Nord Stream 2 - Das Anti-Europa-Projekt

Nord Stream 2 steht nicht erst seit dem Giftanschlag auf Alexej Nawalny in der Kritik. Die Staaten in Nord- und Ostmitteleuropa kritisierten das Vorhaben von Beginn an. Doch die Kritik hat einen Beigeschmack.

Rohre für Nord Stream 2 liegen im Hafen Mukran auf der Insel Rügen / dpa
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Thomas Dudek kam 1975 im polnischen Zabrze zur Welt, wuchs jedoch in Duisburg auf. Seit seinem Studium der Geschichts­­wissen­schaft, Politik und Slawistik und einer kurzen Tätigkeit am Deutschen Polen-Institut arbei­tet er als Journalist.

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Wenn es um Nord Stream 2 und den Nowitschok-Anschlag auf Alexej Nawalny ging, konnte man von der Bundesregierung neuerdings eine erstaunliche Erklärung hören: Die EU habe Nord Stream 2 eine Rechtsgrundlage gegeben, weshalb es „ein europäisches und kein deutsches Projekt“ sei. Eine Aussage, die ausgerechnet von Josep Borrell, dem Hohen Vertreter der EU für Außen- und Sicherheitspolitik, diese Woche ad absurdum geführt wurde.

„Nord Stream 2 ist kein europäisches Projekt. Ich muss sagen, dass die Europäische Kommission nie einen starken Enthusiasmus für Nord Stream 2 gezeigt hat“, sagte der spanische Politiker in einem Interview mit der Financial Times. Er fügte hinzu, dass die weitere Zukunft der Gaspipeline „allein in der Hand der Deutschen liege“.

Ein europäisches Projekt?

Doch es ist nicht nur die Reaktion des EU-Politikers Josep Borrell, welche die Frage aufdrängt: Was bewegte die Bundesregierung dazu, bei Nord Stream 2 realitätsfern von einem „europäischen Projekt“ zu sprechen? Denn das angebliche europäische Projekt Nord Stream 2 gehört zu jenen Unternehmungen Deutschlands, das vor allem in Nord- und Ostmitteleuropa von Beginn an kritisiert wird.

Zu den stärksten Kritikern gehört das Nachbarland Polen. „Der einzige rationale Ausweg wäre es, das Projekt Nord Stream 2 zu den Akten zu legen“, schrieb diese Woche der polnische Ministerpräsident Mateusz Morawiecki in einem Gastbeitrag für die FAZ und begründete dies nicht nur mit dem Attentat auf Nawalny oder der „neoimperialen“ Politik Russlands. „Der Bau von Nord Stream 2 sprengt die EU-Energiepolitik von innen. Die Leitung würde Europa von russischen Gaslieferungen abhängig machen und den russischen Oligarchen eine kräftige Finanzspritze geben. Das Gefährlichste daran ist jedoch, dass Russland unter dem Deckmantel wirtschaftlicher Zusammenarbeit Einfluss auf das Verhalten eines der wirtschaftlich und politisch wichtigsten Partner in EU und Nato bekommt: auf Deutschland“, schrieb der polnische Regierungschef weiter und wiederholte damit die seit Jahren bekannten Argumente.

Morawiecki ist nicht der einzige polnische Regierungspolitiker, der sich in diesen Tagen bezüglich Nord Stream 2 zu Wort meldete. Konrad Szymański, Minister für Europaangelegenheiten, veröffentlichte auf Politico einen Beitrag, in dem er sich für das Ende der Gaspipeline ausspricht. Marcin Prydacz, Staatssekretär im polnischen Außenministerium, forderte wiederum in einem Interview mit der Berliner Zeitung von Deutschland mehr Entschlossenheit gegenüber Russland und somit ein Ende von Nord Stream 2.

Lagerübergreifende Einigkeit in Polen

Wie stark die Ablehnung Polens gegen Nord Stream 2 ist, zeigen aber nicht nur die aktuellen Wortmeldungen polnischer Regierungspolitiker. Als die Sanktionsdrohungen der USA gegen die Gaspipeline immer lauter wurden, machte man in Warschau aus seiner Freude und seiner Hoffnung auf das Ende des deutsch-russischen Projekts kein Geheimnis. Und es wäre falsch, die Ablehnung nur auf die antideutschen Marotten und die Begeisterung der Nationalkonservativen für US-Präsident Donald Trump zurückzuführen.

Nord Stream 2 ist eines der wenigen Themen, bei dem in dem ansonsten politisch tief gespaltenen Land Einigkeit herrscht. Seit 2014 haben die Kritiker von Nord Stream 2 ein weiteres Gegenargument bekommen: Die Ukraine. Kritiker fürchten, dass durch die Ostseepipeline die ehemalige Sowjetrepublik als wichtiges Transitland für russisches Gas an Bedeutung verliert, was Putin ermutigen könnte, nach der Annexion der Krim und dem verdeckten Krieg im Donbass das Land endgültig zu destabilisieren oder gar militärisch zu besetzen. Eine Sorge, die auch Kiew teilt. Zudem ist das in einer Wirtschaftskrise befindliche Land auch von den Einnahmen aus den Transitgebühren abhängig.

Ein weiteres EU-Mitgliedsland, wo man derzeit bezüglich der Gaspipeline mit Neugier nach Berlin schaut, ist Litauen. „Natürlich beobachten wir die hierzulande geführte Debatte um die Zukunft von Nord Stream 2“, sagt gegenüber Cicero Darius Semaška, Litauens Botschafter in Deutschland. „Und natürlich haben wir die Hoffnung, dass dieses Projekt nicht vollendet wird“, so der Diplomat des baltischen Staates weiter.

Geschäfte mit Gazprom bedeuten Geschäfte mit dem Kreml

Denn auch Litauen gehört zu den nord- und ostmitteleuropäischen Staaten, die sich von Beginn an gegen die umstrittene Pipeline ausgesprochen haben. „Litauen hat Deutschland in den vergangenen Jahren seinen kritischen Standpunkt mitgeteilt“, sagt Semaška weiter. Und diesen begründet der kleine Staat, dessen Unabhängigkeit von der Sowjetunion 1991 die Bundesrepublik anerkannte, nicht nur mit eigenen historischen Erfahrungen mit Russland und dem Verweis auf die Ukraine.

„Auch wenn Nord Stream 2 ein wirtschaftliches Projekt ist. Aber die an Nord Stream 2 beteiligten Unternehmen machen hier Geschäfte mit dem staatlichen Konzern Gazprom. Somit auch indirekt mit dem Kreml, der durch solche wirtschaftlichen Projekte die Möglichkeit bekommt, seine Themen in der europäischen Öffentlichkeit zu positionieren“, erklärt Semaška. Als Beispiel solcher Lobbyarbeit nennt der litauische Botschafter den Ost-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft.

„Bei manchen seiner Kommentare könnte man glauben, dass in Deutschland Tausende Arbeitsplätze von den wirtschaftlichen Beziehungen zu Russland abhängig seien. Dabei gehen dorthin gerade mal zwei Prozent aller deutschen Exporte. Da sind andere Staaten für die deutsche Wirtschaft viel wichtiger“, erläutert der Diplomat weiter, der noch auf eine weitere Gefahr hinweist: „Solche Einflussnahme, verbunden mit Falschmeldungen, nutzt der Kreml auch, um Unruhe zwischen Partnern zu stiften.“ Als Beispiel nennt Semaška die angebliche Vergewaltigung eines minderjährigen Mädchens, die 2017 in Litauen stationierte Bundeswehrsoldaten begangen haben sollen. Laut der NATO soll es sich dabei um eine von Russland gesteuerte Desinformationskampagne gehandelt haben.

Litauen und Polen machen sich unabhängig von russischem Gas

Litauen gehört zu jenen Staaten, die ihrer Kritik Taten haben folgen lassen. Das Land, das bis vor einigen Jahren bei Gas- und Stromlieferungen zu 100 Prozent von Russland und zum Teil Belarus abhängig war, hat 2015 vor Klaipeda ein Terminal für Flüssiggas in Betrieb genommen. Dieses bietet ausreichend Kapazität, um 90 Prozent des Bedarfs im gesamten Baltikum abzudecken. Zudem hat der baltische Staat sich vor zwei Jahren das imposante Ziel gesetzt, bis 2050 100 Prozent seines Stroms selbst zu erzeugen. 80 Prozent sollen davon aus regenerativen Energiequellen stammen.

Und auch Polen macht sich von russischen Gaslieferungen immer unabhängiger. Dabei setzt es nicht nur auf Flüssiggas, sondern auch auf die Baltic Pipe. Bis 2022, wenn der Vertrag zwischen Polen und Gazprom ausläuft, soll diese fertiggestellt werden und das Land an der Weichsel von Dänemark aus mit norwegischem Gas versorgen. Sollte Nord Stream 2 nicht fertiggestellt werden, könnte Polen durch diese Pipeline zu einem wichtigen Energiedrehpunkt werden. Doch von russischen Rohstoffen würde sich das Land dennoch nicht unabhängig machen. Der wichtigste Importeur für die von Kohle abhängige polnische Energiewirtschaft, die sich größtenteils in der Hand staatlicher Konzerne befindet, ist ausgerechnet Russland.

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