Rede von US-Außenminister Mike Pompeo - Das Ende der transatlantischen Partnerschaft

Ausgerechnet beim „German Marshall Fund“ attackierte US-Außenminister Mike Pompeo in einer Rede sämtliche Säulen der westlichen Nachkriegsordnung und zementierte Donald Trumps Abkehr vom Multilateralismus. Das könnte das Ende einer Ära bedeuten, aber auch eine Chance für Europa

Mike Pompeo und Donald Trump: „Ein Multilateralismus, der den Nationalstaat in den Vordergrund stellt“ / picture alliance
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Im Sommer 1941, mitten im Zweiten Weltkrieg, als Nazi-Deutschland von Sieg zu Sieg eilte und drohte, den europäischen Kontinent für immer zu beherrschen, trafen sich zwei greise Männer im Geheimen auf einem Schiff vor Neufundland. Es waren der US-amerikanische Präsident Franklin D. Roosevelt und der britische Premier Winston Churchill. In acht knappen Punkten definierten die beiden Staatschefs die Grundlage für eine neue internationale Ordnung. Das Dokument ging als Atlantik-Charta in die Geschichte ein und bildete den Primat für Außenpolitik der westlichen Welt seither: Der Probleme der ganzen Welt mit den Lösungen des Westens habhaft zu werden.

Roosevelt und Churchill waren so die ersten Transatlantiker. Ihr Dokument wurde nach dem Krieg die Keimzelle einer Reihe von Institutionen, die die transatlantische Ordnung festigen sollten. Eine davon sind die Vereinten Nationen, eine andere der Marshallplan. Das gigantische Wiederaufbauprogramm sollte nicht nur die akute Not in den europäischen Ländern mildern, sondern die Europäer aus dem Teufelskreis von Nationalismus und Protektionismus befreien. Der hatte zwei Weltkriege und mehr als 50 Millionen Tote hinterlassen. 

Ein möglicher Moment für die Geschichtsbücher

Ausgerechnet vor den Mitgliedern des „German Marshall Fund“, der vom Marshallplan gebliebenen Stiftung, hielt Mike Pompeo, der Außenminister der USA, eine Rede, in der er diese transatlantische Ordnung nicht nur in Frage stellte, sondern geradezu mit Füßen trat. Wenn es noch eines Beweises bedurft hätte dafür, wie wenig Pompeos Vorgesetzter, US-Präsident Donald Trump, von diesen zentralen Instrumenten der alten liberalen Weltordnung hält, dann erbrachte ihn Pompeo nun in Brüssel. Gut möglich, dass diese Rede einmal in den Geschichtsbüchern stehen wird als der Moment, in dem das Ende einer Partnerschaft zementiert wurde, die unsere Politik, aber auch unser Denken und unsere Lebensweise seit 70 Jahren prägt und – bei allen Fehlern – der Grundstein war für unsere Sicherheit und unseren Wohlstand im Westen. 

Die Europäische Union als Hauptangeklagter

Nacheinander attackierte Pompeo die Europäische Union, die Vereinten Nationen, die Weltbank und den Internationalen Währungsfonds (IWF) – also all die Säulen der Nachkriegsordnung, die ohne die Unterstützung der Vereinigten Staaten nicht existieren würden. Das will auch Pompeo nicht abstreiten. Mit ihnen hätten die USA nicht nur den Kalten Krieg gegen die Sowjetunion gewonnen, aber „auch den Frieden“ danach. Doch dann hätten die USA die Zügel schleifen lassen und so der Erodierung der liberalen Ordnung alle Türen geöffnet. Fortan wurde „Multilateralismus als Selbstzweck“, betrachtet, sagte Pompeo. „Je mehr Verträge wir unterschreiben, desto sicherer sind wir angeblich. Je mehr Bürokraten wir haben, desto besser wird angeblich die Arbeit erledigt.“ Doch das Gegenteil sei der Fall. Zum Glück aber steht die US-amerikanische Kavallerie auch diesmal bereit, um das Unheil abzuwenden. Nur in einem anderen Gewand. Benötigt sei ein „Multilateralismus, der den Nationalstaat wieder in den Vordergrund stellt“. Und, natürlich, ein „starker Führer“. Die Art Führer, die, für Pompeo zumindest, Donald Trump personifiziert. 

Eine der Hauptangeklagten in Pompeos Tirade war die Europäische Union. Zwar habe sie dem Kontinent viel Wohlstand gebracht. Aber in letzter Zeit wären doch einige Dinge aus dem Ruder gelaufen. Der Brexit käme als „Weckruf“ zu rechten Zeit. Die Mitgliedsländer müssten sich die Frage stellen: „Stellt die EU sicher, dass die Interessen der Länder und ihrer Bürger vor denen von Bürokraten und Brüssel stehen?"

Die Risse in Pompeos Argumentation

Darauf erklang ein kraftvolles „Ja“ aus dem Publikum, und das tat gut. Denn spätestens hier wurden die Risse in Pompeos Argumentationskette deutlich sichtbar. Natürlich ist die Europäische Union alles andere als perfekt. An dem Anspruch, aus der Vielfalt Europas eine einheitliche Regierung zu formen, die gleichzeitig den Interessen der einzelnen Staaten und denen der Bürger dient, scheitert die Union immer wieder. Aber es sind immer noch die einzelnen Mitgliedstaaten, die den Löwenanteil der Macht besitzen, die EU bleibt eine zwischenstaatliche statt einer supranationalen Einrichtung. Und gerade der Brexit ist das beste Beispiel dafür, was den einzelnen Staaten fehlen würde, wenn die Union auseinanderbräche. Bei seinem Streben nach vollständiger politischer Autonomie wird Großbritannien wahrscheinlich – als Preis für den EU-Marktzugang – eine ganze Reihe von Gesetzen und Vorschriften akzeptieren müssen, die es nicht mehr mitgestalten kann. So viel zur von Brexitieren angestrebten und von Pompeo unterstützten „splendid isolation“.

Ähnlich verhält es sich sich bei den anderen von Pompeo harsch kritisierten Institutionen. „Die zentrale Frage“, sagte Pompeo in Brüssel, „ist die, ob das System wie es heute existiert tatsächlich funktioniert? Funktioniert es für alle Menschen der Welt?“ Darauf kann die Antwort natürlich nur lauten: Nein, das System funktioniert nicht so gut, wie es sollte, und wenn, dann nicht annähernd für alle Menschen. Aber was wäre die Alternative? Bis jetzt ist das angebliche Streben Donald Trumps die „Souveränität zurückzuerlangen“, vor allem in einen diplomatischen Kuschelkurs gegenüber „starken Führern“ wie Wladimir Putin, Rodrigo Duterte oder Mohammed bin Salman gemündet. Die treuesten westlichen Partnerinstitutionen wie die Nato oder die G7-Vereingung hat der US-Präsident hingegen wieder und wieder vor den Kopf gestoßen.

Die Chance für Europa

Pompeo und Trump müssten gar nicht bis 1941 zurückblicken, um zu erkennen, dass der effizienteste Weg zu einem funktionierenden Staat eben nur über die von ihnen so verhöhnte mulitlaterale Kooperation führen kann. Wer ihn alleine geht, hat nur die Wahl, entweder alles alleine zu tun, oder nichts. Für beide Fälle gibt es abschreckende Beispiele genug, Vietnam und Irak auf der einen Seite, Syrien und Jemen auf der anderen. 

Vielleicht hat die Rede Pompeos aber auch etwas Gutes. Statt dem Brexit könnte sie der wahre Weckruf für Europa sein. Und zwar derart, dass in vielen Konflikten die Interessen von Amerikanern und Europäern eben nicht mehr identisch sind. Eine eigene europäische Verteidigungspolitik, sprich eine europäische Armee, könnte ein Anfang sein. Jeder Paartherapeut weiß: Wenn der eine Partner nichts mehr für die Beziehung zu investieren bereit ist, hilft dem anderen weder Jammern noch das Klammern an eine gemeinsame Vergangenheit. Wer aber seine Unabhängigkeit beweist, macht sich auch wieder attraktiv für eine mögliche gemeinsame Zukunft. 

Was halten Sie von der die Rede von Mike Pompeo? Machen Sie sich Ihr eigenes Bild, sehen Sie die Rede im Original
 

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