Nordkorea - „Die Pattsituation muss überwunden werden“

Um den Konflikt mit Nordkorea zu entschärfen, seien Sanktionen nicht der richtige Weg, sagt der Sicherheitsforscher Oliver Meier im Interview. Doch auch das diktatorische Regime habe dann Pflichten zu erfüllen

„Man muss sich darauf einstellen, dass Nordkorea atomwaffenfähig ist“ / picture alliance
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Bastian Brauns leitete das Wirtschaftsressort „Kapital“ bei Cicero von 2017 bis 2021. Zuvor war er Wirtschaftsredakteur bei Zeit Online und bei der Stiftung Warentest. Seine journalistische Ausbildung absolvierte er an der Henri-Nannen-Schule.

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Herr Meier, weder die einstimmig beschlossenen UN-Sanktionen, noch die martialischen Worte von US-Präsident Trump beeindrucken offenbar das Regime in Nordkorea. Es erscheint inzwischen als realistisches Szenario, dass es seine Atomwaffen einsetzen könnte. Müssen wir lernen, die Bombe zu akzeptieren?
In der Tat. Aber akzeptieren kann ganz verschiedenes bedeuten. Am einen Ende des Spektrums der Interpretation hieße es, dass man davon abrückt, die nukleare Abrüstung Nordkoreas als zwingende Voraussetzung für Verhandlungen zu machen. Am anderen Ende hieße akzeptieren, dass Nordkorea mit allen Konsequenzen als Atomwaffenstaat anerkannt wird. Dazwischen bewegt sich die Frage, wie wir mit Nordkorea als faktischem Atomwaffenbesitzer umgehen.

Auch ein „damit umgehen“ kann verschiedenes bedeuten. Was hieße das für die militärische und was für die diplomatische Ebene?
Militärisch muss man sich darauf einstellen, dass Nordkorea atomwaffenfähig ist und nukleare Vergeltungen gegen Südkorea, Japan und – seit dem Test Anfang August nicht mehr auszuschließen – auch gegen die USA üben könnte. Politisch bestehen Südkorea und Japan aber beispielsweise darauf, dass man von dem Ziel der Denuklearisierung Nordkoreas nicht ablassen darf. Dies sollte aus Sicht dieser Staaten das zumindest langfristige Ziel bleiben.

Aber um wieder ins Gespräch zu kommen, müssen wir zunächst den nuklearen status quo Nordkoreas akzeptieren?
In gewisser Weise ja. Die USA sagen bislang, sie seien erst zu Gesprächen bereit, wenn Nordkorea bereit sei, über nukleare Abrüstung zu sprechen. Diese Haltung führt aber offensichtlich nicht zum Ziel. Nordkorea sendet seit 2011 auf allen Kanälen die Botschaft, dass es nicht bereit ist, über Abrüstung zu reden. Der Staat nimmt die Position ein: Wir sind ein verantwortungsvoller Atomwaffenstaat, wie alle acht anderen Atomwaffenbesitzer auch. Sie haben das sogar in ihre Verfassung geschrieben.

Das klingt nach einer ausweglosen Situation.
Diese Pattsituation muss überwunden werden. Der Partner, den Nordkorea auf Augenhöhe sucht, sind die USA. Es geht ihnen um Sicherheitsgarantien. Sie wollen vertraglich zugesichtert haben, nicht von den USA angegriffen zu werden. Auch einen von außen herbeigeführten Regimewechsel will Nordkorea ausgeschlossen wissen. Sehr krude hat das der US-Verteidigungsminister James Mattis formuliert. Er sagte, die US-Regierung strebe nicht an, Nordkorea auszulöschen. Das wird Nordkorea natürlich nicht reichen. Die Nordkoreaner wollen einen Friedensvertrag, der den politischen status quo auf der Halbinsel festschreibt. Nordkorea hat für sich entschieden, dass es die atomare Abschreckung als wirksamstes Mittel ansieht, nicht von den USA angegriffen zu werden.

Je weniger Atommächte desto besser. Aber müsste man tatsächlich Angst davor haben, dass Nordkorea seine Nuklearwaffen einsetzt? Das wäre doch das Ende des ganzen Landes und auch von Kim Jong-un.
Das stimmt zwar, aber obwohl dieses Argument der drohenden atomaren Auslöschung immer gilt, hatten wie im Kalten Krieg zwischen den USA und der Sowjetunion mehrfach einfach nur pures Glück, einem Nuklearkrieg entronnen zu sein. Im Fall von Nordkorea kommt hinzu, dass dieses Land extrem instabil ist. Das Regime dort verfügt über ein vergleichsweise kleines Arsenal und muss befürchten, dass die USA dieses in einem Erstschlag ausschalten. Zudem verfügen die USA über Raketenabwehrsysteme, deren Effektivität schwer einzuschätzen ist. In einer etwaigen militärischen Krise könnte Nordkorea also sehr schnell gezwungen sein, sich zu überlegen: Use it, or loose it.

Wie schlimm ist diese nordkoreanische Bedrohung dann überhaupt?
Die Gefahr der nuklearen Eskalation ist sehr groß. In einer eskalierenden militärischen Krise, in der Nordkorea verhindern will besetzt zu werden, wäre die Versuchung eben wegen der eigenen Schwäche wahrscheinlich groß, einen nuklearen Warnschuss abzugeben. Der würde vermutlich nicht über dem Meer abgegeben werden, sondern würde ein Ziel haben, das ernst genommen wird und klar macht, dass man bereit ist, weiter zu eskalieren. Wegen der begrenzten Fähigkeiten, muss das zudem schnell geschehen. Das sind die Dilemmata der nuklearen Abschreckung, die für alle Atomwaffenstaaten immer schon galten. Bei einem derart ungleichen militärischen Kräfteverhältnis sind sie noch dramatischer. 

Nordkorea steht also mit dem Rücken zur Wand und ist deswegen besonders unberechenbar?
Ja, es ist ein kleines Land mit wenigen Möglichkeiten. Sie haben außerdem atemberaubend viel von dem offengelegt, was sie besitzen und wo sie es stationiert haben. Es ist aber sicher kein Zufall gewesen, dass der letzte Raketenabschuss in der Nähe der Hauptstadt Pjöngyang stattgefunden hat. Das Signal an die USA ist dabei: Seht her, wenn ihr dieses Waffensystem ausschalten wollt, müsst ihr hohe Kolleateralschäden unter unserer Zivilbevölkerung öffentlich verantworten. Auch das ist eine sehr unangenehme Form der Abschreckung.

Also sind die USA am Zug, den status quo anzuerkennen?
Am Zug nicht. Ich will nur aufzeigen, was die Nordkoreaner sich wünschen. Aber angesichts der brisanten Situation wird der Vorschlag, zu einem Moratorium zu kommen, auf vielen Ebenen diskutiert. Bestimmte Sanktionen könnten aufgegeben werden. Im Gegenzug könnte sich Nordkorea dazu verpflichten, keine weiteren Atom- oder Raketentests zu machen, das Atomwaffenprogramm nicht noch weiter auszubauen und vor allem keine Lieferungen nordkoreanischer Nuklearfähigkeiten an Drittstaaten auszuliefern. Diese letztere Gefahr ist angesichts mangelnder anderer Einnahmequellen des Landes besonders groß.

Das heißt aber, man ließe die bereits bestehende Gefährlichkeit Nordkoreas durchgehen.
Ja, aber man kann auf verschiedenen Ebenen handeln. Bilateral könnten sich die USA mit Nordkorea beispielsweise darauf einigen. Auf der Ebene der UN und des UN-Sicherheitsrates muss aber die langfristige Denuklearisierung Nordkoreas fester Bestandteil bleiben. Hier die richtigen Formulierungen zu finden, ist die komplexe, diplomatische Aufgabe. Es gibt also kein schwarz oder weiß. Man muss die diplomatischen Varianten, wenngleich sie sich verändert haben, nutzen.

China spielt eine wichtige Rolle in diesem Konflikt. Ist es eigentlich vorstellbar, dass die chinesische Regierung hier bewusst gegen die USA interveniert, um deren Position im Pazifikraum zu schwächen?
Das ist schwer vorstellbar. Die Chinesen haben kaum noch Kontrolle über Nordkorea. Die Chinesen sind gelinde gesagt, extrem genervt. Nordkorea grenzt außerdem direkt an sie. Würde hier atomare Strahlung freigesetzt werden, wäre auch China unmittelbar betroffen. Aber klar ist, dass es extrem kompliziert ist, mit mehreren, so unterschiedlich ausgestatteten Atomwaffenmächten zu einer Lösung zu kommen, ohne dass etwas schief geht. Das war schon zu Zeiten des Kalten Krieges mit nur zwei Mächten ein schwieriger Lernprozess. Wir haben mit Kim Jong-un einen politischen Führer, der extrem unerfahren ist und höchstwahrscheinlich wenig Kritik bekommt. Zugleich regiert in den USA ein Präsident, der ebenfalls sehr wenig politische Erfahrung besitzt und mit Dingen konfrontiert ist, die völlig neu für ihn sind.

 

Oliver Meier / Foto: SWP

Oliver Meier ist stellvertretender Leiter der Forschungsgruppe Sicherheitspolitik an der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in BerlinEr beschäftigt sich mit Problemen der Verbreitung von Massenvernichtungswaffen sowie Möglichkeiten der Kontrolle und Abrüstung von biologischen, chemischen und nuklearen Waffen.

 

 

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