Nato und Deutschland - Amerikanische Kraftmeierei, deutsche Unterwürfigkeit

Auf dem Nato-Jubiläumsgipfel wurde Deutschland erneut unter Druck gesetzt, sich dem Zwei-Prozent-Ziel anzunähern. Doch sollten wir uns nicht von der schrillen Kritik von US-Präsident Donald Trump beeindrucken lassen. Denn auch Deutschland hat erhebliche Beiträge zur Sicherheit Europas geleistet

Heiko Maaß beteuerte, Deutschland würde sein Wort halten / picture alliance
Anzeige

Autoreninfo

Frank Elbe war deutscher Botschafter in Polen und Indien sowie Leiter des Planungsstabes im Auswärtigen Amt. Als Rechtsanwalt betreut er heute Mandanten aus allen Teilen der Welt, auch aus Russland.

So erreichen Sie Frank Elbe:

Anzeige

Im Jahr 2019 hat die Nato das Ziel erneut bekräftigt, dass jedes Mitgliedsland bis zum Jahr 2024 mindestens zwei Prozent seines Bruttoinlandsprodukts in die Verteidigung investiert. Um es vorwegzunehmen: Es gehört zur Loyalität eines jeden Bündnispartners Verabredungen, auch wenn sie nicht rechtsverbindlich sind, zu beachten. Das gilt umso mehr, wenn sich seine Streitkräfte in einem derart maroden, nur bedingt einsatzbereiten Zustand befinden, wie das im Fall der Bundeswehr gegeben ist. Florian Keisinger hatte deswegen gefordert, dass Deutschland und Europa mehr in ihre Verteidigung investieren sollten

Wir lösen die Probleme allerdings nicht, wenn wir uns von der schrillen Kritik beeindrucken lassen, mit der die amerikanische Regierung Deutschland gegenwärtig traktiert. Deutschland schulde der Nato „riesige Summen“, erklärte Donald Trump auf Twitter. Sein Land gewähre Deutschland eine mächtige und teure Verteidigung. Diese müsse bezahlt werden. Vize-Präsident Mike Pence nannte Deutschlands Verhalten auf dem Nato-Jubiläumsgipfel „inakzeptabel“.

Ignoranz gegenüber Deutschlands Leistungen

Die polemische Kraftmeierei der USA gegen die Bundesregierung ist nicht nur wegen der verbalen Injurien peinlich. Sie ignoriert, dass bis zum Fall der Berliner Mauer Deutschlands potentiell primäres Schlachtfeld eine Auseinandersetzung mit dem Warschauer Pakt war und die Bundeswehr mit 500.000 Mann - bei einem Mobilisierungsumfang von 1,3 Millionen aktiven Soldaten oder Reservisten - den höchsten militärischen Beitrag zur Verteidigung des Westens getragen hätte.

Unsere amerikanischen Freunde übersehen auch den Beitrag, den Deutschland nach seiner Wiedervereinigung wirtschaftlich geleistet hat, um die Lage in Mitteleuropa zu stabilisieren. Nach der Wiedervereinigung Deutschlands und der Auflösung des Warschauer Paktes entstand in Mitteleuropa ein prekäres Sicherheitsrisiko durch das Nebeneinander von unterschiedlichen Zonen, solchen von Wohlstand und Armut, von Entwicklung und Stagnation und von Stabilität und Instabilität. Keine andere europäische Nation hat einen vergleichbar hohen finanziellen Beitrag geleistet, um das Gefälle abzubauen. Das betraf die Kosten für den Aufbau Ost einschließlich der Finanzierung des Abzugs der sowjetischen Truppen aus der DDR, die bilaterale Unterstützung unserer östlichen Nachbarn und die finanzielle Beteiligung an den Leistungen der Europäischen Union, sowie mutige Investitionen der deutschen Wirtschaft. Wenn die USA Deutschland in den Senkel stellen wollen, sollten sie vorher überlegen, ob sie uns nicht eigentlich Respekt schulden.

Aufrüstung ohne Sicherheitspolitik sinnlos

Unsere amerikanischen Partner scheinen auch vergessen zu haben, dass im nuklearen Zeitalter Ausgaben für Rüstung allein den Frieden nicht sichern können. Es bedarf vielmehr eines Verständigungswillen, internationaler Dialogbereitschaft, Beachtung des Völkerrechts und vor allem den Respekt vor der seit Jahrzehnten bewährten Sicherheitsstrategie der Nato, die auf ein Nebeneinander von adäquater militärischer Sicherheit und einer Politik, der Entspannung, Zusammenarbeit und Abrüstung setzt. Deren Beachtung hat es ermöglicht, den Fall der Berliner Mauer herbeizuführen, ohne einen einzigen Schuss abzufeuern.

Wir haben ein Problem mit den USA, dass sie sich an diese Phase einer erfolgreichen Sicherheitspolitik nicht mehr erinnern wollen oder können. Die USA betrachten Russland gegenwärtig ausschließlich als einen Gegner, den es auszugrenzen gilt. Das kollidiert mit unseren Interessen. Sie verstehen die Ukrainekrise als einen Konflikt, indem es um die Sicherung beziehungsweise die Erweiterung von Interessensphären geht. Das macht ihn zu einem Stellvertreterkrieg auf europäischem Boden. Der konservative Historiker Michael Stürmer hat in der Welt vom 4. April 2019 darauf hingewiesen, dass sich das Bündnis mit der Osterweiterung der Nato auf eine Politik – maßgeblich getrieben von amerikanischer Innenpolitik und dem Interesse der Rüstungsindustrie – eingelassen habe, deren politische Kosten noch immer steigen.

Mehr Selbstbewusstsein wagen

Die Bundesregierung – wohl auch als eine Folge einer neuen Generation – handelt bemerkenswert unsicher im Umgang mit Russland und Amerika. Das Verständnis im Umgang mit Russland, aber auch mit den USA ist ihr abhandengekommen. Bundesaußenminister Heiko Maas hat versichert, dass Deutschland seine Nato-Zusage für eine Steigerung der Verteidigungsausgaben in Richtung zwei Prozent der Wirtschaftsleistung einhalten wird. „Man muss sich an Dinge halten, die man vereinbart hat“. Das ist im Prinzip richtig. Dennoch: devoter kann man sich kaum verhalten. 2014, als die Festlegung auf zwei Prozent vereinbart wurde, bestanden berechtigte Aussichten, dass in absehbarer Zeit eine politische Lösung der Ukrainekrise erreicht werden könnte. Diese Hoffnung hat sich nicht erfüllt, weil die USA den Konflikt eher versteinern, als lösen wollte.

Deutsche Interessen im Umgang mit den USA einzubringen, erfordert einen substanziellen Dialog auf hoher politischer Ebene, bilateral oder im Bündnis. Es geht um zwei wesentliche Fragen: Welche Verbindlichkeit hat die sicherheitspolitische Doktrin des Harmel-Berichtes von 1967 heute noch für die Nato und wie schätzen die Partner die behauptete Veränderung der Bedrohungslage ein? Eine Erhöhung der Rüstungsausgaben wäre ebenso denkbar wie ihre Reduzierung, wenn die Einschätzung der Bedrohung es rechtfertigt. Eine solche Analyse kann nur in einem verantwortlichen Prozess erreicht werden. Es geht nicht an, dass die USA ihren Bündnispartnern fortgesetzt einfach nur ihre eigenen Bewertungen diktieren. Dazu waren die sicherheitspolitischen Einschätzungen der USA in der Vergangenheit häufig zu fehlerhaft.

In Zukunft getrennte Wege?

Wenn die Bundesregierung – wie Außenminister Maas – zusagt, das Zwei-Prozent-Ziel erfüllen zu wollen, überblickt er die politische Tragweite seiner Äußerung nicht: bei einer Umsetzung der Nato-Zielvorgabe würde Deutschland aufgrund seines hohen BIP bei Erreichen dieses Ziels mehr für Rüstung ausgeben als Russland. Für eine solche Zusage ist der Zeitpunkt völlig verfehlt. Sie würde missverstanden werden und trüge nur zur weiteren Verschärfung der Lage bei. Das mag im amerikanischen Interesse liegen, aber nicht im europäischen.

Sollte sich herausstellen, dass die Amerikaner nicht mehr bereit sind, auf dem Boden der gemeinsamen Nato-Politik zu stehen, würde sich für Deutschland eine Schicksalsfrage stellen: Ob wir überhaupt noch in einem Bündnis bleiben können, das die Zusammenarbeit mit Russland verweigert, beziehungsweise dessen Ausgrenzung anstrebt.

Anzeige