Beerdigung von Lyra McKee - Im Schatten der „Neuen IRA“

In Nordirland wird heute die ermordete Journalistin Lyra McKee beerdigt. Die „Neue IRA“ nennt die brutale Tat ein Versehen. Schon die Existenz der Terroristen zeigt, wie leicht der Friede in Nordirland bricht. Der chaotische Brexitprozess verschärft die Lage weiter.

Kondolenzen für die ermordete Journalistin Lyra McKee / picture alliance
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Autoreninfo

Tessa Szyszkowitz ist Londoner Korrespondentin des österreichischen Wochenmagazins Profil. Im September 2018 erschien „Echte Engländer – Britannien und der Brexit“. Foto: Alex Schlacher

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Wenn die „Neue Irische Republikanische Armee“ sich zu einem Anschlag bekennen will, dann meldet sie sich mit einem vereinbarten Code-Wort bei der „Irish Times“. So geschah es dann auch nach dem Mord an Lyra McKee, einer 29jährigen Journalistin, die am Donnerstagabend vor Ostern von einem Heckenschützen bei Unruhen im nordirischen Derry erschossen worden war. Wobei die „New IRA“ sich vor allem deshalb zu Wort meldete, um einen Irrtum einzugestehen. Und eine „volle und ernst gemeinte Entschuldigung“ abzugeben: „Lyra McKee wurde tragischerweise getötet, als sie sich neben feindlichen Streitkräften befand. Wir haben unsere Freiwilligen angewiesen, in Zukunft mit größter Vorsicht vorzugehen, wenn sie den Feind angreifen“, lautete ihre Botschaft. Lyra McKee stand neben Polizisten, als sie erschossen wurde. Diese hatten in der Wohnsiedlung Creggan nach Waffen gesucht, um Anschläge der „Neuen IRA“ am Ostersonntag zu verhindern.

Die militante Gruppe wurde vor sieben Jahren gegründet, um Anschläge gegen die verhasste – britische – Staatsgewalt durchzuführen. Vier Morde gehen bereits auf ihr Konto. Ostern ist im nordirischen Konflikt immer ein heikler Moment gewesen. Vor gut hundert Jahren hatten irisch-katholische Republikaner sich gegen die Herrschaft der protestantischen Briten aufgelehnt. Dieser Oster-Rebellion von 1916 gedenken manche in Nordirland noch heute gerne mit Gewalt. Zumindest wenn man der „Neuen IRA“ angehört.

Terroristen stören nach wie vor den Frieden

Dass es in Nordirland eine bewaffnete Gruppe gibt, die den Kampf gegen die gemeinsame Polizei auch 2019 noch oder schon wieder für legitim hält, schockiert nicht nur die Nordiren. Auch in London ist man tief betroffen. „Das war kein Unfall. Es gibt eine kleine Anzahl von republikanischen Terroristen in Nordirland. Doch die Gemeinden in Nordirland wollen Frieden“, sagte Karen Bradley, Ministerin für Nordirland, am Dienstagabend im Parlament.

Freundinnen von Lyra McKee ließen es sich am Montag nicht nehmen, vor das Büro der republikanischen Kleinpartei „Saoradh“ zu ziehen, die der „Neuen IRA“ nahe steht. Sie ließen Handabdrücke mit roter Farbe an der Hauswand zurück. Saoradh-Aktivisten standen mit verschränkten Armen vor ihrem Büro, konnten aber wegen der hohen Medienpräsenz wenig tun. „Die einzigen Neuigkeiten, die wir von der ‚Neuen IRA‘ hören wollen, ist, dass sie verschwindet“, meinte die Krankenschwester Sara Kanning, die Lebensgefährtin der getöteten Journalistin.

Kalter Friede und wachsende Spannungen

Seit dem Karfreitagsabkommen 1998 herrscht in Nordirland relativer Friede zwischen irischen Republikanern und britischen Unionisten. Da sowohl Irland, als auch Großbritannien Mitglieder der EU sind, konnte die heikle Grenze zwischen der Republik Irland und dem zum Vereinigten Königreich gehörenden Nordirland offen bleiben. So wurden Spannungen verhindert. Der militärische Konflikt hatte vom Ende der 60er Jahre bis zum Friedensschluss 1998 3.500 Todesopfer gefordert, die Mehrheit davon Zivilisten.

21 Jahre hat der kalte Friede zwischen den Bevölkerungsgruppen gehalten. Die Erinnerung an die „Troubles“ hätte langsam in den Bereich der Geschichtsschreibung übergehen sollen. Doch seit die Briten im Juni 2016 für den Austritt aus der EU gestimmt haben, verstärken sich auch die Spannungen in Nordirland wieder. Unsicherheit über die Zukunft ist nicht gut für eine Region, in der die Wunden der „Troubles“ noch längst nicht verheilt sind. Jetzt weiß man wieder, wie fragil der Frieden in Nordirland ist und wie schnell sich Spannungen zwischen katholischen und protestantischen Nordiren in Gewalt entladen können.

Nordirland ist ohne Regierung

Der Tod von Lyra McKee könnte dazu führen, dass sich die politische Führung in Nordirland zusammenreißt und endlich wieder ernsthafte Gespräche über eine Regierungsbildung beginnt. Seit gut zwei Jahren gibt es keine lokale Regierung in Nordirland mehr. Die Kooperation zwischen der unionistischen DUP von Arlene Foster und der republikanischen Sinn Fein war über einen Finanzskandal zerbrochen und konnte bisher nicht erneuert werden.

Zum Begräbnis der jungen Autorin in der St.-Anna-Kathedrale in Belfast am Mittwoch kommt viel Politprominenz aus Nordirland, unter vielen anderen reist auch Irlands Premierminister Leo Varadkar aus Dublin an. Selbst die britische Premierministerin Theresa May wird an der Trauerfeier teilnehmen. Es steht viel auf dem Spiel. Iren und Briten versuchen, die nordirischen Streitparteien wieder in Richtung einer Koalition zu bewegen, doch die Hoffnung ist nach Aussage von Beteiligten gering.

McKee wusste um den trügerischen Frieden

Lyra McKee war sich als Autorin und auch als LGBT-Aktivistin bewusst, wie heikel die Lage ihrer Heimat war. Weithin bekannt wurde sie mit dem Blog-Posting „Brief an mein 14jähriges Ich“, in dem sie über die Schwierigkeiten schrieb, als lesbisches Mädchen in Nordirland aufzwachsen. Wie ein Pastor lesbische Paare als „sexuell pervers“ beschrieben hatte, wie sie in der Schule gemobbt worden war. Aber auch, wie sie das bigotte Umfeld besiegt hatte: „Das Leben wird immer besser. Später wirst du ohne Furcht, die Straße hinuntergehen.“

Die junge Autorin schrieb bald für das US-Magazin „The Atlantic“, der angesehene Verlag Faber gab ihr zwei Buchverträge. „The lost Boys“ über das Schicksal zweier im Jahre 1974 verschwundener Jungen sollte 2020 erscheinen. Das Forbes-Magazine nahm sie in die Liste der dreißig einflussreichsten Medien-Figuren unter 30 in Europa auf. Begründung: „McKees Leidenschaft ist es, sich in Themen hineinzuwühlen, die anderen nicht wichtig erscheinen.“

Eines ihrer zentralen Themen blieb die „Illusion“ des Friedens, wie sie es nannte: „Mit der Unterzeichnung des Karfreitagsabkommens sagte man meiner Generation, dass wir die ersten in Jahrzehnten sein würden, die in Frieden leben könnten“, schrieb Lyra McKee hellsichtig vor vier Jahren in einem Artikel: „Doch nur weil wir nicht mehr im Krieg sind, heißt das noch lange nicht, dass der Schatten des Killers den Raum verlassen hat.“

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