Giftanschlag auf Nawalny - Die Suche nach den Hintermännern

Nachdem Mediziner der Charité festgestellt haben, dass Alexej Nawalny mit einem Nervenkampfstoff aus der Familie Novichok vergiftet worden ist, beginnt die Spekulation über Täter und Hintermänner. Wer hat Zugang zu dem tödlichen Gift?

Der russische Oppositionelle Alexei Nawalny / dpa
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Autoreninfo

Mark Galeotti ist Historiker und einer der besten Kenner russischer Sicherheitspolitik. Der 55 Jahre alte Brite unterrichtet an der School of Slavonic and East European Studies am University College in London und ist Senior Research Fellow am Royal United Services Institute. Galeotti hat zahlreiche Bücher über Russland verfasst. / Foto: Signe

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Es ist die Nachricht der Stunde:  Die Ärzte von Alexej Nawalny an der Charité in Berlin behaupten, der russische Oppositionelle sei von einem Nervengift aus der Familie Novichok vergiftet worden. Nun bin ich kein Toxikologe, aber ich erinnere mich natürlich daran, dass zur Zeit der Skripal-Affäre darauf hingewiesen wurde, dass der damals verwendete Wirkstoff militärischer Herkunft gewesen sei. Mit anderen Worten: Es wurde eindeutig ausgeschlossen, dass er in einem provisorischen Schullabor oder in einem Schuppen von irgendeinem Kauz hergestellt worden sein könnte. Das Gift stammte aus einer ausgewählten, sterilen und professionellen Einrichtung. 

Proben von Skripal

Natürlich werden die Ärzte an der Charité Proben aus dem Haus von Skripal und von der berüchtigten Parfümflasche für ihre Bestimmung zur Verfügung gehabt haben. Es würde mich interessieren, ob es im Fall von Nawalny überhaupt möglich gewesen wäre, die gleiche Analyse allein auf Grundlage der körperlichen Schädigungen des Patienten vorzunehmen.

Nun ist es aber nicht notgedrungen so, dass allein der Nachweis, das Gift sei von ähnlicher Reinheit und Güte wie im Fall Skripal, auch zweifelsfrei beweist, dass der Kreml hinter dem Anschlag auf Nawalny steht. Für die richtigen Leute, für die sich das Maß ihres Reichtums und ihrer Macht entgegengesetzt zum Ausmaß ihrer Skrupel verhält, ist es wohl leider so, dass ihnen nahezu alles zugänglich ist, was sie für ihre Taten benötigen. Aber das heißt im Umkehrschluss eben auch, dass man in genau diesen Kreisen der Reichen und Mächtigen suchen muss, um die Hintermänner und Täter zu finden. Kein örtlicher FSB-Offizier oder Bürgermeister wäre in der Lage gewesen, ein solches Nervengift zu beziehen.

Angriff aus dem inneren Kreis

Stattdessen wird der Täter Zugang zu den Nachfolgern der alten sowjetischen Giftlabore haben (man nimmt an, dass der Auslandsnachrichtendienst SVR die einstigen Labore des KGB geerbt hat). Es würde mich aber auch nicht wundern, wenn der FSB längst ein Pendent zu diesen hätte.

Andererseits sind die Vertuschungsversuche der Regierung und ihre Entschlossenheit bei der Feststellung, dass gar kein Verbrechen stattgefunden habe, ungewöhnlich. Sie sind ein starker Hinweis darauf, dass der Angriff entweder vom Kreml selbst befohlen wurde (was meiner Meinung nach immer noch das unwahrscheinlichere Szenario ist) oder aber auf jemanden zurückzuführen ist, der Putin nahe zu stehen scheint, zu seinen Kreisen zählt oder derart systemrelevant ist, dass er nicht zur Rechenschaft gezogen werden kann. Ähnliches konnte man zuvor bereits bei Boris Nemzow und, auf andere Weise, bei Alexej Uljukajew beobachten. Vielleicht ist Putin nicht unbedingt glücklich mit dem, was diese Kreise tun, aber wenn er das Gefühl hat, dass er sie braucht oder dass sie gar zu seinem engsten Freundeskreis zählen könnten, dann dürften diese Menschen vermutlich sogar mit (versuchtem) Mord davonkommen.
 

Mark Galeotti betreibt einen Blog unter https://inmoscowsshadows.wordpress.com/

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