Liviu Dragnea - Der Strippenzieher in Rumänien

Der rumänische Justizminister Florin Iordache ist infolge der Massenproteste gegen die Regierung zurückgetreten. Er hatte das umstrittene Dekret zur Lockerung der Antikorruptionsgesetze maßgeblich vorangetrieben. Als geistiger Urheber der Eilverordnung gilt jedoch ein anderer Mann: Liviu Dragnea

Als Vorbestrafter darf Liviu Dragnea laut Gesetz nicht Premierminister werden / picture alliance
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Frank Stier ist Korrespondent für Südosteuropa und lebt in der bulgarischen Hauptstadt Sofia.

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Eine Amnestie für Kleinkriminelle zur Entlastung überfüllter Haftanstalten – was klingt wie eine humanitäre Maßnahme, hat den Volkszorn der Rumänen entfacht und die sozialliberale Regierung wenige Wochen nach Amtsantritt an den Rande ihres Sturzes gebracht. Nach tagelangen Massenprotesten vor dem Regierungssitz kündigte Ministerpräsident Sorin Grindeanu zwar die Rücknahme des umstrittenen Erlasses zur Lockerung der Antikorruptionsgesetzgebung an, ausgestanden ist die Sache für seine Regierung damit aber nicht. Viele Demonstranten wollen weiter protestieren, bis sie seine Annullierung tatsächlich in Kraft sehen, andere sogar bis zum Rücktritt der Regierung.

Nur ein gutes Jahr nachdem ihr Regierungschef Victor Ponta wegen massiver Korruptionsvorwürfe zurücktreten musste, errang die postkommunistische Sozialdemokratische Partei (PSD) im Dezember 2016 einen klaren Sieg über die nationalliberale PNL. 45 Prozent der Wähler ließen sich durch Versprechungen wie die Anhebung von Mindestlohn und Renten sowie das Ankurbeln der heimischen Wirtschaft zur Stimmabgabe für die PSD bewegen – allerdings gingen lediglich 39 Prozent der Rumänen überhaupt zur Wahl.

Korrupte Politiker vor der Strafverfolgung bewahren

Möglicherweise verleitet vom Hochgefühl des Triumphs, verspielte die PSD den Vertrauensbonus für ihr Regierungsbündnis mit der kleinen Allianz der Liberalen und Demokraten (Alde) in Rekordzeit. Ihre Ankündigung, Korruptionsfälle strafrechtlich nur noch ahnden zu wollen, wenn sie einen Schaden von 200.000 Lei (umgerechnet knapp 45.000 Euro) verursacht hätten, und verurteilte Straftäter mit Haftstrafen bis zu fünf Jahren zu amnestieren, trieb Hunderttausende auf die Barrikaden. Allzu durchsichtig erschien es, dass die Regierung nicht die erbärmlichen Verhältnisse in rumänischen Gefängnissen verbessern wollte, sondern vielmehr korrupte Politiker und Geschäftsleute vor der Strafverfolgung bewahren. Davon hätten Dutzende verurteilte Politiker über alle Parteigrenzen hinweg profitiert.

Liviu Dragnea gilt als geistiger Urheber der umstrittenen Eilverordnung, schien sie dem PSD-Vorsitzenden und Präsidenten der Abgeordnetenkammer doch wie auf den Leib geschneidert. Nun trägt er die Hauptverantwortung für die prekäre Situation der Regierung. In seiner inzwischen 20-jährigen Politikkarriere hat es der 54-jährige Ingenieur mit grau meliertem Haar und biederem Schnauzer zu Wohlstand und beachtlichem Immobilienbesitz gebracht.

„Falschen Anschuldigungen“ gegen seine Person

Nicht immer war Dragneas Geschäftsgebaren frei vom Ruch der Korruption, bis April 2016 entging er aber stets dem Zugriff der Justiz. Dann verurteilte ihn ein Gericht zu einer zweijährigen Haftstrafe auf Bewährung wegen Wahlbetrugs. Nach dem Wahlsieg seiner Partei konnte er wegen dieser Vorstrafe das Amt des Regierungschefs nicht antreten. Derzeit ist Dragnea zudem des Missbrauchs seines früheren Amtes als Kreistagspräsident von Teleorman in der südrumänischen Walachei angeklagt. Er soll dabei einen Schaden von rund 100.000 Lei (etwa 22.000 Euro) angerichtet haben. Tag für Tag tragen Demonstranten Plakate mit Bildern von Dragnea über den Bukarester Siegesplatz, die ihn in Häftlingskleidung zeigen.

Hätte sich das rumänische Volk dem skandalösen Korruptionsdekret nicht widersetzt, wäre für Liviu Dragnea der Weg zur Macht geebnet gewesen, behaupten seine Gegner. Der PSD-Chef bestreitet dies: „Ich habe mit meinen Anwälten geredet. Der Erlass bedeutet kein Ende für meinen Amtsmissbrauchsprozess.“ Der Argwohn der Demonstranten beruhe auf „falschen Anschuldigungen“ gegen seine Person, versichert er. Noch als sich die Protestbewegung gegen die fadenscheinige Aushöhlung der Antikorruptionsgesetze bereits zur mächtigsten seit dem Sturz des Ceausescu-Regimes 1989 entwickelt hatte, glaubte Dragnea, ihr mit scharfer Rhetorik begegnen zu können. Dem mit den Demonstranten solidarischen Staatspräsidenten Klaus Johannis warf er vor, der demokratisch legitimierten Regierung „Handschellen anlegen“, „einen Staatsstreich anzetteln“, das Land gar „mit Terror regieren“ zu wollen. Schließlich drohte er dem der nationalliberalen PNL nahestehenden Johannis mit der Einleitung eines Amtsenthebungsverfahrens.

Düstere Aussichten

Dabei hat sich Liviu Dragnea schon einmal bei einem Impeachmentverfahren gegen einen Präsidenten die Finger verbrannt. Seine Bewährungsstrafe erhielt er als Quittung dafür, beim Referendum im Jahr 2012 Bürger auf unrechtmäßige Weise dazu angestiftet zu haben, gegen den damaligen Staatspräsidenten Traian Basescu zu stimmen. Sollte Dragnea beim anhängigen Prozess des Amtsmissbrauchs schuldig gesprochen werden, könnte er die Regierungsgeschäfte nur noch am Fernseher in einer Gefängniszelle verfolgen.

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