Muslimbrüder, Hamas und Dschihadisten - Die gefährlichen Verbündeten der Türkei

Die Bundesregierung geht davon aus, dass die türkische Führung unter Präsident Erdogan eine bewusste Zusammenarbeit mit islamistischen Organisationen im Nahen Osten pflegt. Das sorgt in Deutschland für Wirbel. Dabei geht die Türkei schon seit Jahren Bündnisse mit fragwürdigen Partnern ein

Hamas-Führer Ismail Haniyeh und der türkische Präsident Erdogan im Januar 2012 / picture alliance
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Martin Gehlen ist Journalist und berichtet aus der arabischen Welt.

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Oberstes Kriegsziel Ankaras in Syrien war stets der Sturz von Bashar al-Assad. Jahrelang duldete die Türkei die Einreise von Dschihadisten aus aller Welt in das kriegsversehrte Nachbarland. Jeder, der gegen den Diktator von Damaskus kämpfen wollte, war willkommen. Die 100 Kilometer lange Grenze zwischen dem „Islamischen Kalifat“ und dem Nato-Mitglied war praktisch offen, der Schmuggel von Waffen, Geld, Antiquitäten und Lebensmitteln einfach.

Ankara begann erst umzusteuern nach den vier Terroranschlägen des „Islamischen Staates“ in Istanbul. Der bisher letzte, auf den Flughafen, forderte 45 Tote. Seitdem wurden durchreisende Gotteskrieger abgefangen und abgeschoben. Nach dem russisch-türkischen Versöhnungsgipfel in St. Petersburg bot der türkische Ministerpräsident Binali Yildirim Moskau erstmals sogar eine Kriegsallianz gegen den IS an. Ähnlich schwankend ist auch das Verhältnis Ankaras zur Al-Nusra-Front, die sich Ende Juli offiziell von Al Qaida lossagte und im Westen als Terrororganisation gilt. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan dagegen nahm die Dschihadisten kürzlich in einem Interview ausdrücklich in Schutz. „Angesichts der Tatsache, dass die Al-Nusra-Front auch gegen den IS kämpft, sollte sie nicht als Terrororganisation eingestuft werden“, erklärte er.

Verbindung zur Hamas führt zum Zerwürfnis mit Israel

1950 erkannte Ankara als erster islamischer Staat die Existenz Israels an und pflegte über Jahrzehnte ein gutes Verhältnis zu Tel Aviv. Israelische und türkische Truppen hielten regelmäßig gemeinsame Manöver ab. Im Mai 2008 begann die Türkei sogar, indirekte Friedensgespräche zwischen den beiden benachbarten Erzfeinden Israel und Syrien zu vermitteln. 2007 übernahm die Hamas im Gazastreifen die Macht, danach folgten 2009 und 2012 zwei verheerende Kriege zwischen den Islamisten und Israel. Ausgelöst durch die unverhältnismäßig brutalen israelischen Luftangriffe begann sich in der politischen Führung der Türkei das Blatt zu wenden. 2010 brachte die israelische Marine eine türkische Hilfsflotte auf. Diese hatte die Seeblockade der palästinensischen Enklave brechen wollten. Dabei starben neun türkische Aktivisten. Das löste eine sechsjährige diplomatische Eiszeit aus.

Erst vor zwei Monaten wurde die Krise mit einem Kompromiss beigelegt. Allerdings muss das türkische Parlament diesen noch ratifizieren. Danach bleibt die Blockade des Gazastreifens durch Israel bestehen, die Türkei kann jedoch künftig humanitäre Hilfe für die 1,5 Millionen eingepferchten Bewohner leisten. Lieferungen aus der Türkei müssen im Hafen von Aschdod gelöscht und von dort auf dem Landweg nach Gaza transportiert werden. Obendrein will Israel den Opfern und ihren Angehörigen 20 Millionen Dollar Schadensersatz überweisen. Im Gegenzug verpflichtet sich die Türkei, alle laufenden und künftigen Klagen gegen israelische Soldaten zurückzuziehen.

Schwieriges Verhältnis zu Ägypten nach Sturz der Muslimbrüder

Türkische Staatschefs machten um Ägypten, dem traditionellen Hauptrivalen im Ringen um die machtpolitische Vorrangstellung im Nahen Osten, stets einen großen Bogen. 15 Jahre lang herrschte Funkstille, bis Hosni Mubarak schließlich vom Arabischen Frühling hinweggefegt wurde. Danach ließ sich Recep Tayyip Erdogan 2011 und 2012 gleich zweimal in Kairo blicken. Mit der Wahl Mohammed Mursis zum ägyptischen Staatschef wurde das Verhältnis rasch enger. Ankara empfing den Muslimbruder im September 2012 zu einem pompösen Staatsbesuch und sagte ihm zwei Milliarden Euro als Finanzhilfen zu. Katar steuerte weitere fünf Milliarden bei. Beim Gegenbesuch in Kairo hatte Erdogan zehn Minister und 350 türkische Geschäftsleute in seinem Tross, die sich von dem politischen Neuanfang auch eine Belebung der dümpelnden Handelsbeziehungen erhofften.

Und so traf Ankara der Sturz Mursis im Juli 2013 durch das Militär wie eine kalte Dusche. Wütend beschuldigte Erdogan Israel, hinter dem Putsch zu stecken. Tel Aviv wies das als „absurd“ und Washington als „anstößig, unbegründet und falsch" zurück. Mit der neuen ägyptischen Führung unter Ex-Feldmarschall Abdel Fattah al-Sissi liefert sich Erdogan seitdem regelmäßig heftige Wortgefechte. Erdogan prangerte vor allem die drakonische Unterdrückung der Muslimbrüder an. Zuletzt jedoch gab es wie bei Israel auch bei Ägypten wieder sanftere Töne. Man könne sich vorstellen, das Verhältnis zurück in normale Bahnen zu lenken, hieß es aus Ankara. Voraussetzung aber sei, dass das Todesurteil gegen Mursi nicht vollstreckt werde.

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