Münchener Sicherheitskonferenz - Nervöse Welt

Unsere Autoren nehmen seit 20 Jahren an der Münchener Sicherheitskonferenz teil, aber dieses Jahr bemerkten sie, dass etwas Beängstigendes in der Luft lag. Eine persönliche Bilanz

Sebastian Kurz spricht auf der Münchener Sicherheitskonferenz / picture alliance
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Christian Hacke ist Politikwissenschaftler und lehrte als Professor an der Universität der Bundeswehr Hamburg und an der Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn.

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Andreas Bachmann ist Journalist und arbeitet für den Bayerischen Rundfunk.

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Mit Spannung erwartete man diesmal in München, wie die Welt auf ein Jahr „America First“ reagieren würde. Präsident Donald Trump war in München der weiße Elefant – abwesend, aber trotzdem präsent. Weil sein Auftreten international irritiert, bemühten sich gerade die amerikanischen Teilnehmer, ihren Präsidenten möglichst wenig zu erwähnen, um stattdessen die Kontinuität der amerikanischen Außenpolitik zu betonen. Als der Nationale Sicherheitsberater General Herbert Raymond McMaster das Nato-Bündnis und die gemeinsamen transatlantischen Werten bekräftigte, so blieb das unwidersprochen; doch als er Beweise für eine russische Einmischung in den Wahlkampf erwähnte, wurde er von Präsident Trump per Twitter zurückgepfiffen. Viele fragten sich deshalb auch in München: was sind die Äußerungen der amerikanischen Politiker wert, wenn sie, wie so oft, aus dem Weißen Haus konterkariert werden?

Nordkorea bleibt derzeit das internationale Sorgenkind. Vor allem die Amerikaner forderten den Verzicht Pjöngjangs auf seine Atomwaffen. Doch heizt diese illusionäre Forderung die Krise nicht noch weiter an? Diese unbequeme Realität konterkariert die schöne aber wirkungslose Idee der Nichtweiterverbreitung von Nuklearwaffen, die auch in München weiter tapfer hochgehalten wurde. Kein Wunder, dass auch Amerikas Entscheidung, sein Nuklearwaffenarsenal zu modernisieren und kleinere Atomwaffen zu entwickeln, nicht nur bei den Russen auf heftigen Protest stieß. Hier droht ein neues nukleares Wettrüsten, bei dem der INF-Vertrag und das neue Start-Abkommen auf der Strecke bleiben könnten. Die Europäer hatten schon in den vergangenen Jahren die amerikanische Entscheidung zur Erweiterung der Raketenabwehr mit Misstrauen begleitet. 

Zankapfel Atomdeal

Kein Wunder, dass der Atomdeal mit dem Iran vor diesem Hintergrund zwischen den amerikanischen und europäischen Vertretern kontrovers diskutiert wurde: Die republikanischen Senatoren kritisierten in München wie ihr Präsident den Atom-Deal als unzureichend bezeichneten, während die Europäer und natürlich der iranische Außenminister die Vorzüge zu preisen suchten. 

Die vielfältigen Krisen im Nahen Osten spitzten sich in München dann im konfrontativen Auftreten der beiden Außenminister von Iran und Saudi Arabien zu:
Zwar überraschte der iranische Außenminister zunächst mit dem Vorschlag für ein kollektives Sicherheitssystem für die Region nach Vorbild der KSZE, aber durch seine weiteren aggressiven Ausführungen wirkte dieser Vorstoß wenig glaubhaft. Auch die Türkei wurde in München scharf kritisiert, denn sie gießt Öl ins Feuer durch ihre Militäraktion im Nordosten von Syrien. 

Dass die Türkei auch ihrem Nato verbündeten USA vorwirft, sie unterstütze Terroristen – gemeint sind die kurdischen Verbündeten der USA im Kampf gegen den Terrorismus – wirkt ebenso wenig beruhigend. Früher hätte die Türkei niemals gewagt, die westliche und nahöstliche Führungsmacht derart unverhohlen herauszufordern.

Der Westen scheint in Syrien zu resignieren

In München verstärkte sich allerdings leider den Eindruck, dass Syriens Abgleiten zu einem failed state fast schicksalshaft vom Westen hingenommen wird. Ist das Ausdruck des schlechten Gewissens, dass man gerade in Syrien den Russen, dem Iran und den Türken das Feld geradezu kampflos überlassen hat? Die martialische und antirussische Rhetorik der Amerikaner auf dieser Konferenz war auch Ausdruck von Ohnmacht. Nicht nur im Nahen Osten verlieren die USA weiter an Einfluss. Barack Obamas Rückzug aus der internationalen Politik findet offensichtlich seine Entsprechung im außenpolitischen Desinteresse von Donald Trump. Weltpolitische Verantwortung sieht anders aus. Kein Wunder, dass der russische Außenminister vergrößertes Selbstbewusstsein ausstrahlte. Leider nicht ohne anklagende und selbstgerechte Untertöne. Aber eines wird deutlich: Die amerikanisch- russischen Beziehungen gestalten sich zunehmend konfrontativ. Russlands wachsendes Selbstbewusstsein erscheint noch eindrucksvoller vor dem Hintergrund von präsidialer Führungsschwäche und außenpolitischer Orientierungslosigkeit in den USA.

Dieser Befund könnte abgemildert werden wenn Europa wenigstens in Ansätzen das amerikanische Macht- und Führungsvakuum mindern könnte. Doch auch in München zeigte sich Europa in altbekannter Manier: voller idealistischer Pläne, bürokratischer Selbstbeschäftigung und selbstbewegt von der großartigen Papierkonstruktion für Sicherheit und Frieden. Der EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker sieht sogar die EU auf dem Weg zu weltpolitischer Verantwortung! 

Die EU erinnert an ein altes Ehepaar

Vor dem Hintergrund der mannigfaltigen hausgemachten realpolitischen Krisen wirkte Junckers Auftritt in München surreal und weltfremd. Dagegen fühlt sich Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz bei der EU an ein altes Ehepaar erinnert: der Norden beklagt sich über den Süden und die angebliche Avantgarde über den Süden. Als einziger verweiste Kurz auf hausgemachte Fehler und Versäumnisse: die EU sei eben hier und dort falsch abgebogen. Das vermuteten auch viele Beobachter in München in Sachen Brexit. Doch Theresa May versuchte auch in München, die Europäer von ihrem Kurs zu überzeugen. Unübersehbar steht sie mit ihrem Plädoyer für den Austritt ganz in der britischen Tradition jeweils das Beste aus beiden Welten herauszuholen: Eine neue, alte nationale Souveränität und Distanz soll die Briten überzeugen und gleichzeitig beschwor sie Englands Eintreten für Europas Sicherheit insbesondere vor dem Hintergrund terroristischer Bedrohungen. 

Europa zeigt sich weiterhin in schlechter Verfassung; dieser Eindruck wird noch durch die Tatsache verstärkt, dass die Dialogfähigkeit auch unter den Partnern zu wünschen übrig lässt. Verschiedene EU-Repräsentanten weigerten sich, mit anderen EU-Mitgliedern auf einem Podium zu sitzen und zu diskutieren. Ein Armutszeugnis für die Europäischen Union.

So jedenfalls werden die Europäer das Ordnungsvakuum, das die USA hinterlassen, nicht ausfüllen können. Ganz anders Russland und China – allerdings mit ihren eigenen Wertvorstellungen.

Eine Welt voller Fleischfresser

Eine Wunde in die Noch-Außenminister Sigmar Gabriel den Finger legte, in dem er die fehlende globale, geostrategische Idee und Strategie des Westens anmahnte. Insgesamt beeindruckte der Auftritt Gabriels, weil er die Realitäten in der Weltpolitik schonungslos realistisch umschrieb: In einer Welt von Fleischfressern (gemeint sind die autoritären Mächte) hätten es die Vegetarier (wie Deutschland) schwer.

Bleibt die Frage: Wo steht Deutschland? Verteidigungsministerin Ursula von der Leyens Vision von der neuen Verteidigungsunion Pesco stieß auf Skepsis in München: wie soll diese funktionieren angesichts der jahrzehntelangen negativen Erfahrungen bei gemeinsamen sicherheitspolitischen Anläufen der Europäer? Und wie soll eine Zusammenarbeit mit der Nato funktionieren? Der Generalsekretär des Verteidigungsbündnisses, der Norweger Jens Stoltenberg, befürchtete dreierlei: eine Schwächung der Nato, Doppelstrukturen und damit Ineffizienz sowie eine Diskriminierung von Nato-Mitgliedern, die nicht in der EU sind, aber aktuell 80 Prozent der Verteidigungsausgaben des Bündnisses stemmen. Beim Thema Verteidigungsausgaben richteten sich die Blicke der Konferenzteilnehmer auf den frisch verhandelten Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD. Doch was dort vereinbart wurde, sorgte in München eher für Ernüchterung. Und so ist das Aus- und Inland zunehmend irritiert über den sichtbaren Zusammenbruch der Einsatzfähigkeit der Bundeswehr, den die Ministerin einfach wegzuzählen versucht. 

Die Zeichen stehen auf Sturm

Abschließend bleiben folgende Beobachtungen: Die Dialogfähigkeit der Teilnehmer scheint abzunehmen. Gerade die Europäer und insbesondere die EU-Mitglieder betonen ja gern ihre Dialog- und Konsensfähigkeit. Doch diesmal zeigten sie sich zerissener denn je. Dementsprechend ist die Selbstgerechtigkeit aller Teilnehmer massiv angestiegen. Das gilt auch für die Nato-Staaten und die Mitglieder der EU. Das Realitätsbewusstsein führender Politiker scheint getrübt. 

Diese atmosphärischen Beobachtungen sind Reflex einer wachsenden Desorientierung in der Weltpolitik. Deutlicher denn je fehlt die ordnende Weltmacht USA. Und weil Europa zerrissen, ziel- und orientierungslos ist, richten sich derzeit alle Blicke auf China. Auch in München wurde deutlich: China mausert sich weiter zu einem unverzichtbaren Pfeiler globaler Ordnung. Die USA unter Trump zeigten wenigstens Ansätze zur Neuorientierung wobei unklar ist, wohin die Reise führen wird, aber Europa verharrt in bekannter Haltung: große Versprechungen und wenig konkrete Ergebnisse. Die Zeichen in der Weltpolitik und in der westlichen Welt stehen deshalb weiter auf Sturm. Das hat die Münchener Sicherheitskonferenz auf beklemmende Weise deutlich gemacht.
 

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