Deniz Yücel über Erdogan - „Hobby-Islamist, hauptberuflich Gangster“

Bei Maybrit Illner ging es gestern Abend um „Erdogans Willkür“, und mit dem lang inhaftierten Journalisten Deniz Yücel war der Kronzeuge geladen. Bei seinem ersten TV-Auftritt nach der Haft gab sich Yücel kämpferisch. Dem Rest der Sendung fehlte leider der Elan

Es war der erste TV-Auftritt von Deniz Yücel seit seiner Haftentlassung / Screenshot ZDF-Mediathek
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Autoreninfo

Chiara Thies ist freie Journalistin und Vorsitzende bei next media makers.

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Denis Yücel braucht einen Moment, um sich zu fassen. Seine Stimme ist brüchig, seine Augen auffällig glasig. Gerade hat der Journalist einen Einspieler über sein Jahr in türkischer Haft und seine vielen Unterstützer während dieser Zeit gesehen. Die vielen Briefe, seine Frau und sein Wille zum Widerstand gegen das türkische Regime hätten ihm in dieser Zeit geholfen, sagt er dann. Selbst als er im Gefängnis nicht schreiben durfte, hat er sich einen Kugelschreiber geklaut und sein Buch „Der kleine Prinz“ vollgeschrieben.

Bei Maybrit Illner soll es an diesem Abend um genau dieses Thema gehen: „Erdogans Willkür – wie erpressbar ist Europa?“ Das Interview mit Yücel nimmt die gesamte erste Hälfte der Sendung in Anspruch. Es ist das erste Mal, dass er sich so umfangreich zu seiner Haft äußert. Er lasse „so nicht mit sich umgehen“, sagt er. Dass es einen Rüstungsdeal gegeben hätte, um seine Freilassung zu erkaufen, glaubt er jedoch nicht. „Es ist ja nichts Neues, dass Waffen in die Türkei geliefert werden.“ Tatsächlich habe er sich gewünscht, dass die Wirtschaft Erdogan weniger unterstütze. Denn dieser und seine Mitstreiter verstünden nur die Sprache des Geldes: „Das sind zwar Islamisten und Nationalisten, aber das sind sie alles hobbymäßig. Hauptberuflich sind sie Gangster.“

Inhaftierung verstieß auch gegen türkisches Recht

Gleichzeitig wirft er Angela Merkel vor, dass ihre Regierungen die Türkei abgewiesen haben, als diese dabei war, sich zu demokratisieren. Merkels Staatsbesuch kurz vor der Wahl 2015 und auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise, habe indes nur Erdogans Macht gestärkt. Yücel sei nur freigekommen, weil die Türkei sich gleichzeitig mit den USA und der EU überworfen habe, das sei „zu viel Krach“ gewesen. Er habe im Gefängnis jedoch viel über Freundschaft und Liebe gelernt. Es sei ihm klar geworden, warum er seinen Job macht. Gerade jetzt aber brauche die Gesellschaft guten Journalismus. Und das klingt dann so, als hätte er den kleinen Prinzen nicht nur vollgeschrieben, sondern vorher auch gelesen.

Erst jetzt geht Illner zu ihren weiteren Gästen über: Özlem Tupcu, Journalistin bei der Zeit, Norbert Röttgen, Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses im Deutschen Bundestag, und Claudia Roth, Grünen-Politikerin. Die drei nehmen die Kritik von Yücel auf, ihre Meinungen liegen erwartbar nah beieinander. Auch Röttgen weist die Vorwürfe eines Waffen-Deals zur Freilassung Yücels zurück: „So bescheuert kann man gar nicht sein. Darauf kann sich keine Regierung einlassen.“ Für ihn ist die Lage in der Türkei ein Dilemma, weil es das einzige demokratisch-muslimische Land gewesen sei. Özlem Topcu betont, dass ihr Welt-Kollege auch nach türkischem Recht nicht so lange in Untersuchungshaft hätte bleiben dürfen. 

Türkei braucht Deutschland mehr als umgekehrt

Was ist jetzt zu tun? Man kann den Gästen dabei zuschauen, wie sie nach Auswegen aus der verzwickten Lage suchen: Nach Erdogans Angriff in Nordsyrien könne man ihm zwar kurzfristig die Waffenlieferungen verweigern. Langfristig sähe das aber anders aus, weil sonst die Gefahr bestünde, dass sich das Land von der Nato ab- und Russland zuwende. Es gebe keinen Blanko-Check für Nato-Partner, betont aber Claudia Roth. Innerhalb des Bündnisses bestehe ein riesiger Konflikt. Den Flüchtlingsdeal würde sie gerne aufkündigen, weiß aber auch, dass dann Europa mehr Flüchtlinge aufnehmen müsste. Das sei sehr unwahrscheinlich, denn Merkel stehe mit dieser Bereitschaft ziemlich allein da. Für Roth ist es ein „Wettlauf der Schäbigkeit“. Topcu ergänzt: Deutschland brauche zwar die Türkei, aber umgekehrt braucht die Türkei Deutschland noch viel mehr.

Röttgen will keine Sanktionen gegen die Türkei erlassen. Die Daumenschrauben würden aber trotzdem bereits jetzt enger gezogen. Der Türkei sei die gemeinsame Zollunion sehr wichtig und genau diese Gespräche seien bis auf Weiteres auf Eis gelegt. Wirtschaftliche Sanktionen würden Erdogan innenpolitisch nur stärken, ergänzt die Zeit-Journalistin Topcu. Sie wünscht sich mehr Coolness und Gelassenheit im Umgang mit dem türkischen Staatschef. Roth betont hingegen, dass Erdogan nicht die Türkei sei und umgekehrt. Von der deutschen Regierung sei bis jetzt nur „lautes Schweigen“ gekommen. Wahlkampfauftritte von türkischen Politikern müsse unsere Demokratie aushalten. Röttgen widerspricht, man dürfe das nicht dulden. 

Was bleibt?

Was bleibt von der Sendung? Zwei Politiker sind da und keiner will es gewesen sein. Röttgen kann sich nicht erklären, warum die Regierung erst ankündigt, keine Waffenlieferungen mehr zu genehmigen, um dann doch damit weiter zu machen. Und das, obwohl er Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses ist. Das Gespräch war mit 30 Minuten zu kurz. Illner musste am Ende einen Themenkatalog in fünf Minuten abhandeln. Das war schade. Denn obwohl alle drei in ihren Meinungen nah beieinander waren, waren sie dabei noch weit genug voneinander entfernt, um sich gut zu ergänzen. Das Interview mit Yücel war zwar spannend, aber es ging zu viel um seine Haft. Das eigentliche Thema, wie erpressbar Europa geworden ist, kam zu kurz.

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