterhaltung des Abkommens ausgesprochen haben, jedoch nicht gehört wurden.

Wer macht den ersten Schritt?

Iran hat von Mai 2019 an unter dem Eindruck der Wiedereinsetzung und Verabschiedung neuer Sanktionen durch die US-Administration schrittweise einige wichtige Verpflichtungen aus dem Abkommen ausgesetzt. Zur Rechtfertigung hat es sich auf eine explizite Bestimmung des Nuklearabkommens berufen, in der es sich bei Verhängung von neuen Sanktionen diesen Schritt ausdrücklich vorbehält. Im Ergebnis haben wir heute eine deutlich verschlechterte Lage: Iran ist insbesondere durch Fortschritte in der Urananreicherung einer Nuklearwaffenoption einen großen Schritt näher gekommen.

Der amerikanische Präsident Joe Biden hat sich schon vor seiner Wahl für eine Rückkehr zum Nuklearabkommen mit dem Iran ausgesprochen. Leider ist es jedoch nicht gelungen, dies noch während der Amtszeit des moderaten iranischen Präsidenten Rohani zu erreichen. Es lag nicht allein an Teheran. So forderten die USA von Iran, den ersten Schritt zu tun und ihre Verletzungen des Abkommens rückgängig zu machen; demgegenüber verlangte Iran zunächst die Aufhebung der von Trump wiedereingeführten und neuen Sanktionen. Zudem forderten die Vereinigten Staaten eine Verpflichtung Irans auf Verhandlungen zu seinem Raketenprogramm und zu seiner problematischen Rolle im regionalen Kontext – beides besorgniserregende Punkte. Iran hatte allerdings schon in den beiden Jahrzehnten zuvor Verhandlungen darüber kategorisch abgelehnt.

Raisis Absichten bleiben unklar

Der seit langem absehbare Amtsantritt des ultrakonservativen iranischen Präsidenten Ebrahim Raisi am 4. August bedeutet eine Zäsur. Er hat sich zwar für die Rückkehr zum Nuklearabkommen ausgesprochen, jedoch bleiben seine Absichten unklar. Die iranische Regierung hat erklärt, erst in zwei bis drei Monaten zu neuen Verhandlungen bereit zu sein. Die ersten Einlassungen der neuen iranischen Regierung versprechen nichts Gutes. So zeigte sich die Regierung Raisi – das belegen die jüngsten dem IAEO-Gouverneursrat vorliegenden Berichte – wenig kooperativ bei der Klärung neuer offener Fragen zum iranischen Nuklearprogramm und bei der Gewährleistung lückenloser Überprüfung durch die IAEO. Die von IAEO-Generaldirektor Grossi am 12. September erreichte Lösung zu letztem Punkt gewährt allenfalls eine Atempause (zwar wird die Überwachung der iranischen Nuklearanlagen technisch weiterhin gewährleistet, den IAEO-Inspektoren wird jedoch der Zugang zu den erhobenen Daten verwehrt).

Es bestehen beträchtliche Hindernisse für die Wiederbelebung des Nuklearabkommens mit Iran. Da gibt es die bereits genannten beiden Fragen, die auch in den bis Juni laufenden indirekten Verhandlungen der USA mit der Vorgängerregierung unter Präsident Rohani nicht geklärt werden konnten. Hinzu kommen andere Hürden, etwa die iranische Forderung nach (kaum realisierbaren) Garantien, dass die USA nicht erneut vom Abkommen zurücktreten, der Umfang der Sanktionsrücknahme durch die Amerikaner (nicht alle Sanktionen sind mit den iranischen Nuklearaktivitäten begründet), die Auswirkungen einer Befassung des US-Kongresses, die Einschätzung der Situation nach dem amerikanischen Abzug aus Afghanistan und der geopolitischen Rahmenbedingungen, mögliche Eskalationswirkungen des „Schattenkriegs“ insbesondere zwischen Israel und Iran. Es besteht damit für alle Beteiligten ein weites Feld für Fehlkalkulationen zum Verhandlungsspielraum.

Biden will sich keine Schwäche leisten

Schließlich dürfte auch der Verlust der Dynamik nach Ende der Gespräche mit der Regierung von Rohani im Juni ein Problem sein. Schon gibt es von amerikanischer Seite erste Erklärungen, dass die Zeit für die Rückkehr zum Nuklearabkommen langsam auslaufe. Eine solche Perspektive darf jedoch angesichts der denkbaren Alternativen zu einem Nuklearabkommen nicht einfach hingenommen werden.

Ein iranisches Nuklearwaffenprogramm würde von den USA keinesfalls akzeptiert werden. Präsident Biden hat dies auch gegenüber dem israelischen Premierminister Naftali Bennett bei dessen Antrittsbesuch am 27. August in Washington unzweideutig erklärt. Nach dem Afghanistan-Debakel wird sich Biden (auch angesichts der im November nächsten Jahres anstehenden Halbzeitwahlen zum US-Kongress) keine Schwäche leisten wollen. Wenn es kein verifizierbares Nuklearabkommen mit Iran gibt, so ist die Zahl der relativ schnell wirkenden alternativen Handlungsoptionen gering: Neben der Verschärfung von Sanktionen kommt sehr schnell eine militärische Option in den Blick, die offenbar in Israel favorisiert wird. Allerdings hätte die Ausübung einer militärischen Option beispielsweise in Form von Luftschlägen gegen die iranischen Nuklearanlagen unkalkulierbare Folgen für die gesamte Nah- und Mittelostregion.

Verhandlungsbereitschaft und Sanktionsdruck

Derartige Aussichten sollten besonders die E3 auf den Plan rufen. Sie haben bereits 2003 nach Aufdeckung der iranischen Anreicherungsaktivitäten – zu Zeiten, in denen die USA Iran zur „Achse des Bösen“ zählten und einen „regime change“ anstrebten – mutig eine diplomatische Lösung durch Verhandlungen mit Iran initiiert. Als akzeptierte „Brückenbauer“ im Rahmen der E3+3 könnten sie jetzt zusammen mit dem Hohen Repräsentanten der EU für Außen- und Sicherheitspolitik auf eine rasche Rückkehr zum Nuklearabkommen mit Iran ohne unnötiges „Draufsatteln“ hinwirken. Allerdings müsste diese Initiative gründen auf einer konsequenten Doppelstrategie, bestehend aus Verhandlungsbereitschaft und glaubhaftem Sanktionsdruck bei iranischer Verhandlungsverweigerung.

Nicht zuletzt sollte die Bewahrung des Verhandlungsformats der E3+3 auch über den Iran-Kontext hinaus angesichts der zunehmenden Großmächterivalität ein besonderes westliches Anliegen sein.

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